Der Lehrplan 21
revolutioniere die Schule mit einem schädlichen pädagogischen Konzept. So
lautet die Behauptung der Initianten. Die Abstimmung über die kantonale
Volksinitiative findet am 21. Mai 2017 statt. Mitinitiant René Steiner (EVP,
Olten) stellt sich kritischen Fragen.
René Steiner: Der Lehrplan 21 wird der Schule schaden. Bild: Hanspeter Bärtschi
Wird die Schule durch den Lehrplan 21 auf den Kopf gestellt? Oltner Tagblatt, 10.12. von Elisabeth Seifert
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Im Thurgau und in
Schaffhausen sind kürzlich zwei Lehrplan-kritische Volksinitiativen deutlich
abgelehnt worden. Ein Zeichen für Solothurn?
Rene Steiner: Diese Ergebnisse machen es sicher
nicht einfacher für uns. Man kann die Initiativen aber nicht eins zu eins
miteinander vergleichen. In Schaffhausen ging es ja einzig darum, wer über die
Einführung eines neuen Lehrplans entscheidet. Der Inhalt des Lehrplans 21 wurde
nicht breit diskutiert.
Dennoch: Das Stimmvolk in
den beiden Kantonen will offenbar, dass der Lehrplan 21 eingeführt wird?
In Schaffhausen und Thurgau ja. In der
Nordwestschweiz haben wir eine etwas andere Situation. Im Kanton Baselland hat
das Volk zu einer unserer zentralen Forderungen, nämlich dass keine
Birchermüsli-Fächer möglich sein sollen, ja gesagt. Zudem hat der Baselbieter
Landrat eine Motion erheblich erklärt, die inhalts- statt kompetenzorientierte
Lehrpläne fordert. Im Nachbarkanton Aargau steht Anfang nächsten Jahres eine
Abstimmung an. Wir hätten uns aber sicher gewünscht, dass die Volksinitiativen
in den genannten Kantonen angenommen werden, das hätte uns sicher
geholfen.
Etliche Kantone haben den
Lehrplan bereits definitiv beschlossen. Macht es wirklich Sinn, wenn Solothurn
hier ausschert?
Der Lehrplan 21 verspricht zwar eine
Harmonisierung. Wenn man den Lehrplan aber einmal im Detail anschaut, dann
merkt man, dass er den Familien nicht dabei hilft, von einem Kanton in einen
anderen zu ziehen.
Sie sprechen damit den
unterschiedlichen Beginn mit den Fremdsprachen Französisch und Englisch an...
Man konnte sich nicht auf die entscheidende Frage
einigen. Wenn ein Kind in der fünften Klasse mit seinen Eltern aus dem Aargau
in den Kanton Solothurn zieht, dann nützt der Lehrplan 21 rein gar nichts, weil
es zwei Jahre Englisch hatte, aber noch kein Französisch. Wir fangen ja mit
Französisch in der dritten Klasse an und Englisch beginnt erst in der fünften
Klasse.
Müsste man Ihrer Meinung
nach in die Hoheit der Kantone eingreifen?
Am besten hätte man auf eine Fremdsprache bereits
ab der dritten Klasse verzichtet. Das ist zu teuer und zudem gibt es keine
Studie, welche die Wirksamkeit belegt. Und dann kommen noch weitere Dinge
hinzu: Der LP 21 schafft die Jahrgangsziele ab. Heute gibt es im Solothurner
Lehrplan in der Regel verbindliche Jahresziele. Wenn man diese abschafft, kann
es sein, dass zum Beispiel jeder Schüler einer dritten Klasse schulisch an
einem anderen Ort steht. Innerhalb des Kantons und auch über die Kantonsgrenzen
hinweg. Das ist auch die Idee hinter der Kompetenzorientierung. Jeder Schüler
arbeitet an seinen eigenen Kompetenzen.
Der Lehrplan 21 definiert
doch gemeinsame Treffpunkte am Ende der zweiten, der sechsten und der neunten
Klasse?
Von der dritten bis in die sechste Klasse sind das
vier Jahre. Das ist doch ein sehr grosser Sprung. Wenn es der Konferenz der
kantonalen Erziehungsdirektoren beim Lehrplan 21 wirklich um Harmonisierung
gegangen wäre, hätte man das anders geregelt. Dann hätte man den Lehrplan so konstruiert,
dass die Lehrpersonen im Kanton Aargau und im Kanton Solothurn genau wissen, wo
ein Drittklässler steht. Das ist jetzt nicht der Fall. Hinzu kommt, dass die
Schüler nicht in Kompetenzstufen denken, ihnen sind die Inhalte wichtig. Die
Inhalte aber sind im Lehrplan oft beliebig. Bei einem Kantonswechsel werden die
Kinder wieder mit anderen Inhalten konfrontiert.
