Die Schule Zumikon gibt das altersdurchmischte Lernen wieder auf. Es ist nicht nur der Widerstand von Eltern, der dazu geführt hat. Hat der Entscheid Signalcharakter?
Gegenseitige Unterstützung ist ein Anliegen des AdL, Bild: Christoph Ruckstuhl
Am Ende eine Frage der Mittel, NZZ, 4.10. von Walter Bernet
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Von einem anhaltenden Glaubenskrieg um das vor sechs Jahren eingeführte
altersdurchmischte Lernen (AdL) ist die Primarschule Zumikon 2014 heimgesucht
worden. Dennoch kam der Entscheid der Schulpflege, ab 2017 wieder auf
Jahrgangsklassen umzustellen, nach den Sommerferien überraschend. Ruhe ist
trotzdem noch nicht eingekehrt. Gegen den Entscheid ist ein Rekurs beim
Bezirksrat Meilen eingereicht worden, dessen Erfolgschancen offen sind. Der
Rekurrent möchte damit einen Prozess der vertieften Meinungsbildung
ermöglichen. Am Dienstagabend orientiert die Schulpflege die Bevölkerung über
die Gründe für ihren Entscheid.
Beschränkte
Ressourcen
Einiges
ist bekannt. So habe sich gezeigt, dass die Qualität des Unterrichts nicht von
der Art der Klassenbildung abhänge, sagte
Schulpräsident Andreas Hugi im August. Den Ausschlag hätten zwei andere
Kriterien gegeben. Es sei einerseits nicht gelungen, die Akzeptanz der Eltern
für das Schulmodell mit AdL zu gewinnen. Anderseits habe dieses im Lauf der
Zeit zu immer grösseren organisatorischen und logistischen Problemen geführt.
Die Stundenplan- und Pensengestaltung im Fremdsprachen- und Fachunterricht sei
komplizierter geworden, die Begleitung und Weiterbildung der Lehrkräfte teurer.
Namentlich erwähnte Hugi, dass die Verhandlungen mit dem Kanton über die
Zuweisung von Stellenprozenten härter geworden seien. Vor sechs Jahren habe man
vom Volksschulamt mehr Unterstützung erlebt.
Das
lässt aufhorchen, weil es laufende oder künftige Diskussionen in andern
Gemeinden beeinflussen kann. Hat sich die Einstellung des Volksschulamts zum
altersdurchmischten Lernen in den letzten sechs Jahren tatsächlich verändert?
Reagiert man im Amt weniger flexibel auf die spezifischen Bedürfnisse von
Schulen mit Mehrjahrgangsklassen? Marion Völger, Chefin des Volksschulamts,
verweist darauf, dass Schulen mit altersdurchmischten Klassen im Kanton Zürich
eine lange Tradition haben. Wo die speziellen geografischen Verhältnisse, die
kleine Grösse der Schulen oder die ungleichen Stärken der Jahrgänge es
nahelegten, habe man diese besondere Organisationsform stets unterstützt.
Empfehlungen habe das Volksschulamt aber bewusst vermieden. Insofern habe sich
die Haltung des Volksschulamts nicht grundsätzlich verändert. Man habe
Jahrgangsklassen und altersdurchmischte Klassen immer als gleichwertige
Möglichkeiten betrachtet.
Geändert
beziehungsweise geklärt haben sich die Rahmenbedingungen – schon im Jahr 2009.
Damals nahm die Regierung zu einer Anfrage aus dem Kantonsrat Stellung, welche
die Stellendotation von Schulen mit Mehrjahrgangsklassen betraf. Weil für diese
Schulen ein Richtwert von 21 statt 25 Schülern pro Klasse gilt und weil der
Sprachunterricht teilweise separat nach Jahrgängen erteilt werden muss,
beansprucht altersdurchmischtes Lernen tendenziell mehr Stellenprozente.
Für
kleine Gemeinden oder für Gemeinden mit besonderer Siedlungsstruktur könnten in
begrenztem Ausmass zusätzliche Stellenprozente aus dem kantonalen Stellenpool
zugeteilt werden, schrieb die Regierung damals. Dieser Pool reiche aber nicht
aus, wenn zahlreiche und auch grössere Gemeinden zusätzliche Stellen für die
Bildung mehrjähriger Klassen beanspruchten. Die Mehrkosten für eine flächendeckende
Einführung bezifferte die Regierung damals auf 62 bis 82 Millionen Franken, was
500 bis 700 zusätzlichen Lehrerstellen entsprach. Solche Mehrkosten zu
übernehmen, schloss die Regierung damals wie heute aus.
Schmelzender
Spielraum
Der
Regierungsrat sei also nicht AdL-kritischer geworden, sondern habe die
Ressourcen thematisiert nach dem Motto «Altersdurchmischtes Lernen Ja, aber es
darf nicht teurer werden». Damit war klar, dass der Spielraum und die
Flexibilität mit der wachsenden Anzahl AdL-Schulen stetig abnehmen und das
Ressourcenproblem sich verstärkt. So habe man auch die Gemeinde Zumikon
informiert: Es dürfe mit AdL nicht teurer werden.
Jörg
Berger, Schulleiter der Primarschule Knonau und Verantwortlicher für den
Bereich AdL im kantonalen Netzwerk Schulen, in dem sich 21 AdL-Schulen
austauschen, kann den Vorwurf aus Zumikon nachvollziehen, sieht im
Volksschulamt aber nicht den Schuldigen. Die Regierungsantwort von 2009 habe
einen ersten Hinweis darauf gegeben, dass AdL politisch nicht aufs Tapet zu
bringen sei. Der Volksentscheid gegen die (altersdurchmischte) Grundstufe von
2012 habe den AdL-Schulen zusätzlich Gegenwind signalisiert. Berger ist trotz
allem überzeugt, dass mit AdL auch in grösseren Schulen eine hohe
Unterrichtsqualität, viel Gemeinschaftsförderung und dadurch viel Wohlwollen
seitens der Eltern erreicht werden. In Knonau habe der gelungene stufenweise
Start vor acht Jahren erheblich zum Vertrauen in das Modell beigetragen. Die
pädagogischen Hoffnungen – mehr Selbst- und Sozialkompetenz der Schüler, engere
Zusammenarbeit in den Stufenteams – seien erfüllt worden.
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