Als vor zehn Jahren in Zürich über die zwei Primarfremdsprachen abgestimmt wurde, schrieb sich Herr Schneebeli für die Politik der SP-Bildungsdirektorin Regine Aeppli die Finger wund. Er brachte das Motto "jünger ist besser" unters Zürcher Volk. Dabei vermischte er willkürlich auch die Ausgangspositionen: Ob das Kind
täglich von der neuen Sprache umgeben war oder sie bloss in der Schule während
90 Minuten pro Woche hörte, war für ihn einerlei.
In der Zwischenzeit hat sich viel verändert: Die wissenschaftlichen Grundlagen sprechen noch eindeutiger gegen den doppelten Fremdsprachen-Unsinn in der Primarschule. Die teuren Zürcher Lehrmittel erlitten Schiffbruch in der Praxis und Lehrer sowie Eltern wissen nun aus eigener Erfahrung, was das hochgelobte Sprachenkonzept anrichtet.
Nicht verändert hat sich die Diskussionskultur, die Kritiker noch immer in die konservative Ecke stellt. Ebenfalls unverändert warten wir noch immer auf die empirisch dargelegten Vorzüge dieses Konzepts, das notgedrungen auf Halbwissen und Manipulation basiert. Und schliesslich schreibt auch Herr Schneebeli unverändert in seiner bunten Schulphantasie gegen die Realität an. (uk)
Franz und Englisch sind besser als ihr Ruf, Tages Anzeiger, 15.11. von Daniel Schneebeli
Nach fast exakt zehn Jahren ist es wieder so weit: Das Zürcher Volk muss
darüber entscheiden, ob in der Primarschule eine Fremdsprache aus dem
Stundenplan gestrichen werden soll. Derzeit wird ab der 2. Klasse Englisch und
ab der 5. Klasse Französisch unterrichtet.
Damals, am 26. November 2006, lehnten die Zürcher die Volksinitiative
mit über 58 Prozent Nein-Stimmen ab und sagten Ja zum doppelten
Fremdsprachenunterricht in der Primarschule. Die Argumente, die Kinder würden
nicht mehr richtig Deutsch lernen und seien im Primarschulalter mit zwei
Fremdsprachen überfordert, waren für die Stimmberechtigten nicht stichhaltig
genug. Sie gewichteten die steigende Bedeutung der Sprachen in Beruf
und Gesellschaft stärker als angebliche Probleme im Unterricht. Zudem glaubten
sie, eine Sprache lerne sich leichter, je früher man beginne.
Sprachenkonzept gescheitert?
Nun doppeln die Initianten von damals nach. «Die Erfolge sind ausgeblieben,
das Sprachenkonzept ist gescheitert», sagt etwa der ehemalige Bildungsrat und
inzwischen pensionierte Seklehrer Hans-Peter Amstutz. Für ihn und seine
Mitstreiter sind die Bedingungen fürs Fremdsprachenlernen in der Primarschule
so schlecht, dass der Unterricht nutzlos sei. Die Klassen seien zu gross und
die Zahl der Lektionen zu klein.
Im Unterschied zum letzten Mal haben die Initianten diesmal die volle
Unterstützung der kantonalen Lehrerverbände. In einer Umfrage des Zürcher
Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (ZLV) haben sich fast 80 Prozent für die neue
Volksinitiative ausgesprochen. Support gibts diesmal auch aus der Forschung.
Die Zürcher Sprachwissenschaftlerin Simone Pfenninger hat im Herbst 2014 in
einer Langzeitstudie herausgefunden, dass Zürcher Gymnasiasten, die erst in der
Sekundarschule Englisch hatten, ihren Rückstand auf die Frühenglischlerner
unter ihren Kameraden in sechs Monaten aufgeholt hatten.
Keine Überforderung
Pfenninger hat zwar wiederholt betont, sie verstehe ihr Studienergebnis
nicht als Aufforderung zur Abschaffung der zweiten Fremdsprache in der
Primarschule. Dennoch wüssten die Stimmberechtigten gern, wie gut oder eben wie
schlecht der Fremdsprachenunterricht in der Primarschule tatsächlich ist.
Aussagen dazu macht eine Arbeit aus dem Institut für Mehrsprachigkeit
der Universität Freiburg. Dort haben Forscher die Erkenntnisse aus 25 kantonalen
Studien zum Fremdsprachenunterricht analysiert. Dabei zeigte sich:
Primarschüler sind mit dem Erlernen von zwei Sprachen nicht generell
überfordert, wie die Initianten behaupten. Überfordert seien nur Kinder, die in
anderen Fächern auch Mühe hätten. Interessant ist auch, dass jene Eltern und
Lehrpersonen, die gegen eine zweite Fremdsprache an der Primarschule sind, ihre
eigenen Kinder nicht als überfordert einschätzen.
