19. November 2016

Oberrichter: "Lehrplan 21 verstösst gegen Verfassung"

Der Lehrplan 21 verstosse gegen die aargauische Verfassung, monieren Gegner der Vorlage. Sollte die Initiative am 12. Februar 2017 abgelehnt werden, erwägen die Lehrplangegner einen Weiterzug ans Aargauer Verwaltungsgericht.
Verstösst der Lehrplan 21 gegen die Verfassung? Oberrichter droht mit juristischen Schritten, Aargauer Zeitung, 18.11. von Jörg Meier



Das weisse Zelt steht vor dem Eingang des Campus in Windisch. Aufgestellt haben es die Initianten vom Komitee «Ja zu einer guten Bildung – Nein zum Lehrplan 21». In ihrem «Bildungszelt» offerieren sie Glühwein, Lebkuchen und vor allem Statements gegen den Lehrplan 21 und für ihre Initiative, die den Lehrplan verhindern will.
Ort und Zeit für die Zeltaktion sind gut gewählt; denn praktisch gleichzeitig findet nur wenige Meter neben dem «Bildungszelt» der Lehrplangegner die kantonale Lehrerkonferenz statt – und zwar zum Thema «Lehrplan 21 – Gefahr oder Chance?».
Im Unterschied zum zügigen Zelt, das zumindest vor dem Nieselregen schützt, tagen die Lehrerinnen und Lehrer im komfortablen Campussaal. Wobei angefügt werden muss, dass die Technik im improvisierten Zelt deutlich besser funktioniert als im gut ausgerüsteten Campussaal.
Das Zelt wird nicht besonders intensiv frequentiert; was die umtriebigen Mitglieder des Komitees, ein gutes Dutzend ist anwesend, keineswegs in ihrem heiligen Eifer stört.

Geballte Kritik am Lehrplan 21

Mitinitiantin Elfy Roca erklärt, was sie vom Lehrplan 21 hält; nämlich nichts, dass er deshalb durch die Annahme der Initiative verhindert werden müsse. «Der Lehrplan 21 behandelt die Kinder nur als mess- und überprüfbares Humankapital», kritisiert sie.
Und es sei auch falsch, was Regierungsrat Alex Hürzeler schon mehrmals behauptet habe: Entgegen der Behauptung des Erziehungsdirektors sei die Einführung des Lehrplans 21 bei Annahme der Initiative nicht mehr möglich. Roca ist erfreut, dass jetzt die Diskussion doch endlich begonnen habe, beklagt sich aber über die Diffamierung, die das Komitee vonseiten der Gegner erfahre.
Dann hat alt Grossrat und Bildungskritiker Bruno Nüsperli das Wort. Er hat eine Broschüre verfasst, welche die seiner Meinung absurdesten der 363 Kompetenzen, die der neue Lehrplan 21 vorsieht, auflistet; und er liest isolierte Passagen genüsslich vor.
Für Nüsperli verhindert ein kompetenzorientiertes Bildungssystem gute Bildung im Sinne Pestalozzis. Und er sieht da auch einen Zusammenhang mit der amerikanischen Präsidentenwahl. Man wisse inzwischen, dass vor allem schlecht gebildete Amerikaner Trump gewählt hätten. Und die USA hätten vor einigen Jahren schon das kompetenzorientierte Bildungssystem eingeführt.

Muss das Gericht entscheiden?

Einen ganz neuen Aspekt bringt schliesslich alt Oberrichter Ruedi Weber, auch er ist Mitglied des Komitees, in die Diskussion. Denn seiner Meinung nach verstösst der Lehrplan 21 gegen die aargauische Verfassung. «Ein rein kompetenzorientierter Lehrplan, der Wissen und Können nur bruchstückhaft vermittelt, widerspricht dem ganzheitlichen Bildungsansatz, wie ihn das aargauische Recht fordert», sagt Weber und bezieht sich dabei auf Paragraf 28, Absatz 1 der Kantonsverfassung sowie auf Paragraf 10 des Schulgesetzes.
Was bedeutet das, falls am 12. Februar die Initiative abgelehnt wird? Webers überraschende Antwort: «Dann werden wir wohl verlangen, dass das Verwaltungsgericht überprüft, ob der Lehrplan 21 im Aargau überhaupt zulässig ist.»
Das Komitee gibt sich kämpferisch; geplant sind Stand- und Plakataktionen, man hat einen neuen Facebook-Aufritt; eine Reihe von Podien quer durch den Aargau sind angesagt. «Es ist erfreulich, wie viele Leute sich täglich melden und uns im Kampf für eine gute Bildung für unsere Kinder unterstützen wollen», sagt Elfy Roca.
Als die rund 200 Lehrerinnen und Lehrer nach dem Apéro riche den Campussaal verlassen, ist das weisse «Bildungszelt» bereits wieder verschwunden.


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