24. Juni 2016

Silvia Steiner eröffnet den Abstimmungskampf

Der Abstimmungskampf über die Volksinitiative gegen den Lehrplan 21 wurde im  Kanton Zürich - noch während der Vernehmlassung - von der Bildungsdirektorin Silvia Steiner persönlich in einer Stadt Zürcher Quartierzeitung eröffnet. 
"Sie werden immer Leute finden, die auf alles Neue mit einem Aufschrei reagieren", Silvia Steiner zu den Kritikern des Lehrplans 21, Bild: Thierry Haecky
"Manche vermuten gar den Geheimdienst", Züri West, 23.6. von Rolf Haecky

Silvia Steiner, Sie haben kürzlich den neuen Lehrplan für den Kanton Zürich vorgestellt. Bitte umreissen Sie das grosse Plus in der Praxis.
Der neue Zürcher Lehrplan bringt unsere Schule ins 21. Jahrhundert. Er erfindet den Unterricht nicht neu, gibt aber den Lehrpersonen ein Instrument in die Hand, das sie darin unterstützt, zeitgemässen Unterricht zu erteilen. Dabei orientiert er sich an einem breiten Konsens unter Fachpersonen, was heute guten Unterricht ausmacht.

Und was sind die weiteren Vorteile?
Als weiteres Plus harmonisiert der neue Lehrplan den Unterricht in den Deutschschweizer Kantonen. Das erleichtert den Eltern einen Wohnortwechsel, da die Klassen auf ihrer Stufe überall ähnlich weit sind. Davon profitieren die Eltern und ihre Kinder, aber auch die Lehrerinnen und Lehrer.

Sind die Zürcher heute eher weiter als die andern – oder müssen die Lehrerinnen und Lehrer Gas geben?
Wir sind im Kanton Zürich gut aufgestellt.

Also keine Aufholjagd?
Nein. Im Grunde genommen ändert sich mit dem neuen Lehrplan wenig in den Schulzimmern. Der neue Lehrplan baut auf Bestehendem auf. Bereits heute arbeiten die Klassen mit den Lehrmitteln der jüngsten Generation, auf die der Lehrplan abgestimmt ist.

Und trotzdem haben Politiker und Eltern andernorts mit einem Aufschrei und grosser Skepsis auf diese Lehrpläne reagiert.
Sie werden immer Leute finden, die auf alles Neue mit einem Aufschrei reagieren. Manche vermuten ja hinter allem irgendwelche suspekte Absichten und dunkle Mächte, gar den US-Geheimdienst.

Na ja, so abwegig ist der Gedanke an die Geheimdienste auch wieder nicht, schliesslich bekommt das Internet im neuen Lehrplan ein beachtliches Gewicht.
Das Internet ist zu einem wichtigen, unumgänglichen Instrument in unserem Alltag geworden, sowohl in der Wirtschaft als auch im Privaten und in der Freizeit. Die Aufgabe der Schule ist, die Jungen zu befähigen, sich als selbstständig handelnde Individuen in dieser schnelllebigen Zeit zurechtzufinden und den vielfältigen Ansprüchen der modernen Gesellschaft zu genügen, sowohl in sozialer als auch wirtschaftlicher Hinsicht.

Eine anspruchsvolle Gesellschaft, die sich überdies rasant wandelt: Chat, Twitter, Facebook – noch vor wenigen Jahren waren diese Begriffe reiner Nonsens.
Ja, und heute gehören sie zum Alltag. Genau deshalb muss sich auch die Schule stets weiterentwickeln. Dazu gehört, dass sie die Jugendlichen lehrt, wie sie vernünftig mit modernen Medien umgehen.

Aber das wäre doch Aufgabe der Eltern.
Zu einem gewissen Teil bestimmt. Aber die Kinder auf die Gesellschaft und die Arbeitswelt vorzubereiten, gehört ebenso zu den Aufgaben der Schule. Dies beinhaltet zum Beispiel, sie zu befähigen, eine Excel-Tabelle zu erstellen oder die vielfältigen Möglichkeiten von Word voll ausschöpfen zu können. Das sind Fertigkeiten, die immer mehr zum Allgemeinwissen gehören.

Das bedeutet?
Im Idealfall arbeitet die Schule mit den Eltern zusammen, beispielsweise in der Prävention. Diese geniesst im Unterricht eine hohe Priorität. Die Schule sensibilisiert künftig die Jungen vermehrt für die Gefahren des Internets. Stichworte sind Suchtpotenzial, Eingehen von Verträgen, falsche Freunde, Preisgabe intimer Informationen aus dem persönlichen Umfeld.

