9. Dezember 2016

Alle sind sich einig: So kann es bei den Fremdsprachen nicht mehr weitergehen

Die zweite Landessprache ist für viele Luzerner Schüler ein Krampf. Der Kanton will ihnen darum zusätzliche Lektionen verordnen. Die Initianten der Fremdspracheninitiative setzen dagegen auf Qualität statt Quantität.


Wie weiter mit dem Französisch, Luzerner Zeitung, 9.12. von Ismail Osman



«Parlez-vous allemand?» Hoffentlich, denn mit Französisch alleine kämen viele Luzerner Schulabgänger nicht besonders weit. Das Problem der schwachen Französischkenntnisse ist schon länger bekannt. Mit der regierungsrätlichen Präsentation der Botschaft zur Volksinitiative «Eine Fremdsprache auf der Primarstufe», wird auch das Thema Französischunterricht nun aber wieder aktuell. Die Regierung will am heutigen Modell festhalten, wonach ab der 3. Primarstufe Englisch und ab der 5. Primar Französisch unterrichtet wird.

Wie schwerwiegend das Fremdsprachenproblem ist, wurde der Öffentlichkeit vergan­genen Frühling vor Augen geführt. Eine von der Zentralschweizer Bildungsdirektorenkonferenz (BKZ) durchgeführte Fremdsprachenevaluation zeigte damals auf, dass nach der 8. Klasse ein erschreckend grosser Teil der Luzerner Schüler die Lernziele nicht erreicht (siehe Grafik). Zwar wurden in der Evaluation die Ziele der neunten Klasse hinzugezogen, die Schüler hätten also noch ein Jahr Zeit, um Defizite aufzuholen. Tatsache ist aber auch, dass im neunten Schuljahr die Fremdsprachen Wahlpflichtfächer sind und von vielen Schülern nicht mehr gewählt werden.

In der sechsten Klasse wird die Schraube angezogen

Egal wie die für nächsten Herbst vorgesehene Abstimmung ausfallen mag, der Französischunterricht steht in jedem Fall vor einer Weggabelung. Wie bisher kann es nicht mehr weitergehen – zumindest dessen sind sich alle Parteien in diesem Sprachenstreit einig. Die Ansätze zur Behebung der Probleme verlaufen indes in diametral entgegengesetzte Richtungen.

Die Regierung setzt voll und ganz auf die Wirkung des Lehrplans 21. Dieser ist im Kanton Luzern ab dem kommenden Schuljahr 2017/18 für den Kindergarten, die Basisstufe und die Primarstufe bis zur 5. Klasse verbindlich und wird danach schrittweise in den höheren Stufen eingeführt. Mit dem neuen Lehrplan wird auch eine neue Wochenstundentafel implementiert. Gemäss dieser wird die Zahl der Französischlektionen in der 5. und 6. Primarklasse von zwei auf drei Lektionen pro Woche erhöht. Durch mehr Unterrichtszeit soll der Einstig in die Fremdsprache besser gelingen. «Wir sind uns der vorhandenen Probleme bewusst und reagieren mit dieser Änderung auch darauf», sagte Bildungsdirektor Reto Wyss anlässlich der Medienkonferenz vom Montag.

Die Initianten der Fremdspracheninitiative ziehen aus der Evaluation des BKZ einen anderen Schluss. Demnach werde die These bestätigt, wonach der Lernerfolg auf der Oberstufe schneller eintritt. In der Oberstufe könnten die Lektionen also effizienter eingesetzt werden und die Sprachziele besser erreicht werden. Bildungsdirektor Wyss hält diese These für verfehlt: «Es wäre ein problematisches Signal, wenn wir, weil es Probleme gibt, automatisch den Unterricht reduzieren würden. Auf die Idee, beim Mathematikunterricht bis in die 7. Klasse zuzuwarten, würde man auch nicht kommen.»
In der Abstimmungsbotschaft der Regierung ist zudem zu lesen, dass geprüft werde, für «besonders schwierige Klassen eine zusätzliche Lektion für den Gruppenunterricht einzuführen». Solche Lektionen bestünden bereits für Klassen mit mehr als 19 Schülern. Der Kanton rechnet mit rund 50 zusätzlichen Lektionen. Die Definition «besonders schwierige Klassen» liegt laut Charles Vincent, Leiter der Dienststelle Volksschulbildung, noch nicht vollständig vor: «Hauptkriterium ist sicher die Klassengrösse. Aber auch die Zusammensetzung kann eine Rolle spielen.» Beispielsweise wenn in einer Klasse mehrere fremdsprachige Schüler sind – oder viele Kinder mit individuellen Lernzielen. Doch kann sich der Kanton zusätzliche Lektionen überhaupt leisten? Immerhin soll der Lehrplan 21 kostenneutral eingeführt werden. «Auf der Oberstufe werden mit dem Lehrplan 21 zwei Englischlektionen und zwei Förderlektionen gestrichen; ausserdem wird der Wahlpflichtbereich in der dritten Sekundarklasse gestrafft», erklärt Vincent. «Die Kosten für 50 Lektionen liegen zwischen 200 000 und 250 000 Franken.» Das läge ungefähr im Bereich dessen, was durch die Reduzierung der Lektionen auf der Oberstufe noch kostenneutral kompensiert werden könnte, sagt Vincent.

Erhalten die Schüler zu viel Sprachunterricht?

Wyss gibt es einen weiteren zentralen Punkt, weshalb er gegen eine Verschiebung der zweiten Fremdsprache auf die Sekundarstufe ist: «Man müsste den Sprachunterricht auf der Oberstufe ausbauen. Die Sprachenlastigkeit des Unterrichts wird aber heute schon als problematisch eingestuft und würde sich so noch verschärfen.»

Die Sprachenlastigkeit des Lehrplans beklagt auch das Initiativkomitee – allerdings jenes auf der Primarstufe: «Tatsache ist, dass die erste Fremdsprache im Kanton Luzern ‹Hochdeutsch› ist», sagt Annamarie Bürkli, Präsidentin des Luzerner Lehrerinnen und Lehrerverbandes (LLV) und Co-Präsidentin des Initiativkomitees. Der frühe Fremdsprachenunterricht führe gemäss des Initiativkomitees zu einem Verlust der schriftlichen und mündlichen Kompetenzen in den Fächern Deutsch und Mathematik. «Eine stabile Grundlage in der Erstsprache und in der Mathematik ist wesentlich für den späteren beruflichen Erfolg», ist Bürkli überzeugt.

Über die Fremdspracheninitiative kann nach heutigem Stand frühestens im September 2017 an der Urne befunden werden.


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