30. Oktober 2016

Souveränität über die Volksschule zurückgewinnen

«Soll die Bevölkerung beim Schulstoff mitreden?» oder wird die Bildung gar «verpolitisiert»? Wegen solchen und ähnlichen Aussagen in Zeitungsartikeln oder auch im Gespräch mit Bürgern und Bürgerinnen ist es wohl an der Zeit, Klarheit zu schaffen: Mit der Verfassungsinitiative «Mitsprache bei wichtigen Bildungsfragen» soll die Schule in erster Linie wieder der demokratischen Kontrolle unterstellt werden. Warum das wichtig ist, möchte ich im Folgenden aufzeigen, denn die gegenwärtige Entwicklung weist leider in eine ganz andere Richtung. Grundlegende Reformen werden europaweit an der Öffentlichkeit vorbei eingeführt. Seit den neunziger Jahren ist dieser Prozess der Entdemokratisierung und Ökonomisierung auch in der Schweiz in vollem Gange.
Soll die Bevölkerung bei grundlegenden Fragen der Volksschule mitreden? Bündner Tagblatt, 29.10. von Elisabeth Calcagnini



Eine «sanfte» Revolution an unseren demokratischen Institutionen vorbei

Angestossen wurde diese Umwälzung indem – ähnlich wie im Gesundheitswesen – auch im Schulwesen die Methode des New Public Management (NPM) flächendeckend eingeführt wurde. 1999 unterschrieb die Schweiz, ohne irgendwelche demokratische Legitimation den Bologna-Vertrag, eine europaweite Harmonisierung der Studiengänge und ein lautloser Abschied von unserer humanistischen Bildungskultur. Mit der Einführung der Pisa-Vergleichsstudien im Jahr 2000 schreitet die von internationaler Ebene aus gesteuerte Bildungsreform auch in der Volksschule voran. Schon seit Jahren werden die bestehenden Werte, Begriffe und Organisationsformen den internationalen Vorgaben angepasst. Ein Wandel, der weder öffentlich diskutiert, noch politisch wahrgenommen wurde. Mit der nun verfügten Einführung des Lehrplans 21 findet diese Entwicklung ihren vorläufigen traurigen Höhepunkt.

Wir wollen die Souveränität über die Volksschule zurückgewinnen!

In vielen Gesprächen sahen wir uns bestätigt: Die Bevölkerung will die Souveränität über die Schule zurück haben. Das Bildungswesen geht alle etwas an; es soll bürgernah und demokratisch eingebettet sein. Darum ist die vorgeschlagene Verfassungsänderung sinnvoll und wichtig. In Zukunft soll der Grosse Rat wichtige Änderungen im Bildungswesen beraten, mit der Möglichkeit eines fakultativen Referendums für die Stimmbevölkerung.

Mit der Gesetzesinitiative sollen grundlegende Inhalte und Ziele auf Gesetzesebene geregelt werden. Da der Lehrplan 21 im Grunde gar kein Lehrplan, sondern eine Systemänderung ist, hätte dieser eigentlich von Anfang an von einer Gesetzesanpassung begleitet werden sollen.

Ein problematisches Bildungsverständnis

Das Bildungsverständnis hinter dem Lehrplan 21 ist sehr problematisch. Lernziele werden in Kompetenzen umbenannt und die Schüler sollen nicht zu viel Zeit damit verlieren, schnell wieder veraltetes Wissen zu pauken. Wissen soll direkt anwendbar sein, nur so nützt es etwas. Diese Sicht von Bildung greift zu kurz. Wissen ist mehr als Information, wirkliches Wissen kann auch nicht gegoogelt werden. Wissen heisst erkennen und die Welt verstehen, Informationen miteinander verknüpfen, Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden, Entscheidungen treffen. Kinder lernen, indem sie sich für eine Sache begeistern, mit anderen austauschen und sich in den Stoff vertiefen. Doch mit dem im Lehrplan 21 favorisierten selbstentdeckenden Lernen und der Anforderung, dass Kinder in eigener Verantwortung Lernwege suchen und ihr Vorgehen dann auch noch selbst beurteilen sollen, ist der Oberflächlichkeit Tür und Tor geöffnet. Dies vor allem dann, wenn die Lehrperson – wie vorgesehen – in den Hintergrund tritt und «Lernumgebungen» mit entsprechendem Arbeitsmaterial gestaltet. Kinder brauchen die persönliche Ansprache, bestärkende Rückmeldungen und angemessene Forderungen. Dazu kommt, dass viele der neuen Schulbücher kaum mehr einen systematischen Aufbau aufweisen und zu wenig Raum für Vertiefung und Übung bieten. All das wird zur Folge haben, dass weniger solide Grundkenntnisse erworben werden, dass sich die Leistungsschere enorm vergrössern wird und viele Schüler auf der Strecke bleiben werden.


Der von uns im Gesetzestext geforderte Lehrplan, der grundlegende Inhalte und Ziele des Unterrichts und verbindliche Jahresziele in den einzelnen Klassen und Fächern vorgibt, ist von immenser Bedeutung für eine Bildung, die ihren Namen verdient. Und darum sollen in Zukunft Lehrpläne vom Grossen Rat genehmigt werden mit dem Recht der Bevölkerung auf das fakultative Referendum. Es geht um die Zukunft unserer Kinder und Enkel.

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