Beim Thema Integration/Inklusion (sowie auch Lernatelier,
altersdurchmischtes Lernen, etc.) wird stillschweigend angenommen, dass
Schulklassen einfach eine Ansammlung von Einzelindividuen seien. Man meint, die
Arbeit sei getan, wenn man nur genügend Programme auf die Individuen
zuschneidet, ob die Lernenden nun hoch- oder durchschnittlich begabt,
vielseitig oder einseitig talentiert, langsam oder schnell, selbstständig
oder unsicher, verhaltensauffällig oder normalverträglich, behindert oder nicht
behindert sind. Daraus erklärt sich der Standpunkt der
Erziehungsbehörden: Lehrpersonen müssen halt mit Heterogenität umgehen lernen,
heilpädagogische Hilfe wird, falls verfügbar, in Dosen zugeführt, sei es im
Gruppenraum, sei es im Klassenzimmer. Alles kann modulartig geplant und
organisiert werden, ist machbar, und jedes Kind kommt zu seinem Recht und
Glück.
Von Felix Schmutz, 14.11.
In dieser Kalkulation fehlt aber etwas: Völlig ausgeblendet wurde, dass
Schulklassen immer überindividuelle soziale Konstrukte darstellen,
sozio-dynamisch funktionierende Gruppen, die je nach Voraussetzungen und
Zusammensetzung günstige oder ungünstige Wirkungen auf das Lernen und die
Entwicklung der Einzelnen entfalten. Eine Gruppe kann nur fruchtbare Wirkung
für alle und für die Einzelnen haben, wenn es gelingt, sie durch
Steuerung auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören, zu dem jedes Mitglied einen
Beitrag leisten kann, der von den andern anerkannt wird. Gelingt das nicht,
entwickelt sich im Laufe der Zeit eine soziale Eigendynamik, die alle
wohlgemeinten, auf Individuen zugeschnittenen Programme unterlaufen kann. Je
älter Kinder und Jugendliche werden, desto mehr verselbständigt sich die
Gruppendynamik von den Einwirkungen der Lehrpersonen. Das Problem scheint zu
sein, dass nicht nur die Lehrpersonen, sondern auch die Lernenden mit
Heterogenität umgehen können müssen. Wo aber haben sie das lernen
können, bevor sie in eine Klasse eintreten? Wie können Störungen durch
entwicklungsbedingte Ursachen wie Sympathie/Antipathie, Ungeduld, Frustration,
Neid, Schadenfreude, kriminelle Neigungen, Suchtverhalten, Empathieschwäche, etc.
ausgeschaltet werden? Und können das alle so leicht lernen, wenn sie nach
individuellen Programmen beschult werden?
Wenn die Eigendynamik der Gruppe das Schulzimmer zur Hölle macht (vgl.
Jean-Paul Sartre Huis clos), bzw. gewisse Schülergruppen unter der
Dynamik leiden oder nicht mehr tragbar sind, genügt Individualisierung nicht,
räumliche Trennung wird nötig, Krisen bauen sich auf, runde Tische zerreden die
Probleme, scheuen vor Lösungen zurück und verbraten Zeit, Lehrpersonen
verabschieden sich ins Burn-Out, Eltern greifen ein und nehmen ihre Kinder aus
der Klasse, und somit wird die Integration/Inklusion zur reinen Fiktion.
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