20. August 2016

Leitfaden Religion und Schule

Darf eine Lehrerin mit Kopftuch zum Unterricht erscheinen? Müssen auch Hindus oder jüdische Schüler am christlichen Religionsunterricht teilnehmen? Und darf ein muslimischer Schüler während des Fastenmonats Ramadan dem Sporttag fernbleiben? Anlässlich des Beginns des Schuljahres 2016/17 gibt die Erziehungsdirektion des Kantons Genf eine Broschüre zum Thema Religion und Schule heraus. Das rund 30-seitige, mit Karikaturen des Genfer Zeichners Zep gespickte Dokument «Laizismus an der Schule» wurde am Freitag den Medien vorgestellt.
He, Frau Lehrerin, Kevin zeigt den Hinduismus in protziger Art und Weise! Bild: Zep
Die Religion aus dem Klassenzimmer verbannen, NZZ, 20.8. von Andrea Kucera

Das Büchlein soll dem Genfer Lehrpersonal gemäss den Worten von Erziehungsdirektorin Anne Emery-Torracinta in einem politisch aufgeheizten Klima als Leitfaden im Umgang mit schwierigen Situationen dienen. Mit anderen Worten: Die Broschüre soll unter anderem verhindern, dass es in Genf zu einer ähnlichen Affäre wie in Therwil im Kanton Basel-Land kommt. Dort verweigerten zwei jugendliche Schüler muslimischen Glaubens ihrer Lehrerin den Händedruck, was vom zuständigen Schulleiter toleriert wurde.
Die Broschüre ruft zunächst in Erinnerung, dass in Genf der Laizismus gilt, also das Gebot der Konfessionslosigkeit des Staates. Für die öffentliche Schule bedeutet dies: Religion hat im Klassenzimmer nichts zu suchen. Zwar gelte dieser Grundsatz seit langem, doch habe in den letzten Monaten die Verunsicherung beim Lehrpersonal zugenommen, sagte Emery-Torracinta. Die Debatte, was Laizismus genau bedeutet, wird dieser Tage im Übrigen nicht nur in Bezug auf die Schule geführt, sondern mit zunehmender Heftigkeit auch innerhalb des Genfer Grossen Rates, der diesen Herbst ein neues Laizismusgesetz verabschieden soll. Eine der kontrovers diskutierten Fragen lautet: Ist es mit der Neutralität des Staates vereinbar, wenn die Kassierin eines kantonalen Museums mit Kopftuch zur Arbeit erscheint? Die einen plädieren für Toleranz gegenüber Andersgläubigen und sagen Ja. Die andern sind für eine konsequente Auslegung der Neutralität und finden Nein. Letztere sehen sich nicht selten mit dem Vorwurf der Islamfeindlichkeit konfrontiert.

Keine Extrawürste

Doch zurück ins Klassenzimmer: Ausschlaggebend für die Herausgabe der neuen Broschüre war kein Vorfall im Zusammenhang mit der Integration muslimischer Kinder, sondern der Entscheid der Erziehungsdirektion im Frühling 2015, die Aufführung der Kinderoper «Arche Noah» durch Genfer Schulkinder zu unterbinden. Es sei mit dem Laizismus nicht vereinbar, hiess es als Begründung, wenn Kinder im Rahmen des Unterrichts ein Lied singen müssten, das einem Gebet gleichkomme.

Entsprechend sei es auch nicht mit einem konfessionell neutralen Staat vereinbar, wenn Lehrpersonen Zeichen ihrer Religionszugehörigkeit zur Schau stellten, sagte Emery-Torracinta. In Bezug auf die anfangs gestellte Frage bedeutet dies: Kopftuch tragende Lehrerinnen sind an den Genfer Schulen nicht zugelassen. Schülerinnen dürfen hingegen gemäss Broschüre verschleiert zum Unterricht erscheinen, sofern das Gesicht unbedeckt bleibt. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auf den Fall in St. Margrethen. Die sankt-gallische Gemeinde hatte einer Schülerin verboten, im Unterricht das Kopftuch zu tragen, wurde aber vom Bundesgericht zurückgepfiffen.
Weiter ruft der Leitfaden in Erinnerung, dass der Stundenplan (inklusive Sportlektionen und Religionsunterricht) für alle Schülerinnen und Schüler obligatorisch sei – ungeachtet deren Religionszugehörigkeit. Auf die Frage einer Journalistin, ob eine Schülerin im Burkini zum Schwimmunterricht erscheinen dürfe, sagte die Erziehungsdirektorin: «Im Prinzip ja, doch hatten wir so einen Fall noch nie.» Bisher habe man noch immer eine einvernehmliche Lösung gefunden, sagte Emery-Torracinta, die bis zu ihrer Wahl zur Staatsrätin selber als Lehrerin arbeitete. So auch im Umgang mit zwei muslimischen Schülern, die sich mit Verweis auf den Ramadan von der Teilnahme am Sporttag dispensieren lassen wollten. Dem Gesuch wurde nicht stattgegeben, was die Betroffenen und deren Familien ohne Murren akzeptierten.

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