Mit dem Lehrplan 21 wird
die Lehrerbildung vereinheitlicht, es gibt auch gemeinsame die Lehrmittel. Das
führt doch zu einer Harmonisierung?
Es wird auch weiterhin viele unterschiedliche
Lehrmittel geben. Die Lehrmittelfrage bleibt in der kantonalen Kompetenz und
das finde ich auch gut so. Was ich aber vor allem sagen möchte: Die
Harmonisierung hätte man ganz anders angehen müssen. 2011 noch hielten der Bund
und die Erziehungsdirektorenkonferenz in einem gemeinsamen Papier fest, dass
man sich schweizweit auf wenige konkrete und überprüfbare Ziele verständigt.
Eigentlich wäre es einfach um einen Rahmenlehrplan gegangen. Die heutigen
Lehrpläne sind gar nicht so weit voneinander weg. Niemand dachte daran, dass
man ein neues pädagogisches Konzept über die ganze Volksschule legt und sagt,
das ist Harmonisierung.
Wird mit dem neuen
Lehrplan nicht fortgeführt und systematisiert, was in der Lehrerbildung und im
Schulalltag bereits Realität ist?
Wenn das so ist, dann müsste man dieser Entwicklung
einen Riegel schieben. Das was man im Lehrplan 21 nämlich unter
kompetenzorientiertem Unterricht versteht, scheitert überall, wo das Konzept
über mehrere Jahre hinweg praktiziert wird. Es gibt viele angelsächsische
Länder, unter anderem Neuseeland, die bereits vor vielen Jahren die gleiche
Diskussion geführt haben wie wir. Eine moderne Schule müsse auf Kompetenzen
aufbauen und nicht mehr auf Inhalten. In Neuseeland, wo der
kompetenzorientierte Unterricht im Jahr 2000 eingeführt wurde, ist das Konzept
gescheitert. An den Pisa-Test fällt Neuseeland seither weit zurück. Und auch in
den nationalen Tests in ein klarer Abwärtstrend sichtbar.
In den Grundlagen zum
Lehrplan 21 wird betont, dass das Wissen zentral bleibt. Es geht aber
zusätzlich noch um das Verstehen und Können ...
Schon bis jetzt ging es im Schulunterricht nicht
einfach um die blosse Wissensvermittlung. Beim Lehrplan 21 geht es aber um
einen Paradigmenwechsel: Die Lehrpläne machten bis jetzt die Inhalte
verbindlich. Die Inhalte, welche die Schüler lernen sollen. Der neue Lehrplan
mit seiner Ausrichtung auf Kompetenzen will den Output der Schule messen. Mit
dem neuen Lehrplan soll die Schule stärker kontrollierbar werden.
Im Lehrplan 21 werden
aber doch gerade bei den Sachfächern Kompetenzen und Inhalte miteinander
verbunden?
Bei der Überarbeitung des Lehrplans sind vermehrt
Inhalte eingeflossen. Die Inhalte sind aber zum Teil sehr zufällig ausgewählt.
Es gibt zum Beispiel keinen systematischen Wissensaufbau in der Geografie oder
in der Geschichte. Ich persönlich glaube, dass für Kinder in der Volksschule
ein solcher Wissensaufbau einfach dazu gehört. Ergänzend zu den Inhalten, die
den Lehrplan bestimmen sollen, können dann zusätzlich Kompetenzen definiert
werde. Wir wollen aber nicht, dass Kompetenzen den Lehrplan steuern.
Mit der
Kompetenzorientierung werden doch die Schüler ausgerüstet, sich immer wieder
neues Wissen anzueignen?
Damit sie das aber können, brauchen sie ein
systematisches Wissen in Fächern wie Biologie, Geschichte, Physik oder
Biologie. Und ein solches Wissen veraltet nicht. Ich bin grundsätzlich nicht
dagegen, dass Schülerinnen und Schüler innerhalb der Volksschule den Umgang mit
den verschiedenen Wissensplattformen erlernen. Der damit verbundene
Schüler-zentrierte Unterricht kann aber gerade jüngere Kinder schnell einmal
überfordern. Das zeigt sich bereits heute, wenn selbst Drittklässler Vorträge
zu ihnen komplett neuen Themen machen müssen.
