30. Oktober 2016

Jenische mit Laptops zum Schulbesuch animieren

Die Hoffnungen waren gross. Vor über einem Jahr verkündeten die Berner Schulen, auf Bussen zu verzichten, wenn Jenische und Sinti ihre Kinder nicht in die Schule schickten. Damit wolle man ein Zeichen des Vertrauens setzen, sagte die Berner Schulamtsleiterin Irene Hänsenberger damals gegenüber dieser Zeitung. Rund eineinhalb Jahre später gibt Hänsenberger auf. Das Experiment ist gescheitert. «Wir haben uns entschieden, wieder Bussen einzusetzen», sagt Hänsenberger. Ihre Behörden hätten den Eindruck, dass einige Familien es ausgenutzt hätten, dass sie keine Konsequenzen fürchten mussten: «Für einige Eltern war es ein falsches Signal.» Hänsenberger will nun Verbindlichkeit herstellen: «Das geht nur, wenn wir uns selbst strikt an die Regeln halten.» Deshalb werde sie die Schulkommission instruieren, wieder Bussen zu verteilen.
Gratis-Laptops und Bussendrohung, Sonntagszeitung, 30.10. von Fiona Endres


Seit 1998 sind Jenische in der Schweiz als nationale Minderheit anerkannt. Dass nicht alle Kinder die Schulpflicht einhalten, führt immer wieder zu Konflikten. Die fahrende Lebensweise passt nicht zur Idee eines traditionellen Schulprogramms. Viele Kinder verlieren den Anschluss an die reguläre Schulklasse. Bundesrat und Politik sind sich aber darin einig, dass Jenische ihre fahrende Lebensweise beibehalten können und ihren Kindern alternative Unterrichtsformen geboten werden sollen.

«Es ist anstrengend und energieraubend»
 Wenn man Hänsenberger zur Arbeit mit Jenischen und Sinti in Schulen fragt, seufzt sie. «Es ist anstrengend und energieraubend.» Die grössten Konflikte gibt es mit Familien, die den Behörden kritisch gegenüberstehen und nicht mitmachen wollen. Und doch glaubt die Schulamtsleiterin immer noch an eine Lösung. Und zwar dank einem neuen Lernkonzept: Kinder und Jugendliche vom Standplatz «Buech» sollen Gratis-Laptops mit Lernprogrammen erhalten. Zudem werde das Schulamt sicherstellen, dass die Familien ein funktionierendes Internet zur Verfügung hätten, sagt Hänsenberger: «Damit erhoffen wir uns, dass die Aufgabenblätter öfter zurückgeschickt werden als bisher.» Mit den Laptops will Bern den Jenischen einen Anreiz geben, in der Schulfrage zu kooperieren. Denn nicht alle erhalten ein Gratis-Gerät: «Wir werden nur den Familien Laptops geben, die wirklich mitmachen.» Dieses neue Lernkonzept ist auf den kommenden Sommer geplant. Besucht man die Website des Bundesamts für Kultur und navigiert zum Bereich «Fahrende», findet man sich auf einer praktisch leeren Seite wieder. «Dieser Bereich wird zurzeit überarbeitet», steht dort. Der Satz könnte stellvertretend für die Beziehung zwischen Fahrenden und Behörden stehen. Seit mehreren Jahren versucht das Bundesamt für Kultur (BAK), die Vertreter von Jenischen, Sinti und Roma sowie von den Behörden an einen runden Tisch zu bringen.

Das Bundesamt für Kultur ist ein Jahr zu spät
Nicht nur die Schulfrage muss geklärt werden. Hohe Priorität hat auch der Bedarf nach mehr Stand- und Durchgangsplätzen. Doch der Weg ist steinig. 2014 musste eine erste Arbeitsgruppe aufgelöst werden, nachdem einige Fahrende unter Protest den Saal verlassen hatten. Im März 2015 startete man den Neuanfang. Das Ziel: ein Aktionsplan, der die Streitpunkte regeln soll. Bis Ende 2015. Auch fast ein Jahr nach der Frist liegt kein Aktionsplan vor. Es handle sich um ein «ausgesprochen komplexes Dossier mit zahlreichen unterschiedlichen Akteuren», sagt BAK-Sprecher Daniel Menna. Ein Entwurf liege vor, doch er bedürfe noch Abschlussarbeiten. Tatsächlich sind sich die Fahrenden selbst oft nicht einig. Doch nicht nur von ihnen, auch von einigen Behördenvertretern gibt es Kritik am BAK: Das Amt sei «blauäugig» und «naiv» an die Verhandlungen gegangen. Das sei der wahre Grund für die Verspätung. Menna will das nicht kommentieren.

«Nicht in Ordnung» ist die Verzögerung für die Bündner SP-Nationalrätin Silva Semadeni: «Diese Frist wurde uns so versprochen.» Sie und die ehemalige Grünen-Nationalrätin Aline Trede haben die Gründung dieser Gruppe mit politischen Vorstössen angestossen. Semadeni hofft, dass die Arbeiten nun vorwärtsgehen: «Das Wichtigste ist, dass der Aktionsplan bald kommt.»

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