21. August 2016

"Meine Kinder sind nicht perfekt"

Das eigene Kind. Natürlich ist es das schönste, beste, intelligenteste. Es kann so toll schwimmen, vielleicht, nein, mit ziemlicher Sicherheit wird es einmal Olympiasieger. Es kann so toll malen, vielleicht, nein, mit ziemlicher Sicherheit wird es einmal den Turner-Preis gewinnen. Es kann so toll rechnen, vielleicht, nein, mit ziemlicher Sicherheit ist es hochbegabt.
Hooligan-Eltern: Zu viel Ehrgeiz, zu viel Einmischung, Sonntagszeitung, 21.8. Kommentar von Andrea Bleicher


Eltern sind Fans ihres Nachwuchses. Das ist gut so. Vorwärts, Team Kind! Aber wie im Sport gibt es ihn genauso im Familienleben: den Unterschied zwischen einem eifrigen Unterstützer, der auch bei Niederlagen motivierend zur Seite steht. Und einem Hooligan.
Hooligan-Eltern wollen den Erfolg ihres Kindes erzwingen. Sie schüchtern ein, suchen den Konflikt, sind besessen davon, das Fantasiebild des perfekten Sohns, der perfekten Tochter durchzusetzen. Sie wollen Siege erstreiten, den Gegner in die Knie zwingen.

Als Gegner haben sie die Lehrer ausgemacht. Die haben nicht nur mit ständig ändernden Lehrplänen zu tun und immer neuen Diskussionen über den Sinn von Frühfranzösisch. Sie müssen sich jetzt in Crashkursen zu Juristen weiterbilden. Wie Staatsanwälte führen sie Aktendossiers, um auf mögliche Rekurse vorbereitet zu sein. Alles kann zum Streitfall werden: Noten, Aufsätze, Ferientage, das Projekt eines Schülers, der Pflanzen wachsen lässt.

Dass die Lehrerinnen und Lehrer das Kind realistisch beurteilen – die wahrscheinliche Erklärung scheint klagefreudigen Eltern fern. Sie erwarten zu viel. Und sind selbst zu viel. Zu viel Einmischung. Zu viel Ehrgeiz. Ihre Obsession mit der Schulkarriere ihrer Kinder hat die Klassenzimmer zu juristischen Kampfzonen gemacht.

Die Lehrer brauchen die Unterstützung der Eltern. Die Schule ist kein Dienstleister, der gefälligst das Produkt «vollkommenes Kind» zu liefern hat. Und die Eltern keine Kunden, die das Recht darauf haben.

Vernunft lässt sich nicht erzwingen. Aber man kann daran appellieren. Sich dem Wettbewerb um das tollste aller tollen Kinder versagen. Aufhören zu prahlen und ständig Leistungen zu vergleichen. Der 4-Jährige kann noch nicht schreiben? Gut so. Die 13-Jährige hat keine Klasse übersprungen? Na und? Eltern können Druck rausnehmen, in der Hoffnung, dass andere dem Beispiel folgen.


Darum bekenne ich: Meine Kinder sind nicht perfekt. Sie sind nicht hochbegabt. Sie haben keine ausserordentlichen Talente. Sie sind durchschnittlich. Sie sind normal. Sie sind grossartig.

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