19. November 2016

Weshalb es die Lehrplan-Initiative braucht

Landrat Jürg Wiedemann äussert sich im Interview zu den Initiativen des LVB und begründet das Festhalten an der Lehrplan-21-Initiative der Starken Schule Baselland.
Jürg Wiedemann kämpft für einen Lehrplan mit konkreten Inhalten, Bild: Pino Covino
Für Stoffpläne statt Kompetenzen, Basler Zeitung, 18.11. von Thomas Dähler
BaZ: Die letzten Wahlen haben die Prioritäten der Baselbieter Bildungspolitik völlig verändert. Sie haben damals die Wahl der heutigen Bildungsdirektorin Monica Gschwind unterstützt. Sind die von ihr angestrebten Ziele der Bildungspolitik auch Ihre?
Jürg Wiedemann: Die Bildungsziele, welche Monica Gschwind anstrebt, entsprechen weitgehend meinen. Durch ihre strategisch gute Arbeit hat sie mitgeholfen, die Sammelfächer zu verhindern. Jetzt möchte sie die Einführung des neuen Lehrplans Volksschule Baselland um zwei Jahre auf 2020/2021 verschieben. Damit kann dieser mit Stoffinhalten ergänzt werden. Die Entwicklung von Stoffverteilungsplänen, wie sie Monica Gschwind nennt, ist eine aufwendige Arbeit – da müssen wir uns nichts vormachen. Das braucht genügend Zeit, insbesondere auch, um den neuen Lehrplan in die Vernehmlassung zu schicken und die Akzeptanz bei den Lehrpersonen zu prüfen. Dieses Vorgehen befürworte ich.
Die vielen Reformen im Baselbiet wurden mit dem sogenannten Marschhalt gebremst. Bildungsdirektorin Gschwind sagt, jetzt sei in den Schulen wieder mehr Ruhe eingekehrt. Glauben auch Sie das?
Am unruhigsten war es im letzten Amtsjahr von Gschwinds Vorgänger Urs Wüthrich. Die Wahl von Monica Gschwind hat wesentlich zur Beruhigung beigetragen, ebenso die Einsetzung der Arbeitsgruppe Marschhalt. Auch die durchgeführte Umfrage bei den Lehrpersonen zu den Bildungs­reformen und die Absicht der Bildungsdirektorin, die anstehenden kantonalen Volksinitiativen der Starken Schule Baselland schnell zur Abstimmung zu bringen und die Ergebnisse in den neuen Lehrplan einfliessen zu lassen, erhöhten das Vertrauen. Leider versucht die SP, eine Unruhe zu konstruieren, die es so nicht gibt, auch wenn die Sparmassnahmen in der Bildung da und dort klar zu weit gehen.
Eines hat sich trotz dem Wechsel an der Spitze der Bildungsdirektion nicht verändert: Es werden laufend neue Volks­initiativen gestartet. Braucht es diese Opposition von der Strasse überhaupt noch?
Keine der Initiativen ist aufgrund der Politik von Monica Gschwind lanciert worden. Das gilt sowohl für die beiden Fremdsprachen-Initiativen als auch für die Lehrplan-Initiative. Alle drei streben Korrekturen von Reformen an, die noch von alt Regierungsrat Urs Wüthrich eingeleitet wurden.
Das mag für die Initiativen des Komitees Starke Schule Baselland zutreffen. Es wurden aber auch zwei Initiativen gegen die Sparpläne der neuen Regierung lanciert. Auch bei diesen Initiativen sind Sie Mitglied des Initiativkomitees.
Sie sprechen die beiden Volksinitiativen des Lehrerinnen- und Lehrervereins Baselland (LVB) an. Die Lancierung muss der LVB begründen. Die Stossrichtung halte ich aber für richtig. Deshalb unterstütze ich beide Anliegen, die das direkte Arbeitsumfeld in den Schulen und damit gewerkschaftliche Themen betreffen – im Unterschied zur Starken Schule, die sich vorwiegend mit dem Bildungssystem befasst.
