Rund 70 Prozent aller Schweizer Kinder lesen
mindestens einmal in der Woche in der Freizeit in einem Buch. 37 Prozent nutzen
das Buch sogar jeden oder fast jeden Tag. Zu diesem Schluss kommt eine Studie
über die Mediennutzung der 6- bis 13-Jährigen. «Die Kinder in der Schweiz sind
kleine Bücherwürmer», sagt Co-Studienleiter Gregor Waller. Er und das
medienpsychologische Forschungsteam der Zürcher Hochschule für Angewandte
Wissenschaften (ZHAW) haben 1000 Kinder und 600 Eltern befragt. Die
detaillierten Ergebnisse der MIKE-Studie (Medien, Interaktion, Kinder und
Eltern) werden am Montag präsentiert.
"Kinder sind stolz, wenn sie ein Buch bewältigen", sagt Literaturexpertin Christine Tresch
Schweizer Kinder sind Bücherwürmer, NZZaS, 27.9. von René Donzé
70 Prozent ist ein hoher Wert. «Dieser Befund hat mich erstaunt»,
sagt Waller. Vor allem, da man hierzulande oft höre, die Kinder spielten
dauernd auf Handys oder Computern. Aber auch im Vergleich zu Deutschland ist er
hoch. Dort nimmt nur jedes zweite Kind mindestens einmal wöchentlich ein Buch
zur Hand. Im Gegensatz zur Schweiz wird die Mediennutzung dort schon seit
Jahren erhoben. Die Konstanz ist gross: 1999 lasen 55 Prozent der deutschen
Kinder mindestens einmal die Woche im Buch, 2014 waren es 50 Prozent.
In der Schweiz ist das Buch bei den Kindern nicht nur populärer,
es schlägt die neuen Medien bei weitem: Das Lesen liegt an dritter Stelle
hinter Musikhören und TV-Schauen, jedoch vor Gamen und Handy-Nutzen (Grafik).
Trotz digitaler Konkurrenz scheint sich das Buch also bei den Jüngsten zu
halten: «Kinder freuen sich auf das Lesenlernen», sagt Christine Tresch,
Literaturexpertin beim Schweizerischen Institut für Kinder- und Jugendmedien.
«Und sie sind stolz, wenn sie ein Buch bewältigen.» Daran habe sich in all den
Jahren wenig geändert.
Zur Popularität beigetragen habe zudem das heute sehr attraktive
Angebot an illustrierten Kinderbüchern, die oft mit Filmen und Online-Angeboten
verknüpft sind, wie etwa der Comic-Roman «Gregs Tagebuch». «Die Erkenntnis hat
sich auch bei den Erwachsenen durchgesetzt, dass es nicht wichtig ist, was die
Kinder lesen, sondern dass sie überhaupt lesen», sagt Tresch. Früher hingegen
musste man den Comic oft noch unter der Bettdecke vor den Eltern verstecken.
Leseförderungsprojekte der Schulen und ein attraktives Angebot in den
Bibliotheken hätten nach dem Pisa-Schock ebenfalls geholfen. Heute sind rund 20
Prozent aller verkauften Bücher Kinder- und Jugendbücher.
Die wichtigste Rolle bei der Leseförderung kommt aber den Eltern zu.
Die MIKE-Studie hat bestätigt, was bereits aus vielen Untersuchungen bekannt
ist: Kinder aus eher bildungsfernen Haushalten lesen weniger Bücher als
Gleichaltrige, deren Eltern einen tertiären Bildungsabschluss haben. «Eltern
leben ihren Kindern den Medienumgang vor», sagt Waller. «Kinder, die über ihre
Eltern schon in den ersten Lebensjahren mit Bilderbüchern in Kontakt kommen und
später Geschichten vorgelesen erhalten, haben einen anderen Zugang zum Buch als
solche, denen das verwehrt blieb.» Bestätigt wird mit MIKE auch, dass Mädchen
häufiger und länger lesen als Buben.
Frappant ist indes, wie stark das Buch am Ende der Primarschulzeit
an Stellenwert verliert: Die wöchentliche Lesequote sackt zwischen dem zehnten
und zwölften Lebensjahr von 78 auf 64 Prozent ab. Eine Entwicklung, die sich im
Jugendalter fortschreibt, wie eine ebenfalls von der ZHAW durchgeführte Studie
besagt: Bei den Jugendlichen lesen nur noch 36 Prozent mindestens einmal
wöchentlich Bücher, dazu kommen 8 Prozent, die ein E-Book zur Hand nehmen.
Der Wissenschaft ist das als «zweiter Leseknick» bekannt, wie
Tresch sagt. Der erste Knick erfolgt bei Kindern, die das Lesen in der
Primarschule nicht packen. Der zweite kommt mit der Pubertät, in der es
wichtiger wird, Zeit mit Gleichaltrigen zu verbringen, Beziehungen zu ihnen zu
pflegen. Da dies vermehrt online und damit auch schriftlich geschieht, steigt
für sie die Bedeutung der Lese- und Schreibkompetenz.
Nicht zuletzt darum glaubt Waller, dass das Buch als
Einstiegsmedium wichtig bleibt. Auch Tresch ist überzeugt, dass sich das Buch
in den Kinderzimmern hält. Und doch: Fragt man die Kinder nach ihrem liebsten
Medium, dann kommt das Handy an erster Stelle, noch vor dem TV und dem Buch.
Bloss haben viele von ihnen in diesem Alter noch kein eigenes im Sack.
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