Zudem hat Überforderung nichts mit der Muttersprache zu tun. Zwar
erreichen jene Kinder, die zu Hause Deutsch sprechen, leicht bessere Noten in
den Fremdsprachen als Kinder mit einem Migrationshintergrund. Die Forscher
führen dies aber auf die privilegiertere Herkunft von einheimischen Kindern
zurück.
Motivation als Erfolgsfaktor
Als grössten Erfolgsfaktor im Sprachunterricht haben die Forscher die
Motivation eruiert. Kinder, die eine positive Einstellung zu Französisch und
Englisch haben, erreichen auch die signifikant besseren Leistungen. Und die
Motivation der Schüler wird wesentlich durch die Motivation der Lehrperson
beeinflusst. Das heisst: Wenn ein Kind eine motivierte Franzlehrerin hat, wird
es mehr lernen und bessere Noten schreiben.
Zu den Leistungen im Fremdsprachenunterricht macht die Analyse nur vage
Angaben. Man könne die Resultate der verschiedenen Studien nur schwer
vergleichen. Allerdings wird nicht gesagt, dass die Kinder die Lernziele nicht
erreichen können. Im Gegenteil. Urs Moser vom Institut für Bildungsevaluation
an der Universität Zürich misst seit zehn Jahren die Leistungen beim
Frühenglisch im Kanton Aargau und sieht dort einen ähnlichen Lernerfolg, wie er
in anderen Schulfächern zu sehen ist: «Der frühe Englischunterricht zeigt
Wirkung, und die Lernziele werden von einem Grossteil der Schüler erreicht.»
Für den Französischunterricht kann er keine eigenen Messresultate
vorweisen. Eine aktuelle Studie aus der Innerschweiz zeige aber, dass der
Lernerfolg im Fach Französisch leicht schlechter sei.
Moser relativiert auch die Erkenntnisse von Simone Pfenninger, weil sie
ausschliesslich die Leistungen von Gymnasiasten untersucht hat: «Clevere
Schüler haben verpasstes Primarschulwissen eben generell schnell aufgeholt.»
Daraus zu schliessen, man müsse Englisch (oder Französisch) in der Primarschule
streichen, sei falsch. Denn ähnliche Effekte liessen sich wohl auch in
Mathematik oder Deutsch nachweisen. «Niemand würde auf die Idee kommen, ein
solches Fach deswegen zu streichen.»
Ähnlich argumentiert Sprachdidaktikerin Christine Le Pape Racine von der
Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz: «Dass nach dem
Fremdsprachenunterricht der Primarschule wieder bei null begonnen werden muss,
ist ein ewig wiederkehrendes Argument, das in erster Linie die Arbeit der
Lehrpersonen abwertet.» Abgesehen davon seien solche Aussagen demotivierend für
Schüler und Lehrer.
Ältere lernen schneller
In einem Punkt hat sich der wissenschaftliche Standpunkt in den letzten
zehn Jahren geändert. Die Aussage, wonach kleine Kinder eine Sprache schneller
lernen als grosse, hat sich als falsch erwiesen – wenigstens in Bezug auf das
schulische Sprachenlernen. Das Gegenteil ist richtig, ältere Kinder lernen
schneller. Dennoch bleiben Moser und Le Pape Racine dabei: In der Primarschule
soll sowohl Englisch wie Französisch unterrichtet werden. Moser: «Wenn man
früher mit dem Lernen beginnt, weiss man am Ende der Volksschule mehr.»
Zusammengefasst kann man sagen: Die Bildungsforschung ist in der
Fremdsprachenfrage keine zuverlässige Partnerin – weder für Gegner noch
Befürworter. Oder wie Stefan Wolter, Leiter der Schweizerischen
Koordinationsstelle für Bildungsforschung, in der NZZ sagte: «Wer den
Unterricht einer zweiten Fremdsprache aus der Primarschule verbannen will, kann
dies mit Sicherheit nicht wissenschaftlich begründen.» Eine solche Entscheidung
sei rein politisch motiviert.
Eltern gegen die Initiative
Zu reden gibt die Volksinitiative auch unter den Eltern. Deshalb hat der
Verband der Elterngremien im Kanton Zürich KEO (Kantonale
Elternmitwirkungs-Organisation) eine Umfrage durchgeführt. 60 Prozent der
Befragten sprachen sich für den Status quo aus, also zwei Fremdsprachen in der
Primarschule. Und als erste Fremdsprache wünscht sich die Mehrheit Englisch.
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