Fehlerreiches
Schreiben ist wie Sprechen mit vollem Mund: unanständig und der Verständigung
abträglich. Warum trauen sich selbst im Bildungswesen nur noch wenige, diese
Liederlichkeit zu bekämpfen?
Fehlerfreies Schreiben ist nicht alles, aber mehr Sorgfalt wäre zu wünschen, Illustration: Peter Gut
"Apostrophitis" und schlimmere Seuchen, NZZ, 2.12. von Urs Bühler
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Zunächst ein Vorschlag
zur Rettung des hiesigen Gastgewerbes: Erhielten die Wirte für jeden
unterschlagenen Bindestrich auf Speisekarten eine Prämie ausbezahlt, sie
könnten locker auf die Einführung einer Kostenpflicht für Leitung's Wasser
verzichten. Pardon: Leitungswasser. Ob wir nun «Randen Suppe» löffeln müssen
oder «Haus gemachtes Zitronen Mousse», ob uns «Butter zartes Rinds Filet» oder
«Reh Pfeffer» ans Messer geliefert oder «Jahrgangs Champagner» ausgeschenkt
wird: Das Divis müsste bald auf eine Liste der bedrohten Zeichen kommen.
Kompensiert werden die Versäumnisse mit inflationär torkelnden Apostrophen, von
der «Empfehlung des Chef's» bis zu den «Info's für's Personal». Das macht es
leider nicht besser.
Das Netz der Flüchtigkeiten
Aber wir wollen hier nicht eine einzelne Branche geisseln. Was
sie uns serviert, ist nur ein Abbild der Gesellschaft. Man könnte ebenso gut
die Medien schelten. In der köstlich kommentierten Stilblüten-Sammlung
«Schlagzeiten» spiegelt die «Sonntags-Zeitung» Woche für Woche, zu welch
haarsträubenden Mängeln selbst sogenannte Qualitätsblätter im Akkord fähig
sind. Ob man nun liest, dass «Verheiratete weniger häufig sterben als
alleinstehende Personen», «der Druck auf die Schulleitern steigt», «die
Bevölkerung abgenommen hat» (in Zeiten der Fettleibigkeit) oder «ein im Auto
mitfahrender Hund die Stadtpolizei in Obhut nehmen konnte»: Es wird einem
bewusst, wie eng formale Liederlichkeit und gedankliche Trägheit verbrüdert
sind.
Im Halse stecken bleibt
einem das Lachen spätestens angesichts des Umstands, dass die Beispiele fast
ausnahmslos den Printausgaben entstammen. Dabei ist doch die eigentliche Wüste
der sprachlichen Korrektheit das Internet. Dort schreiben auch wir Journalisten
oft um mehr als eine Nuance liederlicher. Erstens ist das Arbeitstempo höher,
zweitens baut man darauf, dass die Online-Leserschaft formale Mängel eher
verzeiht – und drittens hat man im Hinterkopf, dass man in diesem Kanal des
Unvollendeten ja ständig nachbessern kann. Das tut man im Tagesdruck dann aber
doch kaum.
Oh ja, der elektronische Schriftverkehr. Wer beobachtet, wie
wild im öffentlichen Raum getwittert, gesimst und sonst wie reingehämmert wird,
möchte frohlocken: Es wird, wo doch vor nicht allzu langer Zeit die
Mobiltelefonie noch einen Siegeszug des Fernmündlichen angedroht hatte, wieder
geschrieben! Bloss leben sogenannte User die neue Schreibwut wie ungestüme
Liebhaber aus, die vor lauter Lust jede Form vergessen. Tippt sie nicht ohnehin
in Dialekt, foutiert sich die Generation Autokorrektur um Standards der
Standardsprache. Es ist fast wie bei Carving-Ski, die limitierte Fahrer zum
Temporausch verführen und so das Unfallrisiko erhöhen. Nur fällt man auf der
Piste härter. Schon die Ablösung der Schreibmaschine durch den Computer barg das
Risiko, flüchtigere Schreiber aus uns zu machen. Aber letztlich kann etwa die
Möglichkeit, Sätze nach der ersten Fassung beliebig umzustellen, der Qualität
durchaus zuträglich sein. Ob das die modernen Kommunikationskanäle auch sind?
Der deutsche Autor Dieter E. Zimmer zählte vor einigen Jahren in tausend Sätzen
auf Online-Plattformen weit über tausend Formfehler, er diagnostizierte etwa
eklatante Schwächen beim Kennzeichnen von Wort- und Satzgrenzen. Man muss seine
Qualifizierung («Internet-Verblödungssprache» mit «unnötigem
Englisch-Deutsch-Kauderwelsch») nicht stützen, um seine Sorge zu teilen. Sein
Fazit: Die meisten Schreiber seien zumindest im Internet völlig uninteressiert
an Orthographie.
Natürlich: Tipp- und andere Fehler können und dürfen passieren,
vielleicht auch in diesem Artikel. Und es geht hier weder um Blossstellung von
Legasthenikern noch um eine von Leuten, die wenig Zugang zu Bildung haben. Wer
aber aus Nachlässigkeit die Sprache mit Füssen tritt, dem mangelt's an
Höflichkeit gegenüber Lesern: Die Orthographie zum Beispiel vereinheitlicht das
Schriftbild und erleichtert so das Wiedererkennen von Wörtern. Fehlerreich
schreiben ist also wie Sprechen mit vollem Mund: unanständig – und der
Verständigung abträglich. Die notorische Verwechslung von «dass» und «das» etwa
schadet der Klarheit. Dabei könnten Fehlbare diese Krankheit mit einer simplen
Ersatzprobe bekämpfen, wenn sie sich dafür interessierten.
