Die zweite Landessprache ist für viele Luzerner Schüler ein Krampf. Der Kanton will ihnen darum zusätzliche Lektionen verordnen. Die Initianten der Fremdspracheninitiative setzen dagegen auf Qualität statt Quantität.
Wie weiter mit dem Französisch, Luzerner Zeitung, 9.12. von Ismail Osman
«Parlez-vous allemand?» Hoffentlich, denn mit Französisch alleine kämen viele Luzerner Schulabgänger nicht besonders weit. Das Problem der schwachen Französischkenntnisse ist schon länger bekannt. Mit der regierungsrätlichen Präsentation der Botschaft zur Volksinitiative «Eine Fremdsprache auf der Primarstufe», wird auch das Thema Französischunterricht nun aber wieder aktuell. Die Regierung will am heutigen Modell festhalten, wonach ab der 3. Primarstufe Englisch und ab der 5. Primar Französisch unterrichtet wird.
Wie schwerwiegend das
Fremdsprachenproblem ist, wurde der Öffentlichkeit vergangenen Frühling vor
Augen geführt. Eine von der Zentralschweizer Bildungsdirektorenkonferenz (BKZ)
durchgeführte Fremdsprachenevaluation zeigte damals auf, dass nach der 8.
Klasse ein erschreckend grosser Teil der Luzerner Schüler die Lernziele nicht
erreicht (siehe Grafik). Zwar wurden in der Evaluation die Ziele der neunten
Klasse hinzugezogen, die Schüler hätten also noch ein Jahr Zeit, um Defizite
aufzuholen. Tatsache ist aber auch, dass im neunten Schuljahr die Fremdsprachen
Wahlpflichtfächer sind und von vielen Schülern nicht mehr gewählt werden.
In der sechsten
Klasse wird die Schraube angezogen
Egal wie die für
nächsten Herbst vorgesehene Abstimmung ausfallen mag, der Französischunterricht
steht in jedem Fall vor einer Weggabelung. Wie bisher kann es nicht mehr
weitergehen – zumindest dessen sind sich alle Parteien in diesem Sprachenstreit
einig. Die Ansätze zur Behebung der Probleme verlaufen indes in diametral
entgegengesetzte Richtungen.
Die Regierung setzt voll
und ganz auf die Wirkung des Lehrplans 21. Dieser ist im Kanton Luzern ab dem
kommenden Schuljahr 2017/18 für den Kindergarten, die Basisstufe und die
Primarstufe bis zur 5. Klasse verbindlich und wird danach schrittweise in den
höheren Stufen eingeführt. Mit dem neuen Lehrplan wird auch eine neue
Wochenstundentafel implementiert. Gemäss dieser wird die Zahl der
Französischlektionen in der 5. und 6. Primarklasse von zwei auf drei Lektionen
pro Woche erhöht. Durch mehr Unterrichtszeit soll der Einstig in die
Fremdsprache besser gelingen. «Wir sind uns der vorhandenen Probleme bewusst
und reagieren mit dieser Änderung auch darauf», sagte Bildungsdirektor Reto
Wyss anlässlich der Medienkonferenz vom Montag.
Die Initianten der
Fremdspracheninitiative ziehen aus der Evaluation des BKZ einen anderen
Schluss. Demnach werde die These bestätigt, wonach der Lernerfolg auf der
Oberstufe schneller eintritt. In der Oberstufe könnten die Lektionen also
effizienter eingesetzt werden und die Sprachziele besser erreicht werden.
Bildungsdirektor Wyss hält diese These für verfehlt: «Es wäre ein
problematisches Signal, wenn wir, weil es Probleme gibt, automatisch den
Unterricht reduzieren würden. Auf die Idee, beim Mathematikunterricht bis in
die 7. Klasse zuzuwarten, würde man auch nicht kommen.»
In der
Abstimmungsbotschaft der Regierung ist zudem zu lesen, dass geprüft werde, für
«besonders schwierige Klassen eine zusätzliche Lektion für den Gruppenunterricht
einzuführen». Solche Lektionen bestünden bereits für Klassen mit mehr als 19
Schülern. Der Kanton rechnet mit rund 50 zusätzlichen Lektionen. Die Definition
«besonders schwierige Klassen» liegt laut Charles Vincent, Leiter der
Dienststelle Volksschulbildung, noch nicht vollständig vor: «Hauptkriterium ist
sicher die Klassengrösse. Aber auch die Zusammensetzung kann eine Rolle
spielen.» Beispielsweise wenn in einer Klasse mehrere fremdsprachige Schüler
sind – oder viele Kinder mit individuellen Lernzielen. Doch kann sich der
Kanton zusätzliche Lektionen überhaupt leisten? Immerhin soll der Lehrplan 21
kostenneutral eingeführt werden. «Auf der Oberstufe werden mit dem Lehrplan 21
zwei Englischlektionen und zwei Förderlektionen gestrichen; ausserdem wird der
Wahlpflichtbereich in der dritten Sekundarklasse gestrafft», erklärt Vincent.
«Die Kosten für 50 Lektionen liegen zwischen 200 000 und 250 000 Franken.» Das
läge ungefähr im Bereich dessen, was durch die Reduzierung der Lektionen auf
der Oberstufe noch kostenneutral kompensiert werden könnte, sagt Vincent.
Erhalten die
Schüler zu viel Sprachunterricht?
Wyss gibt es einen
weiteren zentralen Punkt, weshalb er gegen eine Verschiebung der zweiten
Fremdsprache auf die Sekundarstufe ist: «Man müsste den Sprachunterricht auf
der Oberstufe ausbauen. Die Sprachenlastigkeit des Unterrichts wird aber heute
schon als problematisch eingestuft und würde sich so noch verschärfen.»
Die Sprachenlastigkeit
des Lehrplans beklagt auch das Initiativkomitee – allerdings jenes auf der
Primarstufe: «Tatsache ist, dass die erste Fremdsprache im Kanton Luzern
‹Hochdeutsch› ist», sagt Annamarie Bürkli, Präsidentin des Luzerner Lehrerinnen
und Lehrerverbandes (LLV) und Co-Präsidentin des Initiativkomitees. Der frühe
Fremdsprachenunterricht führe gemäss des Initiativkomitees zu einem Verlust der
schriftlichen und mündlichen Kompetenzen in den Fächern Deutsch und Mathematik.
«Eine stabile Grundlage in der Erstsprache und in der Mathematik ist wesentlich
für den späteren beruflichen Erfolg», ist Bürkli überzeugt.
Über die
Fremdspracheninitiative kann nach heutigem Stand frühestens im September 2017
an der Urne befunden werden.
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