Landrat Jürg
Wiedemann äussert sich im Interview zu den Initiativen des LVB und begründet das Festhalten an der Lehrplan-21-Initiative der Starken Schule Baselland.
Jürg Wiedemann kämpft für einen Lehrplan mit konkreten Inhalten, Bild: Pino Covino
Für Stoffpläne statt Kompetenzen, Basler Zeitung, 18.11. von Thomas Dähler
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BaZ: Die letzten
Wahlen haben die Prioritäten der Baselbieter Bildungspolitik völlig verändert.
Sie haben damals die Wahl der heutigen Bildungsdirektorin Monica Gschwind
unterstützt. Sind die von ihr angestrebten Ziele der Bildungspolitik auch Ihre?
Jürg Wiedemann: Die Bildungsziele,
welche Monica Gschwind anstrebt, entsprechen weitgehend meinen. Durch ihre
strategisch gute Arbeit hat sie mitgeholfen, die Sammelfächer zu verhindern.
Jetzt möchte sie die Einführung des neuen Lehrplans Volksschule Baselland um
zwei Jahre auf 2020/2021 verschieben. Damit kann dieser mit Stoffinhalten
ergänzt werden. Die Entwicklung von Stoffverteilungsplänen, wie sie Monica
Gschwind nennt, ist eine aufwendige Arbeit – da müssen wir uns nichts
vormachen. Das braucht genügend Zeit, insbesondere auch, um den neuen Lehrplan
in die Vernehmlassung zu schicken und die Akzeptanz bei den Lehrpersonen zu prüfen.
Dieses Vorgehen befürworte ich.
Die vielen Reformen
im Baselbiet wurden mit dem sogenannten Marschhalt gebremst. Bildungsdirektorin
Gschwind sagt, jetzt sei in den Schulen wieder mehr Ruhe eingekehrt. Glauben
auch Sie das?
Am unruhigsten war es
im letzten Amtsjahr von Gschwinds Vorgänger Urs Wüthrich. Die Wahl von Monica
Gschwind hat wesentlich zur Beruhigung beigetragen, ebenso die Einsetzung der
Arbeitsgruppe Marschhalt. Auch die durchgeführte Umfrage bei den Lehrpersonen
zu den Bildungsreformen und die Absicht der Bildungsdirektorin, die
anstehenden kantonalen Volksinitiativen der Starken Schule Baselland schnell
zur Abstimmung zu bringen und die Ergebnisse in den neuen Lehrplan einfliessen
zu lassen, erhöhten das Vertrauen. Leider versucht die SP, eine Unruhe zu
konstruieren, die es so nicht gibt, auch wenn die Sparmassnahmen in der Bildung
da und dort klar zu weit gehen.
Eines hat sich trotz
dem Wechsel an der Spitze der Bildungsdirektion nicht verändert: Es werden
laufend neue Volksinitiativen gestartet. Braucht es diese Opposition von der
Strasse überhaupt noch?
Keine der Initiativen
ist aufgrund der Politik von Monica Gschwind lanciert worden. Das gilt sowohl
für die beiden Fremdsprachen-Initiativen als auch für die Lehrplan-Initiative.
Alle drei streben Korrekturen von Reformen an, die noch von alt Regierungsrat
Urs Wüthrich eingeleitet wurden.
Das mag für die
Initiativen des Komitees Starke Schule Baselland zutreffen. Es wurden aber auch
zwei Initiativen gegen die Sparpläne der neuen Regierung lanciert. Auch bei
diesen Initiativen sind Sie Mitglied des Initiativkomitees.
Sie sprechen die
beiden Volksinitiativen des Lehrerinnen- und Lehrervereins Baselland (LVB) an.
Die Lancierung muss der LVB begründen. Die Stossrichtung halte ich aber für richtig.
Deshalb unterstütze ich beide Anliegen, die das direkte Arbeitsumfeld in den
Schulen und damit gewerkschaftliche Themen betreffen – im Unterschied zur
Starken Schule, die sich vorwiegend mit dem Bildungssystem befasst.
Weshalb tanzen Sie
auf mehreren Hochzeiten? Sie sind Mitglied des Landrats, aber dennoch bei allen
Volksinitiativen mit dabei. Jetzt könnte es sich doch lohnen, die Anliegen in
der neuen Zusammensetzung im Landrat durchzusetzen?
Im Landrat gibt es
nur eine Mehrheit für die Anliegen der Starken Schule, welche die unsäglichen
Bildungsreformen stoppen. Für gewerkschaftliche Anliegen und wenn es um das
Verhindern von Sparmassnahmen geht, finde ich keine Mehrheit.
Wollen Sie in diesem
Bereich mit dem nötigen Druck aus dem Volk den Geldhahn wieder öffnen?
Ja, deshalb braucht
es einen Volksentscheid. Eine gute Bildung ist der Schlüssel für den Erfolg und
den Wohlstand unserer Gesellschaft.
Sprechen wir noch
über die Lehrpläne für die Primar- und Sekundarschule. Angekündigt sind
Stoffverteilungspläne in Ergänzung zu den Kompetenzen des Lehrplans 21.
Weshalb halten Sie und die Starke Schule dennoch an einer Volksinitiative fest,
die Stufenlehrpläne fordert. Genügen Ihnen die Ankündigungen von Frau Gschwind
nicht?
Zwischen der
Variante, wie sie Frau Gschwind möchte und wie sie die Starke Schule vorzieht,
gibt es eine wesentliche Differenz. Der kompetenzlastige Lehrplan 21
propagiert das selbst organisierte Lernen in Grossraumschulzimmern, die beschönigend
als Lernlandschaften bezeichnet werden. Die Lehrpersonen werden zu Lerncoaches
degradiert und erteilen kaum mehr einen fundierten Unterricht. Das wollen wir
nicht. Deshalb möchten wir, dass der neue Lehrplan Stoffinhalte und Themen
enthält und die abstrakten Kompetenzbeschreibungen in einem unverbindlichen
Anhang formuliert werden. Dadurch können wir die vom Lehrplan 21
propagierte Unterrichtsideologie, die alle über einen Kamm schert, verhindern.
Wie wollen Sie solche
Nuancen der Bevölkerung vor einer Volksabstimmung erklären? Ist es nicht eher Ihr
Ziel, den Lehrplan 21 mitsamt seinen Tests und Schulabschlüssen zu
eliminieren?
Die Volksinitiative
hat zwei einfach formulierte Paragrafen, die für alle verständlich sind. Und,
ja, die neu konzipierten Checks sind in der Tat suboptimal. Die Vorbereitung
darauf braucht viel Zeit, die dann im Unterricht fehlt. Sie erzeugen einen
unnötigen Druck auf die Lernenden.
Wenn Sie mit der
Volksinitiative den auf Kompetenzen basierenden Lehrplan 21 aushebeln,
verhindern Sie die Vergleichbarkeit der Leistungen zwischen den Kantonen. Mit
Absicht?
Der Lehrplan 21
ist mit seinen 3500 kaum umsetzbaren Kompetenzbeschreibungen, die jede
Lehrperson anders interpretieren kann, derart umfangreich, dass die
Vergleichbarkeit ohnehin unmöglich ist. Um eine echte Harmonisierung und damit
eine Vergleichbarkeit der Leistungen zu erzielen, braucht es für jedes
Schuljahr klar definierte Stoffinhalte.
Sie fokussieren auf
die Sekundarschule?
Auf der Sekundarstufe
richtet der Lehrplan 21 das grössere Unheil an als auf der Primarstufe.
Künftig will die
Bildungsdirektion die einzelnen Stufen weniger ins Zentrum rücken. Unterstützen
Sie es, dass stärker als bisher die Laufbahnorientierung im Vordergrund steht?