«Das nährt den Verdacht: Das Virus der Liederlichkeit hat längst
auf viele sogenannt Unterrichtende übergegriffen.»
Keine Gämse schleckt es weg und auch keine Gemse: Mit der
Rechtschreibereform haben die Probleme wenig zu tun, ob man dieses Tier nun neu
mit «ä» schreibt oder, wie diese Zeitung, die alte Schreibung bevorzugt.
Natürlich haben die Reformer und ihre Vollstrecker an ein paar Stellen etwas
gepfuscht, etwa indem sie als Hofknicks vor den Angelsachsen die
Apostroph-Regeln liberalisiert und so der eingangs erwähnten Seuche Vorschub
geleistet haben. Aber insgesamt ist das System vereinfacht und der Wegfall
einiger Schreibvarianten so verschmerzbar wie damals, als die Schweiz das
mitunter differenzierende Eszett abschaffte (als letzte hiesige Zeitung zog
übrigens 1974 die NZZ mit). Ist dieses Land, seit es Masse und Maße nicht mehr
zu unterscheiden weiss, etwa zu einer Brutstätte von Missverständnissen
geworden?
Nein, das Problem sind nicht die Regeln an sich. Es ist das
allgemein erhöhte Tempo, gepaart mit wachsender Gleichgültigkeit gegenüber
Sorgfalt und formalen Kriterien, deren Beachtung kaum mehr jemand einzufordern
wagt. In vielen Berufsausbildungen ist der Deutschunterricht inzwischen in die
Allgemeinbildung integriert, wo kaum mehr Zeit für Grammatik bleibt. So sind
Teenager mündlich oft stark, können sich prima präsentieren, aber die
schriftliche Bewerbung, die Visitenkarte par excellence, bekommen sie nur
fehlerhaft hin. Und die geistige Elite? Der Verfasser dieser Zeilen hatte als
Deutsch-Experte auf diversen Stufen, etwa bei einer Erwachsenenmatura, Einblick
in viele korrigierte Aufsätze; so manche Lehrer hatten zahlreiche Formfehler
übersehen oder zumindest ungeahndet gelassen. Das nährt den Verdacht: Das Virus
der Liederlichkeit hat doch längst auf viele sogenannt Unterrichtende
übergegriffen (sie beherrschen etwa die Kommasetzung selbst nicht mehr oder
fürchten, zu viel Rotstift könnte Heranwachsende in der freien Entwicklung
ihrer Kreativität hemmen). Die anderen rufen in der Wüste: Zu lesen ist etwa
von einer zunehmenden Anzahl Klagen über mangelhaften
schriftlichen Ausdruck von Gymnasiasten. Auch aus Hochschulen sind
gelegentlich Alarmsignale zu vernehmen, was die formale Korrektheit
eingereichter Arbeiten betrifft.
Kaum Hoffnung auf Besserung
Wir wollen uns hier gar nicht auf die Frage einlassen, ob ein
Niedergang der Sprachkompetenzen empirisch nachweisbar sei. Fest steht: Es gibt
wenig Hoffnung auf Besserung. Die Motivation jedenfalls, sorgfältig zu
schreiben, ist wohl auf einem allgemeinen Tiefpunkt. Sprachpflege ist verpönt,
auch in Branchen, die täglich mit und an der Sprache arbeiten sollten. Selbst
in Schreibstuben sind Leute, die Grammatik als vernachlässigbaren Aspekt ihres
Handwerks ansehen, keine Seltenheit mehr. Und die Forschung steigt mit dem
Fehlerteufel ins Bett, indem sie konstatiert, Sprache sei ein Mittel der
Kommunikation und als solches halt dem Wandel von Bedingungen unterworfen.
Gerade Digital Natives könnten den Schreibstil samt Fehlerquote der Situation
anpassen. Und sowieso mache formale Korrektheit noch keine guten
Schreiberinnen.
Ja, sicher, eine gute Schusstechnik macht auch noch keinen
tollen Fussballstürmer – aber sie erhöht doch sehr seine Chance, das Tor zu
treffen. Dass selbst eine langjährige Schulpflegepräsidentin unlängst
öffentlich behaupten konnte, Rechtschreibeprogramme und Autokorrektur würden
das Lernen von Regeln ja bald überflüssig machen, ist vor diesem Hintergrund
grotesk. Abgesehen davon, dass solche Programme längst nicht alle
Regelverstösse erkennen, machen sie die Anwender gewiss nicht gescheiter. Denn
korrektes Schreiben fördert das Denken. Die Nominalisierung eines Verbs zu
erkennen, nach eingeschobenen Nebensätzen auch vor «und» ein Komma zu setzen
oder dem «nämlich» herkunftsbedingt kein «h» einzuhauchen, hat nichts mit
oberflächlichem Pauken zu tun, sondern damit, Strukturen der Sprache zu
verstehen.
In einem Punkt ist den Anwälten der Fehlerflut indes recht zu
geben: Formale Richtigkeit ist nicht alles. Ein besonderes Ärgernis ist heute
auch die gedankenlose Reproduktion von Wörtern, die ein Mäntelchen der
Korrektheit tragen: Man liest von «Anwohnenden», jede
Chüngelizüchter-Versammlung wird zum «Event» erhoben, und Blähwörter wie
«zeitnah» meucheln schlichte Klassiker wie «bald». Das aber würde nochmals eine
Seite füllen.
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