«Soll die
Bevölkerung beim Schulstoff mitreden?» oder wird die Bildung gar «verpolitisiert»?
Wegen solchen und ähnlichen Aussagen in Zeitungsartikeln oder auch im Gespräch
mit Bürgern und Bürgerinnen ist es wohl an der Zeit, Klarheit zu schaffen: Mit
der Verfassungsinitiative «Mitsprache bei wichtigen Bildungsfragen» soll die
Schule in erster Linie wieder der demokratischen Kontrolle unterstellt werden.
Warum das wichtig ist, möchte ich im Folgenden aufzeigen, denn die gegenwärtige
Entwicklung weist leider in eine ganz andere Richtung. Grundlegende Reformen
werden europaweit an der Öffentlichkeit vorbei eingeführt. Seit den neunziger
Jahren ist dieser Prozess der Entdemokratisierung und Ökonomisierung auch in
der Schweiz in vollem Gange.
Soll die Bevölkerung bei grundlegenden Fragen der Volksschule mitreden? Bündner Tagblatt, 29.10. von Elisabeth Calcagnini
Eine «sanfte» Revolution an unseren demokratischen Institutionen vorbei
Angestossen
wurde diese Umwälzung indem – ähnlich wie im Gesundheitswesen – auch im
Schulwesen die Methode des New Public Management (NPM) flächendeckend
eingeführt wurde. 1999 unterschrieb die Schweiz, ohne irgendwelche demokratische
Legitimation den Bologna-Vertrag, eine europaweite Harmonisierung der
Studiengänge und ein lautloser Abschied von unserer humanistischen
Bildungskultur. Mit der Einführung der Pisa-Vergleichsstudien im Jahr 2000 schreitet
die von internationaler Ebene aus gesteuerte Bildungsreform auch in der Volksschule
voran. Schon seit Jahren werden die bestehenden Werte, Begriffe und
Organisationsformen den internationalen Vorgaben angepasst. Ein Wandel, der
weder öffentlich diskutiert, noch politisch wahrgenommen wurde. Mit der nun verfügten
Einführung des Lehrplans 21 findet diese Entwicklung ihren vorläufigen
traurigen Höhepunkt.
Wir wollen die Souveränität über
die Volksschule zurückgewinnen!
In vielen
Gesprächen sahen wir uns bestätigt: Die Bevölkerung will die Souveränität über
die Schule zurück haben. Das Bildungswesen geht alle etwas an; es soll
bürgernah und demokratisch eingebettet sein. Darum ist die vorgeschlagene Verfassungsänderung
sinnvoll und wichtig. In Zukunft soll der Grosse Rat wichtige Änderungen im
Bildungswesen beraten, mit der Möglichkeit eines fakultativen Referendums für
die Stimmbevölkerung.
Mit der
Gesetzesinitiative sollen grundlegende Inhalte und Ziele auf Gesetzesebene
geregelt werden. Da der Lehrplan 21 im Grunde gar kein Lehrplan, sondern eine
Systemänderung ist, hätte dieser eigentlich von Anfang an von einer
Gesetzesanpassung begleitet werden sollen.
Ein problematisches
Bildungsverständnis
Das
Bildungsverständnis hinter dem Lehrplan 21 ist sehr problematisch. Lernziele
werden in Kompetenzen umbenannt und die Schüler sollen nicht zu viel Zeit damit
verlieren, schnell wieder veraltetes Wissen zu pauken. Wissen soll direkt
anwendbar sein, nur so nützt es etwas. Diese Sicht von Bildung greift zu kurz.
Wissen ist mehr als Information, wirkliches Wissen kann auch nicht gegoogelt
werden. Wissen heisst erkennen und die Welt verstehen, Informationen
miteinander verknüpfen, Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden, Entscheidungen
treffen. Kinder lernen, indem sie sich für eine Sache begeistern, mit anderen austauschen
und sich in den Stoff vertiefen. Doch mit dem im Lehrplan 21 favorisierten
selbstentdeckenden Lernen und der Anforderung, dass Kinder in eigener Verantwortung
Lernwege suchen und ihr Vorgehen dann auch noch
selbst beurteilen sollen,
ist der Oberflächlichkeit Tür und Tor geöffnet. Dies vor allem dann, wenn die
Lehrperson – wie vorgesehen – in den Hintergrund tritt und «Lernumgebungen» mit
entsprechendem Arbeitsmaterial gestaltet. Kinder brauchen die persönliche
Ansprache, bestärkende Rückmeldungen und angemessene Forderungen. Dazu kommt,
dass viele der neuen Schulbücher kaum mehr einen systematischen Aufbau
aufweisen und zu wenig Raum für Vertiefung und Übung bieten. All das wird zur
Folge haben, dass weniger solide Grundkenntnisse erworben werden, dass sich die
Leistungsschere enorm vergrössern wird und viele Schüler auf der Strecke
bleiben werden.
Der von uns
im Gesetzestext geforderte Lehrplan, der grundlegende Inhalte und Ziele des
Unterrichts und verbindliche Jahresziele in den einzelnen Klassen und Fächern vorgibt,
ist von immenser Bedeutung für eine Bildung, die ihren Namen verdient. Und darum sollen in Zukunft Lehrpläne vom Grossen Rat
genehmigt werden mit dem Recht der Bevölkerung auf das fakultative Referendum. Es
geht um die Zukunft unserer Kinder und Enkel.
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