Im vergangenen Sommer ging im medialen Lärm um
Olympia, Terroranschläge und Flüchtlingskrise ein wegweisender Entscheid der
Aargauer Regierung völlig unter. Mit ihm hat er ein noch vor kurzem
hochgelobtes Gemeinschaftsprojekt der Nordwestschweizer Kantone vollends
ins Straucheln gebracht: Von der Öffentlichkeit kaum bemerkt, hat sich damit
der Aargau vom Plan eines gemeinsamen Volksschulraumes AG, BL, BS und SO
losgesagt. Lautlos und Fakten schaffend!
Lichterlöschen im Leuchtturm, Aargauer Zeitung, 15.11. von Hans Zbinden
In einer Medienmitteilung von Mitte August 2016
hielt der Aargauer Regierungsrat damals fest – notabene ohne Rücksprache mit
den Nachbarkantonen: Zwar anerkenne er im Rahmen des laufenden nationalen
Sprachenstreits auch im Aargau einen Handlungsbedarf beim Französischunterricht
an der Primar- und Oberstufe. Trotzdem beabsichtige er, vorläufig an
seiner bisherigen Praxis des Frühenglischunterrichts festzuhalten.
Allfällige Anpassungen würden erst zusammen mit der Ausarbeitung des neuen Lehrplanes
ab dem Schuljahr 2020/21 vorgenommen.
Mit Englisch als
erster Fremdsprache will sich der Aargau auch weiterhin auf Zürich und die Ost-
und Zentralschweiz hin ausrichten. Dies weiterhin im bewussten Gegensatz zum
gemeinsamen und von der EDK verabschiedeten, schweizweiten
Fremdsprachenkonzept.
Was der
Regierungsrat mit diesen Beschlüssen auch noch tat, aber vielsagend verschwieg:
Er brüskiert damit seine drei Partnerkantone im eben erst proklamierten
Bildungsraum Nordwestschweiz. Also jene Nachbarn, mit denen er noch 2013 eine
Zusammenarbeitsvereinbarung im Volksschulwesen abgeschlossen hatte. Inklusive
Konsultationspflicht der Regierungen bei wichtigen Volksschulentscheiden.
Zugleich schaffte die Aargauer Regierung mit ihrem Entscheid eine Dissonanz zu
seiner eigenen Wirtschafts- und Standortstrategie. Denn diese richtet sich seit
kurzem nach der Regio Basiliensis mit der Standortorganisation «Basel Area» aus
und wandte sich gleichzeitig vom bisher bevorzugten Vermarktungspartner
«Greater Zurich Area» ab.
Und so fragen
sich geneigte politische Beobachtende denn: Wohin strebt der «Kanton der Mitte»
letzten Endes mit seiner austarierten Brückenpolitik zwischen Basel und Zürich?
Und in der Regel werden doch bei uns auf allen Ebenen Bildungs- und
Wirtschaftsbemühungen möglichst in gleicher Richtung vorangetrieben!
Zur Erinnerung:
2003 haben die Kantone Aargau, Basel-Landschaft, Basel-Stadt und Solothurn auf
Verlangen des Bundesrates hin eine Fusion ihrer bisherigen kantonalen
Fachhochschulen beschlossen. Und daraufhin 2006 die gemeinsame Fachhochschule
Nordwestschweiz FHNW gegründet. Als gemeinsinniger Leuchtturm in unserem primär
auf Eigennutz bedachten Bildungsföderalismus. Und gar als ein Erfolgsmodell,
wie wir aus Anlass des kürzlich gefeierten 10-Jahr-Jubiläums erkennen konnten.
Diese gleiche FHNW ermöglicht mittlerweile mit einer eigenen Pädagogischen
Hochschule PH FHNW die vierkantonale Aus- und Weiterbildung sämtlicher
Volksschullehrkräfte unserer Region. Dabei ist sie mit rund 3000 Studierenden
zum grössten Fachbereich der rasant gewachsenen Fachhochschule mit ihren neun
Fachbereichen angewachsen. Und so zum Motor geworden, zur integrierenden
Klammer des Bildungsraumes Nordwestschweiz.
Im gleichen
Geist entstand später die schweizweit als Pionierarbeit gepriesene
Nordwestschweizer Volksschulvereinbarung. Mit den Hauptzielen, die
Verbindlichkeit bei der Weiterentwicklung eines gemeinsamen Bildungsraumes zu
gewährleisten. In den Grundsätzen wird Wert auf eine fortlaufende
wechselseitige Information und Konsultation sowie eine gemeinsame Planung
gelegt. Gesteuert und verantwortet wird das Projekt von einem
Regierungsausschuss mit den Bildungsdirektoren/-innen der vier Kantone.
Doch die
Realität spricht seit einiger Zeit eine andere Sprache: mit den bildungspolitischen
Sonderzügen der Partnerkantone in den wichtigsten Reformvorhaben. Das zeigt
sich in den unterschiedlichen Stellungnahmen zum Harmos-Konkordat über die
Volksschule. Ihm sind zwar die Kantone BL, BS und SO beigetreten. Der Aargau
hingegen ziert sich mit seinem Entscheid. Oder beim Konkordat im Bereich der
Sonderpädagogik. Ihm traten BL und BS bei, während AG und SO dies bis heute
unterliessen. Und schliesslich fehlt auch beim Lehrplan 21 ein gemeinsames
Umsetzungsvorhaben.
Warum läuft das
so, trotz einer Kooperationsvereinbarung und einer gemeinsamen Pädagogischen
Hochschule? Warum tolerieren Politik, Schulbehörden und Lehrerverbände den
fortgesetzten Eigensinn der Nordwestschweizer Kantone in diesem schulischen
Gemeinschaftsprojekt?
* Der Autor ist Bildungswissenschafter und
Bildungspolitiker. Er war aargauischer Grossratspräsident und Nationalrat. Er
gilt als Vater der Bildungsartikel in der Bundesverfassung.
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