93 Prozent der Schüler
des Schwabgutschulhauses in Bern-Bethlehem haben einen Migrationshintergrund.
Die dortige Schulleiterin Ruth Bielmann schaut daher bei Bewerbungsgesprächen
neben den gängigen Kompetenzen auch darauf, ob die künftigen Lehrer einen Migrationshintergrund
haben. «Mir ist wichtig, dass das Lehrerkollegium durchmischt ist, weil es die
Klassen ja auch sind», sagt sie. Was Bielmann schon jetzt tut, sollen auch die
anderen Berner Schulleiter machen, dass möchten die zwei SP-Stadträte Fuat Köçer
und Halua Pinto de Magalhães mit einem Postulat bewirken.
Künftig sollen Lehrer mit Migrationshintergrund vor der Wandtafel stehen, Bild: Gaetan Bally
Sozialdemokraten wollen mehr Migranten am Lehrerpult, Bund, 26.9. von Sophie Reinhardt
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«Wenn
sich zwei Lehrpersonen mit der gleichen Qualifikation für die offenen Stelle
bewerben, wird die Lehrperson mit Migrationshintergrund angestellt», fordert
Köçer im Papier. Damit solle die Vielfalt im Lehrerzimmer erhöht werden. Köçer
ist selbst Sekundarlehrer türkischer Herkunft und stört sich daran, dass in
vielen Lehrerzimmern eine «Homogenität» herrsche.
Die
Lehrer mit Migrationshintergrund würden den Migrantenkindern als Vorbild
dienen, zudem erleichterten sie auch die Kommunikation mit den fremdsprachigen
Eltern, sagt er. Aber es geht ihm auch um die Anerkennung der
Secondo-Lehrkräfte: «Lehrer mit Migrationshintergrund haben oftmals bereits in
der Vergangenheit hohe Hürden übersprungen, nun ist es an der Zeit sie zu
bevorteilen», sagt Köçer.
«Wurzeln sind kein
Kriterium»
Daniel
Steiner, Institutsleiter Vorschulstufe und Primarstufe an der Pädagogischen
Hochschule Bern (PH), versteht Köçers Anliegen. Auch er findet, die Vielfalt in
Berner Lehrerzimmer «könnte grösser» sein. Dies betreffe aber neben dem Anteil
von Menschen mit Migrationshintergrund auch jenen der Männer auf der
Primarstufe oder jenen der Lehrpersonen mit einem bildungsfernen sozialen
Hintergrund.
«Aber
Köçers Forderung ist meiner Ansicht nach ein zu grosser Eingriff in das
operative Geschäft der Schulleiterinnen und Schulleiter.» Dem pflichtet auch
Urs Schenk, Schulleiter des Schulkreises Kirchenfeld-Schosshalde, bei. Er habe
bei offenen Stellen jeweils ein Anforderungsprofil, welches mehrere Kriterien
beinhalte. Er habe ein Verständnis für Vielfalt im Lehrerteam, aber bisher
seien die Wurzeln der Bewerber kein Kriterium gewesen.
Hilfe bei «heiklen»
Gesprächen
Bielmann
sagt, dass sie etwa nach der Einstellung eines türkischstämmigen Lehrers
positive Rückmeldungen von türkischen Eltern bekomme. Sie schätze es zudem,
dass sie ihren Kollegen vorgängig kontaktieren könne, wenn ein heikles Gespräch
mit türkischen Eltern anstehe. Dies sei etwa der Fall, wenn sie diesen
mitteilen müsse, dass ihr Kind eine Klasse wiederholen müsse. Doch auch sie
hält Köçers Vorstoss für übertrieben.
«Migrationshintergrund reicht als Merkmal
nicht für eine Anstellung aus, ich schaue auch auf andere wichtige Kompetenzen
wie etwa Kommunikationsfähigkeit.»
An
sich würde sie sogar gerne mehr Pädagogen mit ausländischen Wurzeln anstellen:
«Aber bisher sind kaum solche auf dem Markt.» Die Frage ist, müssen Lehrer mit
einem ausländischen Elternteil als kulturelle Vermittler dienen? «Dass Menschen
mit Migrationshintergrund unbedingt besser mit kultureller Vielfalt umgehen
können, ist nicht gesagt», sagt Köçer.
Dass
wohl in den nächsten Jahren zahlreiche Lehrer mit Migrationshintergrund ein
Diplom bekommen und den Weg ganz ohne Fördermassnahmen ans Lehrerpult finden,
lässt der SP-Stadtrat nicht gelten. «Es braucht griffige Fördermassnahmen»,
begründet er. Wie viele der Studierenden an der PH Bern Migrationshintergrund
haben, werde aktuell nicht erfasst, sagt Steiner von der PH Bern. Köçer spricht
von rund 30 Prozent der Studierenden, das habe eine Umfrage an der Hochschule
im Rahmen einer Masterarbeit ergeben.
Steiner
gibt zu bedenken, dass es aufgrund des sich abzeichnenden Lehrermangels keinen
Grund gebe, Leuten mit Migrationshintergrund einen Vorteil verschaffen zu
müssen. Denn Lehrpersonen mit Migrationshintergrund würden eine Stelle finden.
Zudem könnten sich die eingestellten Lehrpersonen bei einer Quotenregelung mit
dem Vorwurf konfrontiert sehen, sie seien nun die «Quotenmigranten» am
Lehrerpult.
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