Derzeit wird im Kanton Thurgau heftig über den neuen Lehrplan
Volksschule Thurgau debattiert oder vielmehr gestritten. Dem Regierungsrat soll
mit einer Initiative unter anderem die Kompetenz entzogen werden, weiterhin den
Lehrplan und die Stundentafel zu erlassen. Gleichzeitig wollen die Initianten
die auf nächsten Sommer geplante Einführung des neuen Lehrplans verhindern.
Vorweg: Kritische Auseinandersetzungen in bildungspolitischen Themen sind nicht
neu und sogar erwünscht.
Traditioneller und innovativer Lehrplan, NZZ, 22.11. Gastkommentar von Monika Knill
Vor 183 Jahren wurde die heutige Volksschule Thurgau mit der
Lehrerbildungsstätte in Kreuzlingen gegründet und hat sich seither in gezielten
Schritten auf verschiedenen Ebenen weiterentwickelt. Der gesetzliche
Grundauftrag ist dabei weitgehend unverändert geblieben, ebenso die ausführenden
Verantwortlichkeiten des Regierungsrates. Verschiedene Paragrafen im
Volksschulgesetz definieren den Auftrag an die Entscheidungsträger: «Die
Volksschule fördert die geistigen, seelischen und körperlichen Fähigkeiten der
Kinder. In Ergänzung zum Erziehungsauftrag der Eltern erzieht sie die Kinder
nach christlichen Grundsätzen und demokratischen Werten zu selbständigen,
lebenstüchtigen Persönlichkeiten und zu Verantwortungsbewusstsein gegenüber den
Mitmenschen und der Umwelt. (. . .) Der Unterricht hat sich den jeweiligen
Zeit- und Lebensanforderungen anzupassen.» Eine zeitgemässe Volksschule mit
Bodenhaftung und gesellschaftlicher Verankerung muss ihre Lehrpläne von Zeit zu
Zeit anpassen. Nach über zwanzig Jahren ist es nun dringend fällig, einige neue
Entwicklungen (Medien und Informatik) in den Lehrplan aufzunehmen. Die Arbeits-
und Berufswelt steckt in einem tiefgreifenden Wandel, dem sich auch die
Volksschule in Bezug auf ihre Bildungsziele nicht gänzlich entziehen darf. Der
neue Lehrplan trägt daher Bewährtem – insbesondere einer ganzheitlichen Bildung
– weiterhin in hohem Masse Rechnung und wird durch gezielte Neuerungen ergänzt.
Die Beibehaltung des bisherigen Lehrplans wäre in gewissen Fachbereichen sogar
eine Missachtung des gesetzlichen Auftrages, da sich der Unterricht
nachweislich nicht mehr an den jeweiligen Zeit- und Lebensanforderungen
ausrichtet. Seit 2012 bereitet sich das Bildungsdepartement zusammen mit den
Bildungsverbänden und Schulgemeinden auf die Einführung des neuen Lehrplans
Volksschule Thurgau vor. Völlig unbestritten ist, dass der gezielte
Bildungsaufbau nur mit solidem Grundwissen wie Lesen, Rechnen, Schreiben
erfolgen kann. Der neue Lehrplan umfasst die Lernziele und Lerninhalte, nicht
aber Vorschriften, wie diese vermittelt werden. Im Mittelpunkt jeder
erfolgreichen Volksschule stehen gute Lehrerinnen und Lehrer, die fordern und
fördern und selber am besten wissen, welche Inhalte mit welchen Lehr- und
Lernformen zu verbinden sind. So eben, wie später auf der Sekundarstufe II jeder
Ausbildungsverantwortliche seine Lehrlinge dazu befähigt, die Kompetenzziele
als Schreiner, Informatiker, Fachangestellte Gesundheit und in weiteren über
250 Berufen zu erreichen.
Natürlich kann unsere gute Volksschule mit pauschalen Behauptungen so
lange schlechtgeredet werden, bis sie es eines Tages tatsächlich auch wird. Ich
wehre mich dagegen, weil damit die bisherigen Leistungen unserer engagierten
Lehrpersonen wie auch der Schüler infrage gestellt sind. Unsere Volksschulen
weisen eine hohe Tragfähigkeit auf. Sie nehmen die gesellschaftlichen
Herausforderungen täglich an und begegnen den Verschiedenheiten der Kinder sehr
professionell. Und wie überall gilt auch hier: Keine Regeln ohne Ausnahmen.
Keine Volksschule ohne Entwicklungspotenzial. Kein Lehrplan 21 ohne die
persönlichen Erkenntnisse, dass es da und dort durchaus noch «bessere»
Formulierungen gäbe. Ein Lehrplan ist und bleibt auch weiterhin «nur» ein
Planungsinstrument und ersetzt in keiner Weise gute Lehrpersonen im
Klassenzimmer, fähige Schulleitungspersonen und verantwortungsbewusste
Schulbehörden. Eine Ablehnung des neuen Lehrplans wirft uns hingegen Jahre
zurück in eine scheinbar «Gute-Zeiten-Welt», die es so nie gab: gute Nacht,
Bildungsland Schweiz.
Monika Knill ist Regierungsrätin und Vorsteherin des Departements für
Erziehung und Kultur des Kantons Thurgau.
Offenbar reicht die Propaganda in der Thurgauer Zeitung noch nicht. Nun muss auch noch die NZZ unterstützend eingreifen.
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