Die
Laufbahnorientierung ist wichtig. Es darf nicht das Ziel sein, möglichst viele
ins Gymnasium zu bringen. Der duale Bildungsweg mit der Berufsmatur muss
gestärkt werden. Ich lehne es im Gegensatz zu einigen bürgerlichen
Bildungspolitikern jedoch ab, dass die Leistungshürden für den
Gymnasiumseintritt erhöht werden. Wichtiger fände ich, den dualen Weg
attraktiver zu gestalten.
Unter Druck stehen
die Brückenangebote, für die Sie sich schon früher engagiert haben. Heute
verfolgt Baselland das Ziel, dass die Ausbildung schon in der Sekundarschule
zielgerichteter erfolgt, sodass es weniger Zusatzschlaufen braucht.
Brückenangebote bauen
Brücken zwischen der obligatorischen Schule und der beruflichen
Arbeitstätigkeit. Einige Schülerinnen und Schüler machen erst spät den Knopf
auf und erreichen die Lernziele in der Volksschule nicht. Für sie sind diese
Brückenangebote sinnvoll. Die Jugendlichen erhalten Zeit, sich zu festigen.
Das heutige Angebot sollten wir deshalb nicht einschränken.
Bildungsdirektorin
Gschwind nimmt auch Einfluss auf die Lehrerausbildung der vier
Nordwestschweizer Kantone und hat auch dazu beigetragen, dass Verbesserungen
möglich wurden. Weshalb kämpfen Sie dennoch mit einer Volksinitiative gegen die
Anstellung von Seklehrern, die von der Pädagogischen Hochschule
Nordwestschweiz, der PH, ausgebildet werden?
Die Sekundarschulen
benötigen für die drei Leistungsprofile Lehrpersonen mit unterschiedlichen
Stärken. Für Lehrpersonen, die an den Sekundarschulen das allgemeine
Leistungsniveau A unterrichten möchten, ist die integrative Ausbildung an der
PH gut. Für Lehrpersonen, welche jedoch die beiden anspruchsvolleren
Leistungsniveaus E und P unterrichten wollen, ist die Fachausbildung an der PH
quantitativ und qualitativ ungenügend.
Die Initiative
verlangt aber nur ein Anstellungsverbot für PH-Abgänger? Es gäbe dann Lehrer,
die im Baselbiet angestellt werden könnten, und solche, die nur noch in allen
anderen Kantonen angestellt werden könnten.
Nein, das stimmt
nicht. Weiterhin könnten alle im Baselbiet unterrichten. Diejenigen mit
integrativem Ausbildungsweg an der PH erhielten jedoch nur befristete
Arbeitsverträge. Das Ziel dieser Lenkungs-Initiative ist es, dass mehr
Studierende die schwierigere Fachausbildung an der Universität absolvieren.
Davon würden die Schulen profitieren. Dieser Ausbildungsweg dauert heute aber
ein Jahr länger und führt erst noch zu einer schlechteren Entlöhnung, obwohl
die Ausbildung fundierter ist als an der PH. Monica Gschwind beabsichtigt,
diese Ungleichbehandlung auszumerzen und die tieferen Löhne nach der
universitären Ausbildung anzuheben. Ich bin unsicher, ob diese Massnahme
genügt. Falls ja, dann könnte die Initiative zurückgezogen werden.
Wann wollen Sie sie
zurückziehen? Sie ist bereits abstimmungsreif.
Im Februar wird noch
nicht darüber abgestimmt. Es bleibt also noch etwas Zeit. Dieses Thema werden
wir sicher mit Monica Gschwind besprechen, auch einen allfälligen Rückzug.
Zum Schluss noch eine
Frage zu den Fremdsprachen. Wie stehen Sie zu den Absichten des Bundes, den
Kantonen dreinzureden?
Die Kantone sind
zerstritten, sie können sich nicht einigen. Deshalb verstehe ich, dass der Bund
Leitlinien erstellen will. Mit der Variante, in der Primarschule mit einer
Landessprache zu beginnen und diese an der Sekundarschule lückenlos
weiterzuführen, kann ich sehr gut leben. Das wäre auch mit unserer Initiative
für nur eine Fremdsprache auf der Primarstufe vereinbar.
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