22. November 2016

Lehrplananpassung dringend nötig

Derzeit wird im Kanton Thurgau heftig über den neuen Lehrplan Volksschule Thurgau debattiert oder vielmehr gestritten. Dem Regierungsrat soll mit einer Initiative unter anderem die Kompetenz entzogen werden, weiterhin den Lehrplan und die Stundentafel zu erlassen. Gleichzeitig wollen die Initianten die auf nächsten Sommer geplante Einführung des neuen Lehrplans verhindern. Vorweg: Kritische Auseinandersetzungen in bildungspolitischen Themen sind nicht neu und sogar erwünscht.
Traditioneller und innovativer Lehrplan, NZZ, 22.11. Gastkommentar von Monika Knill


Vor 183 Jahren wurde die heutige Volksschule Thurgau mit der Lehrerbildungsstätte in Kreuzlingen gegründet und hat sich seither in gezielten Schritten auf verschiedenen Ebenen weiterentwickelt. Der gesetzliche Grundauftrag ist dabei weitgehend unverändert geblieben, ebenso die ausführenden Verantwortlichkeiten des Regierungsrates. Verschiedene Paragrafen im Volksschulgesetz definieren den Auftrag an die Entscheidungsträger: «Die Volksschule fördert die geistigen, seelischen und körperlichen Fähigkeiten der Kinder. In Ergänzung zum Erziehungsauftrag der Eltern erzieht sie die Kinder nach christlichen Grundsätzen und demokratischen Werten zu selbständigen, lebenstüchtigen Persönlichkeiten und zu Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Mitmenschen und der Umwelt. (. . .) Der Unterricht hat sich den jeweiligen Zeit- und Lebensanforderungen anzupassen.» Eine zeitgemässe Volksschule mit Bodenhaftung und gesellschaftlicher Verankerung muss ihre Lehrpläne von Zeit zu Zeit anpassen. Nach über zwanzig Jahren ist es nun dringend fällig, einige neue Entwicklungen (Medien und Informatik) in den Lehrplan aufzunehmen. Die Arbeits- und Berufswelt steckt in einem tiefgreifenden Wandel, dem sich auch die Volksschule in Bezug auf ihre Bildungsziele nicht gänzlich entziehen darf. Der neue Lehrplan trägt daher Bewährtem – insbesondere einer ganzheitlichen Bildung – weiterhin in hohem Masse Rechnung und wird durch gezielte Neuerungen ergänzt. Die Beibehaltung des bisherigen Lehrplans wäre in gewissen Fachbereichen sogar eine Missachtung des gesetzlichen Auftrages, da sich der Unterricht nachweislich nicht mehr an den jeweiligen Zeit- und Lebensanforderungen ausrichtet. Seit 2012 bereitet sich das Bildungsdepartement zusammen mit den Bildungsverbänden und Schulgemeinden auf die Einführung des neuen Lehrplans Volksschule Thurgau vor. Völlig unbestritten ist, dass der gezielte Bildungsaufbau nur mit solidem Grundwissen wie Lesen, Rechnen, Schreiben erfolgen kann. Der neue Lehrplan umfasst die Lernziele und Lerninhalte, nicht aber Vorschriften, wie diese vermittelt werden. Im Mittelpunkt jeder erfolgreichen Volksschule stehen gute Lehrerinnen und Lehrer, die fordern und fördern und selber am besten wissen, welche Inhalte mit welchen Lehr- und Lernformen zu verbinden sind. So eben, wie später auf der Sekundarstufe II jeder Ausbildungsverantwortliche seine Lehrlinge dazu befähigt, die Kompetenzziele als Schreiner, Informatiker, Fachangestellte Gesundheit und in weiteren über 250 Berufen zu erreichen.

Natürlich kann unsere gute Volksschule mit pauschalen Behauptungen so lange schlechtgeredet werden, bis sie es eines Tages tatsächlich auch wird. Ich wehre mich dagegen, weil damit die bisherigen Leistungen unserer engagierten Lehrpersonen wie auch der Schüler infrage gestellt sind. Unsere Volksschulen weisen eine hohe Tragfähigkeit auf. Sie nehmen die gesellschaftlichen Herausforderungen täglich an und begegnen den Verschiedenheiten der Kinder sehr professionell. Und wie überall gilt auch hier: Keine Regeln ohne Ausnahmen. Keine Volksschule ohne Entwicklungspotenzial. Kein Lehrplan 21 ohne die persönlichen Erkenntnisse, dass es da und dort durchaus noch «bessere» Formulierungen gäbe. Ein Lehrplan ist und bleibt auch weiterhin «nur» ein Planungsinstrument und ersetzt in keiner Weise gute Lehrpersonen im Klassenzimmer, fähige Schulleitungspersonen und verantwortungsbewusste Schulbehörden. Eine Ablehnung des neuen Lehrplans wirft uns hingegen Jahre zurück in eine scheinbar «Gute-Zeiten-Welt», die es so nie gab: gute Nacht, Bildungsland Schweiz.


Monika Knill ist Regierungsrätin und Vorsteherin des Departements für Erziehung und Kultur des Kantons Thurgau.

1 Kommentar:

  1. Offenbar reicht die Propaganda in der Thurgauer Zeitung noch nicht. Nun muss auch noch die NZZ unterstützend eingreifen.

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