Mentoren helfen Kindern, denen die
Eltern für die Schule zu wenig Unterstützung bieten können. Dies ist der Ansatz
des Projekts «Future Kids». Es hat sich bewährt. Trotzdem stellen sich den
Beteiligten auch Fragen.
Der damalige Zweitklässler Samir konnte vom Projekt profitieren, Bild: Christoph Ruckstuhl
Lernhilfe von der grossen Schwester, NZZ, 4.7. von Walter Bernet
|
Samir ist eines von 217 Kindern, die in den letzten
gut fünf Jahren vom Projekt «Future Kids» profitiert haben. Die NZZ hat ihm und
seiner Mentorin Anna Zeller vor drei Jahren ein Porträt gewidmet.
Samir galt als blitzgescheites Kind, das aber von seiner alleinerziehenden
Mutter nicht genügend unterstützt werden konnte. Zu Hause sprach man nur
Albanisch. So war er ein verschlossener Schüler, der es nie schaffte, seine
Aufgaben zu erledigen und seine Siebensachen bereitzuhaben. Schulinterne
Unterstützung wie Aufgabenhilfe oder Deutschunterricht brachten ihn nicht
voran. Geholfen haben ihm schliesslich die wöchentlichen Hausbesuche der
Studentin Anna Zeller, die ihn als «grosse Schwester» in schulischen und
organisatorischen Belangen unterstützte. Plötzlich beteiligte er sich am
Unterricht – und lachte.
Eine einfache Idee
«Future Kids» ist ein ausserschulisches Angebot der
Lern- und Integrationsförderung für Primarschüler. Es wird getragen von der im
Migrations- und Integrationsbereich tätigen Zürcher Fachorganisation AOZ, die
mit der Pädagogischen Hochschule Zürich (PHZH) zusammenarbeitet. An seiner
Finanzierung beteiligen sich neben verschiedenen privaten Einrichtungen auch
das Volksschulamt und die Stadt Zürich. Nach Anfängen an drei Quims-Schulen in
der Stadt Zürich und in Oberglatt hat das Projekt einem Thurgauer Ableger
Geburtshilfe geleistet und dieses Jahr auch nach Schlieren expandiert. Auf der
Warteliste stünden 15 weitere Schulen. Eine weitere Ausweitung hängt aber vor
allem von den finanziellen Mitteln ab.
Die Idee des Projekts ist einfach, aber wirksam,
wie sich in einer Evaluation durch das Institut für Erziehungswissenschaft der
Universität Zürich vom Herbst 2013 zeigte. Studierende helfen ausgewählten
Primarschulkindern, die mangels Unterstützung von zu Hause in der Schule nicht
so gut reüssieren, wie man es von ihnen erwarten könnte. Sie besuchen ihre
Schützlinge wöchentlich über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr und
helfen ihnen beim Entwickeln eigener Lernstrategien. Jeder Besuch wird auf
einer für ihren pädagogischen Coach und die Lehrerin einsehbaren Plattform
dokumentiert. So sollen vor allem die Lernmotivation und das Selbstbewusstsein
der Kinder gestärkt werden. Die bisher 308 speziell geschulten Studierenden der
Uni, der ETH und der PH ihrerseits erhalten einen Einblick in völlig andere
Lebensrealitäten und können wertvolle pädagogische Erfahrungen sammeln. An der
PHZH gibt es dafür auch ECTS-Kreditpunkte.
In der Folge der Evaluation sind verschiedene
Verbesserungen des Projekts eingeleitet worden. So wurde der Akzent stärker auf
Förderung der Motivation und auf überfachliche Ziele gelegt und der Austausch
zwischen Mentorinnen und Klassenlehrerinnen sowie zwischen Schule und AOZ
verbessert. Zu Diskussionen hat auch die Stellung des Projekts als
ausserschulisches Angebot geführt. Ist der Ausgleich von Benachteiligung in der
Bildung nicht eine schulische Aufgabe? Ist ein Projekt wie «Future Kids» eine
Hilfe bei der Bewältigung eines aktuellen Problems, oder können solche
Kooperationen von Schule und anderen Einrichtungen ein generelles Modell für
die Zukunft sein und Beispiel machen?
Solchen Fragen haben sich kürzlich rund 40
Beteiligte aus dem weiteren Umfeld des Projekts im Rahmen eines Fachaustauschs
an der PHZH gestellt. Aus der Fülle der Beobachtungen und Anregungen können
hier nur einige wenige herausgepickt werden. So haben die Autorinnen eines
Berichts über die Befragung von 15 beteiligten Kindern festgestellt, dass
Erfolg einen langen Atem – in der Regel dauert die Begleitung zwei Jahre –
voraussetzt. Zentral ist die Beziehung zwischen Mentor und Kind. Wenn Mentoren
ihre Schützlinge als ganze Menschen und nicht als Schüler mit Defiziten
wahrnehmen, können sie mehr bewirken. Wichtig ist eine lockere,
abwechslungsreiche und trotzdem zielgerichtete Gestaltung der Besuche.
Anschaulichkeit und Spass fördern die Motivation, und wenn hin und wieder ein
Wissensvorsprung vermittelt wird, fühlen sich die Kinder in der Schule sicherer
und selbstbewusster.
Spannungsfelder
Bereits diese Hinweise zeigen, dass solche
Mentorate anspruchsvoll sind. Zu den Spannungsfeldern, in die sie geraten
können, gehören etwa unterschiedliche Einschätzungen eines Kindes durch
Lehrpersonen und Mentor. «Sie hat mich nie aufgegeben», lobte ein Kind seine
Mentorin, die sich gegen Widerstand für die Fortsetzung der Besuche eingesetzt
hatte. Der Umgang mit Geheimnissen oder mit Erkenntnissen aus der Stellung als
Vertrauensperson des Kindes – etwa Alkoholismus in der Familie – kann zur
Belastung werden.
Manchmal problematisch ist auch die Auswahl der
Kinder. Ist ein Kind nicht besser bei der Heilpädagogin aufgehoben? Oder reicht
die Aufgabenhilfe in der Schule aus? Da kommen sich schulische und
ausserschulische Förderangebote mitunter in die Quere. Während Eltern in der
Regel sehr dankbar für die Entlastung sind (aber nicht immer bereit zur
angemessenen Mitwirkung), ist es für die Lehrkräfte anspruchsvoll und manchmal
belastend, den Überblick zu wahren. In Oberglatt wird deshalb die Zahl der
«Future Kids» pro Klasse auf zwei oder drei beschränkt.
Und schliesslich stellt sich auch hier die Frage,
was noch Aufgabe der Schule sein kann und was auf verschiedene Schultern
verteilt werden muss. Gerade das Projekt «Future Kids» biete Gelegenheit, in
einem Bildungsraum, in dem ganz unterschiedliche Kinder an ganz verschiedenen
Arten von formaler und informeller Bildung teilhaben, eine pragmatische
Zusammenarbeit im gemeinsamen Interesse zu erproben, lautet ein Fazit.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen