Albanisch, Türkisch oder Portugiesisch
statt Französisch oder Englisch: Fremdsprachige Kinder und Jugendliche, die neu in die
Schweiz eingewandert sind, sollen ab der fünften Klasse Kurse ihrer
Muttersprache besuchen statt den Französischunterricht. Das fordert
Jürg Brühlmann, Bildungsexperte des Schweizer Lehrerverbandes. «Man könnte neu
zugezogene Schüler mit fremder Muttersprache entlasten», so Brühlmann zur «NZZ
am Sonntag». Die Kinder hätten dann mehr Kapazitäten für das Erlernen von
Deutsch. Im Zeugnis stünden dann Deutsch, Englisch oder Französisch – und die
Muttersprache.
Es müsste
natürlich nicht jede Sprache angeboten werden, sondern einfach die der grössten
Sprachgruppen, präzisiert Brühlmann gegenüber 20 Minuten. Den Unterricht
abhalten könnten Personen, die bereits in Kulturvereinen entsprechender
Nationen engagiert sind. «Ich könnte mir aber auch vorstellen, dass Personen
aus Syrien oder Irak, die hier keinen Job haben, aber hier gerne arbeiten
würden, Kinder in Arabisch unterrichten könnten», sagt Brühlmann.
"So entsteht eine Parallelgesellschaft", 20 Minuten, 12.12.
Serbisch/Kroatisch
sind die am häufigsten gesprochenen Nichtlandessprachen der Schweiz, gefolgt
von Albanisch, Portugiesisch, Spanisch, Englisch und Türkisch. Dies zeigt eine
Eidgenössische Volkszählung aus dem Jahr 2000, die das Bundesamt für Statistik
erhoben hatte.
Christoph Eymann, Präsident der
Erziehungsdirektorenkonferenz findet die Idee prüfenswert. «Man darf die Kinder
nicht überfordern mit den Sprachen.» Solche Entlastungen müssten jedoch im
Einzelfall geprüft werden und dürften nicht für ganze Gruppen gelten. Zudem
gebe es auch viele Schweizer Kinder mit Leseschwäche. Die Idee ist eine
Reaktion auf die neuesten Pisa-Resultate. Beim Lesetest hat die Schweiz dort
erneut schlecht abgeschnitten.
«Schüler
aus 80 Nationalitäten»
Für den
Präsidenten der Bildungskommission Felix Müri (SVP) kommt eine zusätzliche
Sprache in der Primarschule nicht in Frage: «Schon bei der Frage: Französisch
oder Englisch scheiden sich die Geister. Wenn wir für Zugezogene noch eine
dritte Sprache einführen, sprengt das den Rahmen.» Auch bei der Umsetzung sieht
Müri Schwierigkeiten: «Wir haben Schüler aus 80 Nationen. Wir bräuchten
plötzlich Lehrer für Albanisch, Arabisch oder Kisuaheli. Dafür haben wir keine
Kapazitäten.»
Sorge bereitet
Müri aber insbesondere die Schaffung einer Parallelgesellschaft: «Statt die
Kinder in der Klasse und der Gesellschaft zu integrieren, werden sie
ausgesondert.» Ausserdem stelle sich die Frage, was als Nächstes komme. Dann
heisse es plötzlich, Ausländer müssten den Lehrperson auch keinen Handschlag
mehr geben.
«Besser
kleine Klassen»
Auch
Kommissionskollege und Lehrer Mathias Reynard (SP) kann dem Vorschlag nicht
viel abgewinnen: «Schüler müssen die gleichen Chancen erhalten – egal ob sie
aus dem Kosovo oder aus der Schweiz stammen.» Indem man ihnen das
Frühfranzösisch vorenthalte, seien sie zu einem späteren Zeitpunkt benachteiligt.
Stattdessen plädiert der Oberstufenlehrer für kleine Klassen von acht bis zehn
Schülern, wie dies im Wallis bereits der Fall sei. «So kann man Schüler, die
die Landessprache noch gar nicht oder ungenügend beherrschen, intensiv
betreuen.» Es sei beeindruckend, wie schnell sich die Kinder in diesem Alter
eine Sprache aneignen würden.
Auch Jürg
Brühlmann warnt davor, aus Spargründen Klassen immer weiter zu vergrössern oder
den zusätzlichen Deutschunterricht für zweisprachige Kinder zu streichen. «Hier
wird am falschen Ort gespart.»
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