Weshalb tanzen Sie auf mehreren Hochzeiten? Sie sind Mitglied des Landrats, aber dennoch bei allen Volksinitiativen mit dabei. Jetzt könnte es sich doch lohnen, die Anliegen in der neuen Zusammensetzung im Landrat durchzusetzen?
Im Landrat gibt es nur eine Mehrheit für die Anliegen der Starken Schule, welche die unsäglichen Bildungs­reformen stoppen. Für gewerkschaft­liche Anliegen und wenn es um das Verhindern von Sparmassnahmen geht, finde ich keine Mehrheit.
Wollen Sie in diesem Bereich mit dem nötigen Druck aus dem Volk den Geldhahn wieder öffnen?
Ja, deshalb braucht es einen Volksentscheid. Eine gute Bildung ist der Schlüssel für den Erfolg und den Wohlstand unserer Gesellschaft.
Sprechen wir noch über die Lehrpläne für die Primar- und Sekundarschule. Angekündigt sind Stoffverteilungspläne in Ergänzung zu den Kompetenzen des Lehrplans 21. Weshalb halten Sie und die Starke Schule dennoch an einer Volksinitiative fest, die Stufenlehrpläne fordert. Genügen Ihnen die Ankündigungen von Frau Gschwind nicht?
Zwischen der Variante, wie sie Frau Gschwind möchte und wie sie die Starke Schule vorzieht, gibt es eine wesentliche Differenz. Der kompetenzlastige Lehrplan 21 propagiert das selbst organisierte Lernen in Grossraumschulzimmern, die be­schönigend als Lernlandschaften bezeichnet werden. Die Lehrpersonen werden zu Lerncoaches degradiert und erteilen kaum mehr einen fundierten Unterricht. Das wollen wir nicht. Deshalb möchten wir, dass der neue Lehrplan Stoffinhalte und Themen enthält und die abstrakten Kompetenzbeschreibungen in einem un­verbindlichen Anhang formuliert werden. Dadurch können wir die vom Lehrplan 21 propagierte Unterrichts­ideologie, die alle über einen Kamm schert, verhindern.
Wie wollen Sie solche Nuancen der Bevölkerung vor einer Volksabstimmung erklären? Ist es nicht eher Ihr Ziel, den Lehrplan 21 mitsamt seinen Tests und Schulabschlüssen zu eliminieren?
Die Volksinitiative hat zwei einfach formulierte Paragrafen, die für alle verständlich sind. Und, ja, die neu konzipierten Checks sind in der Tat suboptimal. Die Vorbereitung darauf braucht viel Zeit, die dann im Unterricht fehlt. Sie erzeugen einen unnötigen Druck auf die Lernenden.
Wenn Sie mit der Volksinitiative den auf Kompetenzen basierenden Lehrplan 21 aushebeln, verhindern Sie die Vergleichbarkeit der Leistungen zwischen den Kantonen. Mit Absicht?
Der Lehrplan 21 ist mit seinen 3500 kaum umsetzbaren Kompetenzbeschreibungen, die jede Lehrperson anders interpretieren kann, derart umfangreich, dass die Vergleichbarkeit ohnehin unmöglich ist. Um eine echte Harmonisierung und damit eine Vergleichbarkeit der Leistungen zu erzielen, braucht es für jedes Schuljahr klar definierte Stoffinhalte.
Sie fokussieren auf die Sekundarschule?
Auf der Sekundarstufe richtet der Lehrplan 21 das grössere Unheil an als auf der Primarstufe.
Künftig will die Bildungsdirektion die einzelnen Stufen weniger ins Zentrum rücken. Unterstützen Sie es, dass stärker als bisher die Laufbahnorientierung im Vordergrund steht?
