Was tun mit
verhaltensauffälligen und schwachen Schülern? Während sie früher meist in
Kleinklassen versorgt wurden, werden sie heute normalerweise in die Regelklasse
integriert und von Heilpädagogen unterstützt. In diese Richtung haben sich die
meisten Schweizer Schulen in den letzten zehn Jahren entwickelt. Das bringe
Unruhe in die Klasse, störe die Mitschüler und überfordere die Lehrer, sagen
Kritiker.
Umstrittene Kleinklassen, NZZaS, 30.10. von René Donzé
Im
Kanton Aargau haben darum SVP und FDP zum Angriff auf das System geblasen. Mit
je einer Motion fordern sie, dass auf integrierte Heilpädagogik verzichtet wird
und Schüler mit Lern- und Verhaltensschwierigkeiten nur noch in Kleinklassen
gefördert werden. Damit würde der Aargau eine bildungspolitische Trendwende
einläuten. Die FDP schreibt, die integrative Schulungsform habe ihre Ziele
verfehlt, darum stehe sie heute schweizweit auf dem Prüfstand. Über die beiden
Vorstösse wird am 8. November im Kantonsparlament diskutiert.
Nun
schaltet sich die Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik aus Zürich in die
Debatte ein. «Es geht hier um grundsätzliche Fragen von nationaler Bedeutung»,
sagt Steff Aellig von der Hochschule. Er hat mit Departementsleiter Josef
Steppacher relevante Studien zum Thema zusammengefasst und eine Dokumentation
erstellt, die sie in den nächsten Tagen Aargauer Politikern und Medien
zuschicken werden.
Das
Fazit ist klar: Kinder und Jugendliche, die in Kleinklassen zur Schule gehen,
werden stigmatisiert und haben es später viel schwerer als solche, die in
Regelklassen integriert werden. «Integriert geschulte Kinder mit Lern- oder
Verhaltensproblemen haben signifikant höhere Chancen auf einen
erfolgversprechenden Berufszugang, als dies ehemalige Sonderklässler haben»,
wird eine Studie der Pädagogischen Hochschule Bern zitiert. Für Aellig ist dies
das schlagkräftigste Argument. «Es geht um die langfristigen Perspektiven
dieser Kinder.» Je besser diese seien, desto besser sei das auch für die
Gesellschaft.
Wie
sehr die integrierten Schüler kurzfristig profitieren, ist weniger klar: Einige
Studien sprechen von besseren Lernfortschritten, andere wiederum relativieren
das. Auch darauf weist das Dossier hin. «Wir wollen die Diskussion
versachlichen», sagt Aellig. Gleichzeitig aber verstehe man sich als Anwälte
sowohl der betroffenen Kinder als auch der Fachpersonen, die von der Hochschule
ausgebildet werden. SVP-Grossrat Richard Plüss erstaunt es nicht, dass sich die
Hochschule zu Wort meldet: «Es geht schliesslich um ihre Klientel», sagt er.
Der Aargau gehört zu den 13 Trägerkantonen der Schule.
In
der Sache zeichnet sich inzwischen ein mehrheitsfähiger Kompromiss ab. Die
Regierung lehnt zwar die SVP-Motion ab. Den FDP-Vorstoss würde sie aber als
Postulat entgegennehmen. Sie will prüfen, wie schwierige oder schwache Schüler
vorübergehend oder während gewisser Stunden separat beschult werden können.
«Ich kann mir vorstellen, dass wir darauf einschwenken», sagt Plüss. Auch
FDP-Grossrätin Sabina Freiermuth zeigt sich dialogbereit: «Wir wollen ja nicht
zurück zum alten System, sondern gezielt Probleme lösen.» Die SP signalisiert
ebenfalls Zustimmung zu diesem Vorgehen.
Solche
Time-outs oder vorübergehende Placierungen in Kleinklassen könnten durchaus
sinnvoll sein, sagt Aellig – solange die Schüler wieder den Weg zurück in die
Regelklasse fänden. «Man darf über die Integration durchaus auch kritisch
diskutieren», sagt er. Die Hochschule für Heilpädagogik wolle sich aber in
Zukunft vermehrt in diese politische Debatte einbringen. Gelegenheit dazu wird
es weiterhin geben. So hat unlängst der Zürcher Kantonsrat die Regierung damit
beauftragt, Aufwand und Ertrag der schulischen Integration kritisch zu
überprüfen.
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