26. September 2016

Mehr Migranten als Lehrer

93 Prozent der Schüler des Schwabgut­schulhauses in Bern-Bethlehem haben einen Migrationshintergrund. Die dortige Schulleiterin Ruth Bielmann schaut daher bei Bewerbungsgesprächen neben den gängigen Kompetenzen auch darauf, ob die künftigen Lehrer einen Migrationshintergrund haben. «Mir ist wichtig, dass das Lehrerkollegium durchmischt ist, weil es die Klassen ja auch sind», sagt sie. Was Bielmann schon jetzt tut, sollen auch die anderen Berner Schulleiter machen, dass möchten die zwei SP-Stadträte Fuat Köçer und Halua Pinto de Magalhães mit einem Postulat bewirken.
Künftig sollen Lehrer mit Migrationshintergrund vor der Wandtafel stehen, Bild: Gaetan Bally
Sozialdemokraten wollen mehr Migranten am Lehrerpult, Bund, 26.9. von Sophie Reinhardt


«Wenn sich zwei Lehrpersonen mit der gleichen Qualifikation für die offenen Stelle bewerben, wird die Lehrperson mit Migrationshintergrund angestellt», fordert Köçer im Papier. Damit solle die Vielfalt im Lehrerzimmer erhöht werden. Köçer ist selbst Sekundarlehrer türkischer Herkunft und stört sich daran, dass in vielen Lehrerzimmern eine «Homogenität» herrsche.
Die Lehrer mit Migrationshintergrund würden den Migrantenkindern als Vorbild dienen, zudem erleichterten sie auch die Kommunikation mit den fremdsprachigen Eltern, sagt er. Aber es geht ihm auch um die Anerkennung der Secondo-Lehrkräfte: «Lehrer mit Migrationshintergrund haben oftmals bereits in der Vergangenheit hohe Hürden übersprungen, nun ist es an der Zeit sie zu bevorteilen», sagt Köçer.

«Wurzeln sind kein Kriterium»
Daniel Steiner, Institutsleiter Vorschulstufe und Primarstufe an der Pädagogischen Hochschule Bern (PH), versteht Köçers Anliegen. Auch er findet, die Vielfalt in Berner Lehrerzimmer «könnte grösser» sein. Dies betreffe aber neben dem Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund auch jenen der Männer auf der Primarstufe oder jenen der Lehrpersonen mit einem bildungsfernen sozialen Hintergrund.

«Aber Köçers Forderung ist meiner Ansicht nach ein zu grosser Eingriff in das operative Geschäft der Schulleiterinnen und Schulleiter.» Dem pflichtet auch Urs Schenk, Schulleiter des Schulkreises Kirchenfeld-Schosshalde, bei. Er habe bei offenen Stellen jeweils ein Anforderungsprofil, welches mehrere Kriterien beinhalte. Er habe ein Verständnis für Vielfalt im Lehrerteam, aber bisher seien die Wurzeln der Bewerber kein Kriterium gewesen.

Hilfe bei «heiklen» Gesprächen
Bielmann sagt, dass sie etwa nach der Einstellung eines türkischstämmigen Lehrers positive Rückmeldungen von türkischen Eltern bekomme. Sie schätze es zudem, dass sie ihren Kollegen vorgängig kontaktieren könne, wenn ein heikles Gespräch mit türkischen Eltern anstehe. Dies sei etwa der Fall, wenn sie diesen mitteilen müsse, dass ihr Kind eine Klasse wiederholen müsse. Doch auch sie hält Köçers Vorstoss für übertrieben.

«Migrationshintergrund reicht als Merkmal nicht für eine Anstellung aus, ich schaue auch auf andere wichtige Kompetenzen wie etwa Kommunikationsfähigkeit.»
An sich würde sie sogar gerne mehr Pädagogen mit ausländischen Wurzeln anstellen: «Aber bisher sind kaum solche auf dem Markt.» Die Frage ist, müssen Lehrer mit einem ausländischen Elternteil als kulturelle Vermittler dienen? «Dass Menschen mit Migrationshintergrund unbedingt besser mit kultureller Vielfalt umgehen können, ist nicht gesagt», sagt Köçer.

Dass wohl in den nächsten Jahren zahlreiche Lehrer mit Migrationshintergrund ein Diplom bekommen und den Weg ganz ohne Fördermassnahmen ans Lehrerpult finden, lässt der SP-Stadtrat nicht gelten. «Es braucht griffige Fördermassnahmen», begründet er. Wie viele der Studierenden an der PH Bern Migrationshintergrund haben, werde aktuell nicht erfasst, sagt Steiner von der PH Bern. Köçer spricht von rund 30 Prozent der Studierenden, das habe eine Umfrage an der Hochschule im Rahmen einer Masterarbeit ergeben.

Steiner gibt zu bedenken, dass es aufgrund des sich abzeichnenden Lehrermangels keinen Grund gebe, Leuten mit Migrationshintergrund einen Vorteil verschaffen zu müssen. Denn Lehrpersonen mit Migrationshintergrund würden eine Stelle finden. Zudem könnten sich die eingestellten Lehrpersonen bei einer Quotenregelung mit dem Vorwurf konfrontiert sehen, sie seien nun die «Quotenmigranten» am Lehrerpult. 


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