Was immer Jugendliche mit ihren Smartphones tun: Es missfällt vielen
Erwachsenen. Warum unterhalten sich die Kinder nicht? Blenden sie die Realität
bewusst aus? Eine Epidemie scheint diese Mediennutzung zu sein, eine Sucht.
Gerade die Schule wird dann immer wieder in die Pflicht genommen:
Dort müsste man etwas dagegen tun.
Und die Schulen tun etwas: Auf der Volksschulstufe gilt oft das
Handyverbot. Als wären Sach-, Sozial- und Selbstkompetenz, die viel beschworenen
Ideale der Schule, durch die «Natelisierung» der Schüler gefährdet.
Philippe Wampfler fordert ein Obligatorium für digitale Medien, Bild: Tages Anzeiger
Kinder, bringt eure Handys, Tages Anzeiger, 18.11. von Philippe Wampfler
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Diese Haltung wird zunehmend infrage gestellt. Die Handyverbote
verschleissen an Schulen viele Ressourcen und bewirken wenig: Spätestens in der
Lehre oder am Gymnasium fallen die Verbote ohnehin, auch auf die Freizeit haben
die Lehrer keinen Einfluss.
Das Handy als Lerngerät
Sogar die radikale Umkehr scheint denkbar: Seit die Idee Verbreitung
gefunden hat, Schüler mit persönlichen Geräten auszustatten, ist BYOD in aller
Munde: «Bring Your Own Device». Die Aufforderung impliziert, dass Lernende ihre
eigenen Geräte auch in der Schule verwenden, wo sie Stromanschlüsse und WLAN
zur Verfügung gestellt bekommen. Kinder sind mit der Funktionsweise ihrer
Geräte vertraut, sie können ortsunabhängig auf digitale Inhalte zugreifen,
kooperativ arbeiten und auch ohne schulische Anleitung mit ihren Geräten
lernen.
Darf man nun Eltern auffordern, sie müssten ihren Kindern für die Schule
ein Smartphone, ein Tablet oder besser noch einen Laptop kaufen? Und widerspricht
die Schule damit nicht gerade den strengen Regeln, mit denen sie die Nutzung
digitaler Geräte auf dem Schulareal bislang untersagt hat?
Erfahrungen zeigen, dass viele Geräte vorhanden sind und man Eltern
durchaus von der Notwendigkeit überzeugen kann, damit auch in der Schule zu
lernen. Auf der Volksschulstufe braucht es aber Alternativen: Kinder, deren
Eltern keine Geräte kaufen können oder wollen, müssen trotzdem damit
ausgerüstet werden. Der Aufbau der Kompetenzen, die im 21. Jahrhundert bedeutsam
sind, kann mit der Technologie des 20. Jahrhunderts kaum gelingen.
Die Taschencomputer als Lerngegenstand zu behandeln, ist ein
pädagogischer Trick, den Lehrer und Schulen unterschätzen. Die oft beschworene
Gefahr der Ablenkung, die befürchtete Oberflächlichkeit bei der Verarbeitung
und Weitergabe digitaler Informationen: Sie alle relativieren sich, wenn im
Unterricht vorgelebt wird, dass es professionelle Verhaltensweisen im Umgang
mit Technologie gibt.
Ein temporäres Verbot von Smartphones und Tablets während der Schulzeit
ist keine Lösung für diese Problembereiche, sondern eine Kapitulation. Ein
Obligatorium für ein Kulturzugangsgerät – was Smartphone oder Tablet für
Jugendliche sind – schafft hier Abhilfe: Es verhindert, dass Schulen den Aufbau
von Medienkompetenz an externe Anbieter auslagern und so tun, als beträfe er
nicht ihr Kerngeschäft. Es verhindert, dass Lehrer es selbstverständlich
finden, wenn Kinder und Jugendliche beim Umgang mit digitalen Medien
überfordert sind, sie dabei aber nicht begleiten. Und es verhindert, dass
soziale Dynamiken aus dem Klassenzimmer sich von Erwachsenen unbemerkt online
ausbreiten und dort oft traumatisierende Wirkung entfalten.
Tastatur statt Schulheft
Niemand ist empört, wenn Lernende aufgefordert werden, Schreibmaterial,
Bücher oder Hefte in die Schule mitzunehmen. Seit 20 Jahren schreiben die
meisten Erwachsenen nicht mehr von Hand. Warum scheint es verwegen, von
Schülern zu verlangen, sie sollten Schularbeiten mit zeitgemässen Mitteln
verrichten? Trauen sich Schulen diesen Schritt, der in Deutschland aktuell
intensiv diskutiert wird, erschliesst sich ein grosses Potenzial. Pädagogische
Konzepte wie Individualisierung, selbstverantwortetes oder kompetenzorientiertes
Lernen können mit digitalen Mitteln umgesetzt werden, mehr noch: Sie müssen umgesetzt
werden.
Wohin diese Reise geht, die von Lehrern und Schulen die konkrete
Umsetzung didaktischer Schlagwörter erfordert, ist noch unklar. Sie anzutreten,
ist aber unerlässlich.
Philippe Wampfler unterrichtet an der Kantonsschule Wettingen und ist Dozent für Fachdidaktik an der Uni Zürich. Wampfler ist Experte für das Lernen mit neuen Medien.
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