4. Oktober 2016

Altersdurchmischtes Lernen unter Spardruck

Die Schule Zumikon gibt das altersdurchmischte Lernen wieder auf. Es ist nicht nur der Widerstand von Eltern, der dazu geführt hat. Hat der Entscheid Signalcharakter?
Gegenseitige Unterstützung ist ein Anliegen des AdL, Bild: Christoph Ruckstuhl
Am Ende eine Frage der Mittel, NZZ, 4.10. von Walter Bernet
Von einem anhaltenden Glaubenskrieg um das vor sechs Jahren eingeführte altersdurchmischte Lernen (AdL) ist die Primarschule Zumikon 2014 heimgesucht worden. Dennoch kam der Entscheid der Schulpflege, ab 2017 wieder auf Jahrgangsklassen umzustellen, nach den Sommerferien überraschend. Ruhe ist trotzdem noch nicht eingekehrt. Gegen den Entscheid ist ein Rekurs beim Bezirksrat Meilen eingereicht worden, dessen Erfolgschancen offen sind. Der Rekurrent möchte damit einen Prozess der vertieften Meinungsbildung ermöglichen. Am Dienstagabend orientiert die Schulpflege die Bevölkerung über die Gründe für ihren Entscheid.

Beschränkte Ressourcen
Einiges ist bekannt. So habe sich gezeigt, dass die Qualität des Unterrichts nicht von der Art der Klassenbildung abhänge, sagte Schulpräsident Andreas Hugi im August. Den Ausschlag hätten zwei andere Kriterien gegeben. Es sei einerseits nicht gelungen, die Akzeptanz der Eltern für das Schulmodell mit AdL zu gewinnen. Anderseits habe dieses im Lauf der Zeit zu immer grösseren organisatorischen und logistischen Problemen geführt. Die Stundenplan- und Pensengestaltung im Fremdsprachen- und Fachunterricht sei komplizierter geworden, die Begleitung und Weiterbildung der Lehrkräfte teurer. Namentlich erwähnte Hugi, dass die Verhandlungen mit dem Kanton über die Zuweisung von Stellenprozenten härter geworden seien. Vor sechs Jahren habe man vom Volksschulamt mehr Unterstützung erlebt.

Das lässt aufhorchen, weil es laufende oder künftige Diskussionen in andern Gemeinden beeinflussen kann. Hat sich die Einstellung des Volksschulamts zum altersdurchmischten Lernen in den letzten sechs Jahren tatsächlich verändert? Reagiert man im Amt weniger flexibel auf die spezifischen Bedürfnisse von Schulen mit Mehrjahrgangsklassen? Marion Völger, Chefin des Volksschulamts, verweist darauf, dass Schulen mit altersdurchmischten Klassen im Kanton Zürich eine lange Tradition haben. Wo die speziellen geografischen Verhältnisse, die kleine Grösse der Schulen oder die ungleichen Stärken der Jahrgänge es nahelegten, habe man diese besondere Organisationsform stets unterstützt. Empfehlungen habe das Volksschulamt aber bewusst vermieden. Insofern habe sich die Haltung des Volksschulamts nicht grundsätzlich verändert. Man habe Jahrgangsklassen und altersdurchmischte Klassen immer als gleichwertige Möglichkeiten betrachtet.

Geändert beziehungsweise geklärt haben sich die Rahmenbedingungen – schon im Jahr 2009. Damals nahm die Regierung zu einer Anfrage aus dem Kantonsrat Stellung, welche die Stellendotation von Schulen mit Mehrjahrgangsklassen betraf. Weil für diese Schulen ein Richtwert von 21 statt 25 Schülern pro Klasse gilt und weil der Sprachunterricht teilweise separat nach Jahrgängen erteilt werden muss, beansprucht altersdurchmischtes Lernen tendenziell mehr Stellenprozente.

Für kleine Gemeinden oder für Gemeinden mit besonderer Siedlungsstruktur könnten in begrenztem Ausmass zusätzliche Stellenprozente aus dem kantonalen Stellenpool zugeteilt werden, schrieb die Regierung damals. Dieser Pool reiche aber nicht aus, wenn zahlreiche und auch grössere Gemeinden zusätzliche Stellen für die Bildung mehrjähriger Klassen beanspruchten. Die Mehrkosten für eine flächendeckende Einführung bezifferte die Regierung damals auf 62 bis 82 Millionen Franken, was 500 bis 700 zusätzlichen Lehrerstellen entsprach. Solche Mehrkosten zu übernehmen, schloss die Regierung damals wie heute aus.

Schmelzender Spielraum
Der Regierungsrat sei also nicht AdL-kritischer geworden, sondern habe die Ressourcen thematisiert nach dem Motto «Altersdurchmischtes Lernen Ja, aber es darf nicht teurer werden». Damit war klar, dass der Spielraum und die Flexibilität mit der wachsenden Anzahl AdL-Schulen stetig abnehmen und das Ressourcenproblem sich verstärkt. So habe man auch die Gemeinde Zumikon informiert: Es dürfe mit AdL nicht teurer werden.
Jörg Berger, Schulleiter der Primarschule Knonau und Verantwortlicher für den Bereich AdL im kantonalen Netzwerk Schulen, in dem sich 21 AdL-Schulen austauschen, kann den Vorwurf aus Zumikon nachvollziehen, sieht im Volksschulamt aber nicht den Schuldigen. Die Regierungsantwort von 2009 habe einen ersten Hinweis darauf gegeben, dass AdL politisch nicht aufs Tapet zu bringen sei. Der Volksentscheid gegen die (altersdurchmischte) Grundstufe von 2012 habe den AdL-Schulen zusätzlich Gegenwind signalisiert. Berger ist trotz allem überzeugt, dass mit AdL auch in grösseren Schulen eine hohe Unterrichtsqualität, viel Gemeinschaftsförderung und dadurch viel Wohlwollen seitens der Eltern erreicht werden. In Knonau habe der gelungene stufenweise Start vor acht Jahren erheblich zum Vertrauen in das Modell beigetragen. Die pädagogischen Hoffnungen – mehr Selbst- und Sozialkompetenz der Schüler, engere Zusammenarbeit in den Stufenteams – seien erfüllt worden.


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