Chemie, Physik und Biologie im Aargau weiterhin möglich
Verstösst der Lehrplan 21 gegen die Verfassung? Es war eine der Fragen,
die an der kantonalen Lehrerkonferenz in Windisch debattiert wurde. Eine
engagierte Runde tauschte sich über Chancen und Gefahren des Lehrplans 21 aus.
Mittendrin: Bildungsdirektor Alex Hürzeler - und der zeigte sich genervt. Lehrplan-21-Gegner planen juristische Schritte und der Bildungsdirektor Hürzeler zeigt sich genervt, Aargauer Zeitung, 18.11. von Jörg Meier
Am 12. Februar entscheidet das Aargauer Stimmvolk über die
Initiative «Ja zu einer guten Bildung – nein zum Lehrplan 21». Die Initianten
wollen mit ihrem Vorstoss die Einführung des Lehrplans 21 im Aargau verhindern.
Nach Ansicht der Regierung würde eine Annahme der Initiative zwar zu einer
Änderung von Paragraf 13 des Schulgesetzes führen; die Einführung des Lehrplans
21 wäre zwar erschwert, aber nicht gefährdet.
Nun hat sich alt Oberrichter Ruedi Weber als Mitglied des
Initiativkomitees zu Wort gemeldet. Weber erklärte, seiner Meinung nach
verstosse der Lehrplan 21 klar gegen die aargauische Verfassung. Denn ein rein
kompetenzorientierter Lehrplan widerspreche dem ganzheitlichen Bildungsansatz,
wie ihn das aargauische Recht fordere. Der Lehrplan 21 werfe altbewährte
Bildungsgrundsätze über Bord, die Persönlichkeitsentwicklung bleibe auf der
Strecke. Die Konsequenz: Falls die Initiative gegen den Lehrplan 21 an der Urne
abgelehnt werde, erwäge man einen Weiterzug an das aargauische
Verwaltungsgericht, sagte Weber am Rande der kantonalen Lehrerkonferenz auf dem
Campus in Windisch. Die Lehrplangegner hatten vor dem Campussaal ein Zelt
aufgestellt, in welchem sie über ihr Anliegen aus «erster Hand» informieren
wollten.
Es war die bisher grösste Veranstaltung in
der Auseinandersetzung um den neuen Lehrplan 21 und die Initiative, die den
neuen Lehrplan im Aargau unbedingt verhindern möchte. Eingeladen hatte die
kantonale Lehrerinnen- und Lehrerkonferenz; rund 200 Lehrpersonen waren der
Einladung in den Campus der Fachhochschule nach Windisch gefolgt.
Das Inputreferat hielt Prof. Sabina
Larcher, die Direktorin der Pädagogischen Hochschule FHNW. Sie bezog nicht
Stellung, sondern präsentierte wissenschaftliche Erkenntnisse. So zeigte sie
die Chancen eines kompetenzorientierten Unterrichts auf; aber sie machte auch
deutlich, dass Kompetenzorientierung alleine noch keinen guten Unterricht
ausmacht. Und sie erinnerte daran, dass zwischen Bildung und Schulbildung ein
Unterschied bestehe; Schulbildung habe Grenzen, sei längst nicht alles und
könne nicht alles. Bildung als Element des Lebens sei immer mehr als nur
Schule. Was auch den Umkehrschluss zuliess: Man darf nicht erwarten, dass die
Schule alles übernimmt und liefert, was mit Bildung zu tun hat.
Auf
dem Podium debattierten anschliessend Regierungsrat Alex Hürzeler und Christine
Davatz, Vizedirektorin des Schweizerischen Gewerbeverbandes, als Befürworter
des Lehrplans 21 mit dem Lehrplan-21-Skeptiker Walter Herzog, emeritierter
Professor für Erziehungswissenschaft an der Uni Bern, und Harald Ronge,
Bezirksschullehrer aus Bremgarten und engagierter Befürworter der Initiative
«Ja zu einer guten Bildung – Nein zum Lehrplan 21». Christiane Büchli, Redaktorin
bei SRF Aargau Solothurn, moderierte das Gespräch souverän.Uneinig waren sich
die vier auf dem Podium schon bei der Einstiegsfrage, ob der vorliegende
Lehrplanentwurf auch eine Chance sei. Er sei die Chance, den Auftrag des Bundes
zu erfüllen, der eine einigermassen harmonisierte Volksschule mit
sprachregionalen Lehrplänen verlange, sagte Bildungsdirektor Hürzeler. Und
Christine Davatz erklärte, aus Sicht der Berufsbildung sei man froh, wenn
endlich alle Abgangszeugnisse nach den gleichen Kriterien abgefasst seien und
sie von den Lehrmeistern entsprechend gelesen und interpretiert werden können.
