Die
Hoffnungen waren gross. Vor über einem Jahr verkündeten die Berner Schulen, auf
Bussen zu verzichten, wenn Jenische und Sinti ihre Kinder nicht in die Schule
schickten. Damit wolle man ein Zeichen des Vertrauens setzen, sagte die Berner
Schulamtsleiterin Irene Hänsenberger damals gegenüber dieser Zeitung. Rund
eineinhalb Jahre später gibt Hänsenberger auf. Das Experiment ist gescheitert.
«Wir haben uns entschieden, wieder Bussen einzusetzen», sagt Hänsenberger. Ihre
Behörden hätten den Eindruck, dass einige Familien es ausgenutzt hätten, dass
sie keine Konsequenzen fürchten mussten: «Für einige Eltern war es ein falsches
Signal.» Hänsenberger will nun Verbindlichkeit herstellen: «Das geht nur, wenn
wir uns selbst strikt an die Regeln halten.» Deshalb werde sie die
Schulkommission instruieren, wieder Bussen zu verteilen.
Gratis-Laptops und Bussendrohung, Sonntagszeitung, 30.10. von Fiona Endres
Seit
1998 sind Jenische in der Schweiz als nationale Minderheit anerkannt. Dass
nicht alle Kinder die Schulpflicht einhalten, führt immer wieder zu Konflikten.
Die fahrende Lebensweise passt nicht zur Idee eines traditionellen
Schulprogramms. Viele Kinder verlieren den Anschluss an die reguläre
Schulklasse. Bundesrat und Politik sind sich aber darin einig, dass Jenische
ihre fahrende Lebensweise beibehalten können und ihren Kindern alternative
Unterrichtsformen geboten werden sollen.
«Es ist anstrengend und energieraubend»
Wenn man Hänsenberger zur Arbeit mit Jenischen
und Sinti in Schulen fragt, seufzt sie. «Es ist anstrengend und
energieraubend.» Die grössten Konflikte gibt es mit Familien, die den Behörden
kritisch gegenüberstehen und nicht mitmachen wollen. Und doch glaubt die
Schulamtsleiterin immer noch an eine Lösung. Und zwar dank einem neuen
Lernkonzept: Kinder und Jugendliche vom Standplatz «Buech» sollen Gratis-Laptops
mit Lernprogrammen erhalten. Zudem werde das Schulamt sicherstellen, dass die
Familien ein funktionierendes Internet zur Verfügung hätten, sagt Hänsenberger:
«Damit erhoffen wir uns, dass die Aufgabenblätter öfter zurückgeschickt werden
als bisher.» Mit den Laptops will Bern den Jenischen einen Anreiz geben, in der
Schulfrage zu kooperieren. Denn nicht alle erhalten ein Gratis-Gerät: «Wir
werden nur den Familien Laptops geben, die wirklich mitmachen.» Dieses neue
Lernkonzept ist auf den kommenden Sommer geplant. Besucht man die Website des
Bundesamts für Kultur und navigiert zum Bereich «Fahrende», findet man sich auf
einer praktisch leeren Seite wieder. «Dieser Bereich wird zurzeit
überarbeitet», steht dort. Der Satz könnte stellvertretend für die Beziehung
zwischen Fahrenden und Behörden stehen. Seit mehreren Jahren versucht das
Bundesamt für Kultur (BAK), die Vertreter von Jenischen, Sinti und Roma sowie
von den Behörden an einen runden Tisch zu bringen.
Das Bundesamt für Kultur ist ein Jahr zu spät
Nicht
nur die Schulfrage muss geklärt werden. Hohe Priorität hat auch der Bedarf nach
mehr Stand- und Durchgangsplätzen. Doch der Weg ist steinig. 2014 musste eine
erste Arbeitsgruppe aufgelöst werden, nachdem einige Fahrende unter Protest den
Saal verlassen hatten. Im März 2015 startete man den Neuanfang. Das Ziel: ein
Aktionsplan, der die Streitpunkte regeln soll. Bis Ende 2015. Auch fast ein
Jahr nach der Frist liegt kein Aktionsplan vor. Es handle sich um ein
«ausgesprochen komplexes Dossier mit zahlreichen unterschiedlichen Akteuren»,
sagt BAK-Sprecher Daniel Menna. Ein Entwurf liege vor, doch er bedürfe noch
Abschlussarbeiten. Tatsächlich sind sich die Fahrenden selbst oft nicht einig.
Doch nicht nur von ihnen, auch von einigen Behördenvertretern gibt es Kritik am
BAK: Das Amt sei «blauäugig» und «naiv» an die Verhandlungen gegangen. Das sei
der wahre Grund für die Verspätung. Menna will das nicht kommentieren.
«Nicht
in Ordnung» ist die Verzögerung für die Bündner SP-Nationalrätin Silva
Semadeni: «Diese Frist wurde uns so versprochen.» Sie und die ehemalige
Grünen-Nationalrätin Aline Trede haben die Gründung dieser Gruppe mit
politischen Vorstössen angestossen. Semadeni hofft, dass die Arbeiten nun
vorwärtsgehen: «Das Wichtigste ist, dass der Aktionsplan bald kommt.»
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