Der Lehrplan 21 macht
keine Vorgaben zur Unterrichtsmethodik. Es heisst sogar, dass die Lehrperson
eine zentrale Rolle innehat. Was sagen Sie dazu?
In den Lehrerweiterbildungen zum Lehrplan 21 wird
derzeit aber immer wieder betont, dass Lehrpersonen, die ihren Job wirklich gut
machen, sich als Lernbegleiter verstehen. Das Ziel besteht darin, dass jedes
Kind an seinen eigenen Kompetenzen und Inhalten arbeitet. Der Lehrer geht von
Kind zu Kind und unterstützt es in seinem Lernfortschritt. Schüler sollen selber
probieren, sich untereinander austauschen. Und wenn sie dann immer noch nicht
weiterkommen, soll der Lehrer eingreifen.
Ist das nicht einfach
eine Zielvorstellung, die im Schulalltag sehr pragmatisch umgesetzt werden
wird?
Es handelt sich um ein Wunschdenken von den Leuten,
die hinter dem Lehrplan 21 stehen. Die Realität im Schulalltag wird aber in
diese Richtung gehen. Hermann Forneck, der ehemaliger Rektor der PH
Nordwestschweiz und Mitarbeiter am Lehrplan 21, sagt dazu: ‹Die
Steuerungsfunktion der Lehrperson wird im selbstgesteuerten Lernen bezüglich
der stofflichen Vermittlung auf unpersönliche Medien übertragen.› Gegen diese
Entwertung der Lehrpersonen wehren wir uns.
An der
Kompetenzorientierung stört Sie besonders auch die verstärkte Messbarkeit der Schule.
Ist das denn so schlecht, wenn Schule kontrollierbar ist?
Überall dort, wo output-orientiert unterrichtet
wird, werden immer mehr Tests durchgeführt. Das führt dazu, dass der Unterricht
stark auf solche Tests ausgerichtet ist. Das kann doch Lehrpersonen keine
Freude machen. Es braucht ein klares Signal, dass man das nicht will, auch wenn
der Lehrplan 21 eingeführt werden sollte.
Noch einmal: Bildung soll
über die einzelne Schule hinaus vergleichbar werden, ist das nicht im Grundsatz
erstrebenswert?
Das finde ich überhaupt nicht gut. Man kann
Schülerinnen und Schüler aus verschiedenen Regionen nicht miteinander
vergleichen. Die Klassenverbände sind nicht miteinander vergleichbar. Man weiss
aus der modernen Bildungsforschung, dass der Klassenverband eine massive
Auswirkung hat auf das einzelne Kind.
Die Kompetenzorientierung
ermöglicht neben der Vergleichbarkeit auch die individuelle Förderung eines
Kindes. Ist das nicht ein positiver Aspekt?
Durchaus. Ich bin auch überzeugt, dass die
Lehrpersonen alles daransetzen werden, aus jedem Lehrplan etwas Gutes zu
machen. Man sollte es ihnen aber nicht noch schwerer machen, als es ohnedies
schon ist. Lehrerverbände machen in meinen Augen bei Schulreformen dabei immer
wieder den gleichen Fehler. Sie sagen schnell einmal Ja zu einer netten Idee
und vertrauen darauf, dass man bei der Umsetzung schon einen pragmatischen Weg
finden wird.
Mit einem Ja zur
Initiative ist Solothurn doch auf sich selbst zurückgeworfen. Was ist
dann mit der geforderten Harmonisierung?
Wenn 15 Kantone den Lehrplan 21 einführen und sechs
Kantone das nicht machen, dann haben wir eine schwierige. Situation. Ich kann
zum jetzigen Zeitpunkt nicht genau sagen, was der Weg ist. Es aber sicher nicht
so, dass es keine Alternative gäbe. Die Alternative wäre, dass man sich
schweizweit auf die bewährten Eckwerte der verschiedenen Lehrpläne einigt, so
wie man das noch im Jahr 2011 wollte. In der welschen Schweiz arbeitet man
schon länger mit einem harmonisierten Lehrplan, der nicht so kompetenzorientiert
ausgerichtet ist.
Ist der Zug dafür nicht
abgefahren?
Es wird sicher nicht einfach werden. Wir haben aber
nicht nur die Wahl zwischen dem Lehrplan 21 oder der Katastrophe aus Sicht der
geforderten Harmonisierung. Ich bin einfach überzeugt, dass der Lehrplan 21 der
Schule schaden wird. Deshalb wehre ich mich dagegen.
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