Harald Ronge sieht keine Chance im vorliegenden Entwurf, den er als
«trojanisches Pferd» bezeichnete. Ronge ist zwar nicht grundsätzlich gegen die
Harmonisierung. Aber Lernziele sollten nicht in Zyklen erfasst werden, sondern
als Jahresziele. Und er ist auch vehement gegen die Formulierung von Lernzielen
in Form von Kompetenzen.
Auch der Berner Walter Herzog sieht wenig
Chancen im neuen Lehrplan. Herzog stört sich daran, dass der Lehrplan wie eine
Litanei daherkomme mit der mehrhundertfachen, stereotypen Formulierung «die
Schülerinnen und Schüler können». «Das Wissen ist dem Können unterstellt»,
kritisiert Herzog. Und damit widerspreche der Lehrplan dem humanistischen
Bildungsziel. Und Harald Ronge doppelte nach: «Mich stört, dass die
pädagogischen Grundlagen des neuen Lehrplans 21 gar nie infrage gestellt worden
sind.»
«In
den Text eintauchen»Hürzeler erklärte, die
Fachdiskussion über die Kompetenzen, Können und Wissen müsse und wolle er den
Fachleuten überlassen. Christine Davatz bestätigte, dass in der Berufsbildung
kompetenzorientierte Bildungsgänge längst die Regel sind; die Volksschule müsse
Schülerinnen und Schüler darauf vorbereiten. «Ich befürchte, dass die
Lehrpersonen nicht genau wissen, was sie machen sollen», sagte Walter Herzog,
für ihn sind die Beschreibungen der Lernziele nicht präzis und gelegentlich
auch zu metaphorisch: «Schülerinnen und Schüler können in einen Text
eintauchen», nannte er als Beispiel. Zudem sei für ihn unklar, wie die
Bewertung der schulischen Leistungen erfolgen solle. Die Unzufriedenheit
mit dem Lehrplan 21 hatte im Aargau zur Initiative geführt. Bildungsdirektor
Hürzeler erwähnte, dass man Ronge zur Mitarbeit an der Verbesserung des
Entwurfs eingeladen habe; das Komitee aber habe die Mitarbeit verweigert und
stattdessen die Initiative eingereicht. Ronge rechtfertigte sich: «Die
Regierung hat verlangt, dass wir die Initiative sistieren. Das wollten wir
nicht. Der Lehrplan 21 ist schon im Ansatz falsch.» Hürzeler
entgegnete, auch bei einem Ja zur Initiative würde die Arbeit am Lehrplan
weitergehen; die Initiative verlange nämlich bloss die Änderung von Paragraf 13
des aargauischen Schulgesetzes. Eine Änderung, die, so Hürzeler, den Aargau
einengen und in die schulische Isolation zwingen würde. Harald Ronge sah das
komplett anders. Für ihn ist klar, dass die Annahme der Initiative das
vorläufige Ende des Lehrplans 21 bedeuten müsste.Walter
Herzog wollte sich nicht in die inneraargauische Diskussion einmischen: «Ich
wohne im Kanton Bern, und das reicht mir eigentlich», sagte er diplomatisch.
Aber ob die Umsetzung des Lehrplans in der Praxis funktioniere, sei für ihn
höchst fraglich; es gebe dazu keine empirische Forschung.
Der genervte Bildungsdirektor
«Es nervt mich ein bisschen, dass
Bildungsbashing der Volksschule zurzeit ziemlich beliebt ist», sagte Hürzeler.
«Der Lehrplan 21 ist nicht an allem schuld», fuhr er fort, «zumal er im Aargau
ja noch gar nicht eingeführt ist.» Er kann sich durchaus vorstellen, dass man
zum Schluss kommt, dass an der Oberstufe im Aargau weiterhin die Fächer Chemie,
Physik und Biologie unterrichtet werden. Was aber nichts an der
Kompetenzorientierung ändern täte. Und was die Bewertung betreffe: «Es wird im
Aargau auch weiterhin Noten geben.»
Einen amüsanten Schlusspunkt unter die
angeregte Diskussion setzte eine Lehrerin im Publikum, die Harald Ronge bat, er
möge doch nochmals die Initiative etwas genauer vorstellen.
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