Gut, Internet und Co. gehören also in die Schule. Die Zeit dafür müssen Sie aber in anderen Fächern einsparen.
Das ist das Zentrale der aktuellen Diskussion um die Lektionentafel. Die einen möchten mehr Mathe, andere richten ihr Augenmerk auf die Sprachen, wieder andere fordern einen höheren Ausgleich zu den kopflastigen Fächern und wünschen sich zum Beispiel mehr Sport.

Geplant ist, zwei Stunden Handarbeit zugunsten des neuen Fachs «Medien und Informatik» einzusetzen.
Nein, so einfach ist das Ganze nicht. Die neue Lektionentafel setzt aber auf neue inhaltliche Schwerpunkte, um aktuelle Trends der Gesellschaft aufzunehmen. Konkret bedeutet dies, dass die Schule neue Akzente im Bereich Medien und Informatik sowie im Bereich Wirtschaft, Arbeit und Haushalt setzt, wo Themen wie Umgang mit Geld verstärkt Eingang finden. Eine moderate Reduktion der Anzahl der Lektionen für Textiles und Technisches Gestalten auf der Primarstufe ermöglicht mehr Spielraum, um eine ausgewogene Lektionentafel zu gestalten.

Womit Sie immer die einen oder andern verärgern.
Das Ganze ist wie mit einem Mobile: Dieses ist ein labiles Gebilde, und sobald wir auf der einen Seite etwas wegnehmen, gerät das ganze in Schieflage. Letztlich brauchen wir einen ausgeglichenen Stundenplan, der möglichst breit abgestützt ist und der den Bedürfnissen der Gesellschaft, aber auch der Schülerinnen und Schüler gerecht wird.

Der Schüler? Die wollen doch nur Ferien.
Das sehe ich anders: Wenn ihnen der Unterricht Spass bereitet, gehen sie gerne zur Schule; Kinder und Jugendliche sind neugierig und haben einen enormen Wissensdurst. Dabei ist klar: Wer motiviert ist, lernt viel leichter und besser.

Das klingt logisch und so einfach. Aber der Lehreralltag ist voller Widrigkeiten: Kinder, die kein Deutsch sprechen, Burschen, die ein mittelalterliches Frauenbild haben, hochintelligente Mädchen, Buben mit einem IQ im Mikrobereich.
Die Lehrpersonen haben eine sehr herausfordernde Tätigkeit. Sie haben nun sehr viele Stereotypen aufgezählt, während die Realität weit vielfältiger ist. Die Lehrerinnen und Lehrer haben die Aufgabe und die Freiheit, den Unterricht autonom auf die Bedürfnisse ihrer Klassen zu gestalten. Der Lehrplan definiert lediglich die Kompetenzen, welche die Schule den Jungen zu vermitteln hat, damit sie lebensfähig sind und sich im modernen Alltag zurechtfinden.

Die aktuelle kulturelle Vielfalt in den Klassenzimmern überfordert doch die Lehrpersonen.
Falsch, unsere Lehrerinnen und Lehrer leisten eine sehr gute Arbeit, sie sind hoch motiviert und meistern die heiklen und schwierigen Aufgaben allgemein hervorragend. Die meisten lieben ihren Beruf und üben ihn mit viel Engagement aus.

Etwas, das in der Öffentlichkeit oft anders ankommt: Lehrerinnen und Lehrer klagen über zu hohe Lasten, schwierige Schüler, bornierte Eltern.
Das ist jetzt sehr zugespitzt formuliert. Natürlich hinterfragen Lehrpersonen dies und das kritisch, denn sie denken mit. Diese Kritik hilft, die Schule am Puls der Zeit weiterzuentwickeln. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass wir normalerweise nur das Negative zu hören bekommen. Fragen wir dann gezielt nach, finden die meisten Lehrerinnen und Lehrer, sie hätten den besten Beruf der Welt.

Sie haben vorhin die Sprachen erwähnt. Breite Wirtschaftskreise fordern, das Französisch zugunsten des für die Konzerne dienlicheren Englisch aus dem Stundenplan zu kippen.
Die Motivation für Französischunterricht hält sich unter den Schülerinnen und Schülern stark in Grenzen. Englisch liegt ihnen einfach mehr und ist für die Deutschsprachigen einfacher auszusprechen. Aber für mich ist das Französisch auf der Primarstufe eine Pflicht – des kulturellen Verständnisses innerhalb unseres Landes willen. Wir brauchen in unserem Land den Zusammenhalt zwischen den Regionen. Dazu müssen wir die Sprachen der andern verstehen.

Apropos Kultur: Was sagen Sie zu dem Schüler, der sich weigert, seine Lehrerin zum Gruss die Hand zu reichen?

Nichts – das ist eine Angelegenheit, die jede Lehrerin und jeder Lehrer im Unterrichtszimmer in eigener Kompetenz lösen muss. 

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