Die Laufbahnorientierung ist wichtig. Es darf nicht das Ziel sein, möglichst viele ins Gymnasium zu bringen. Der duale Bildungsweg mit der Berufsmatur muss gestärkt werden. Ich lehne es im Gegensatz zu einigen bürgerlichen Bildungspolitikern je­­doch ab, dass die Leistungshürden für den Gymnasiumseintritt erhöht werden. Wichtiger fände ich, den dualen Weg attraktiver zu gestalten.
Unter Druck stehen die Brückenangebote, für die Sie sich schon früher engagiert haben. Heute verfolgt Baselland das Ziel, dass die Ausbildung schon in der Sekundarschule zielgerichteter erfolgt, sodass es weniger Zusatzschlaufen braucht.
Brückenangebote bauen Brücken zwischen der obligatorischen Schule und der beruflichen Arbeitstätigkeit. Einige Schülerinnen und Schüler machen erst spät den Knopf auf und erreichen die Lernziele in der Volksschule nicht. Für sie sind diese Brückenangebote sinnvoll. Die Jugend­lichen erhalten Zeit, sich zu festigen. Das heutige Angebot sollten wir deshalb nicht einschränken.
Bildungsdirektorin Gschwind nimmt auch Einfluss auf die Lehrerausbildung der vier Nordwestschweizer Kantone und hat auch dazu beigetragen, dass Verbesserungen möglich wurden. Weshalb kämpfen Sie dennoch mit einer Volksinitiative gegen die Anstellung von Seklehrern, die von der Pädagogischen Hochschule Nordwestschweiz, der PH, ausgebildet werden?
Die Sekundarschulen benötigen für die drei Leistungsprofile Lehrpersonen mit unterschiedlichen Stärken. Für Lehrpersonen, die an den Sekundarschulen das allgemeine Leistungsniveau A unterrichten möchten, ist die integrative Ausbildung an der PH gut. Für Lehrpersonen, welche jedoch die beiden anspruchsvolleren Leistungsniveaus E und P unterrichten wollen, ist die Fachausbildung an der PH quantitativ und qualitativ ungenügend.
Die Initiative verlangt aber nur ein Anstellungsverbot für PH-Abgänger? Es gäbe dann Lehrer, die im Baselbiet angestellt werden könnten, und solche, die nur noch in allen anderen Kantonen angestellt werden könnten.
Nein, das stimmt nicht. Weiterhin könnten alle im Baselbiet unterrichten. Diejenigen mit integrativem Ausbildungsweg an der PH erhielten jedoch nur befristete Arbeitsverträge. Das Ziel dieser Lenkungs-Initiative ist es, dass mehr Studierende die schwierigere Fachausbildung an der Universität absolvieren. Davon würden die Schulen profitieren. Dieser Ausbildungsweg dauert heute aber ein Jahr länger und führt erst noch zu einer schlechteren Entlöhnung, obwohl die Ausbildung fundierter ist als an der PH. Monica Gschwind beabsichtigt, diese Ungleichbehandlung auszumerzen und die tieferen Löhne nach der universitären Ausbildung anzuheben. Ich bin unsicher, ob diese Massnahme genügt. Falls ja, dann könnte die Initiative zurückgezogen werden.
Wann wollen Sie sie zurückziehen? Sie ist bereits abstimmungsreif.
Im Februar wird noch nicht darüber abgestimmt. Es bleibt also noch etwas Zeit. Dieses Thema werden wir sicher mit Monica Gschwind besprechen, auch einen allfälligen Rückzug.
Zum Schluss noch eine Frage zu den Fremdsprachen. Wie stehen Sie zu den Absichten des Bundes, den Kantonen dreinzureden?

Die Kantone sind zerstritten, sie können sich nicht einigen. Deshalb verstehe ich, dass der Bund Leitlinien erstellen will. Mit der Variante, in der Primarschule mit einer Landessprache zu beginnen und diese an der Sekundarschule lückenlos weiterzuführen, kann ich sehr gut leben. Das wäre auch mit unserer Initiative für nur eine Fremdsprache auf der Primarstufe vereinbar.

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