Der Abstimmungskampf über die Volksinitiative
gegen den Lehrplan 21 wurde im Kanton Zürich - noch während der
Vernehmlassung - von der Bildungsdirektorin Silvia Steiner persönlich in einer Stadt Zürcher
Quartierzeitung eröffnet.
Silvia Steiner, Sie haben kürzlich den neuen
Lehrplan für den Kanton Zürich vorgestellt. Bitte umreissen Sie das grosse Plus
in der Praxis.
Der
neue Zürcher Lehrplan bringt unsere Schule ins 21. Jahrhundert. Er erfindet den
Unterricht nicht neu, gibt aber den Lehrpersonen ein Instrument in die Hand,
das sie darin unterstützt, zeitgemässen Unterricht zu erteilen. Dabei
orientiert er sich an einem breiten Konsens unter Fachpersonen, was heute guten
Unterricht ausmacht.
Und was sind die weiteren Vorteile?
Als
weiteres Plus harmonisiert der neue Lehrplan den Unterricht in den
Deutschschweizer Kantonen. Das erleichtert den Eltern einen Wohnortwechsel, da
die Klassen auf ihrer Stufe überall ähnlich weit sind. Davon profitieren die
Eltern und ihre Kinder, aber auch die Lehrerinnen und Lehrer.
Sind die Zürcher heute eher weiter als die
andern – oder müssen die Lehrerinnen und Lehrer Gas geben?
Wir
sind im Kanton Zürich gut aufgestellt.
Also keine Aufholjagd?
Nein.
Im Grunde genommen ändert sich mit dem neuen Lehrplan wenig in den
Schulzimmern. Der neue Lehrplan baut auf Bestehendem auf. Bereits heute
arbeiten die Klassen mit den Lehrmitteln der jüngsten Generation, auf die der
Lehrplan abgestimmt ist.
Und trotzdem haben Politiker und Eltern
andernorts mit einem Aufschrei und grosser Skepsis auf diese Lehrpläne
reagiert.
Sie
werden immer Leute finden, die auf alles Neue mit einem Aufschrei reagieren.
Manche vermuten ja hinter allem irgendwelche suspekte Absichten und dunkle
Mächte, gar den US-Geheimdienst.
Na ja, so abwegig ist der Gedanke an die
Geheimdienste auch wieder nicht, schliesslich bekommt das Internet im neuen
Lehrplan ein beachtliches Gewicht.
Das
Internet ist zu einem wichtigen, unumgänglichen Instrument in unserem Alltag
geworden, sowohl in der Wirtschaft als auch im Privaten und in der Freizeit.
Die Aufgabe der Schule ist, die Jungen zu befähigen, sich als selbstständig
handelnde Individuen in dieser schnelllebigen Zeit zurechtzufinden und den
vielfältigen Ansprüchen der modernen Gesellschaft zu genügen, sowohl in
sozialer als auch wirtschaftlicher Hinsicht.
Eine anspruchsvolle Gesellschaft, die sich
überdies rasant wandelt: Chat, Twitter, Facebook – noch vor wenigen Jahren
waren diese Begriffe reiner Nonsens.
Ja, und
heute gehören sie zum Alltag. Genau deshalb muss sich auch die Schule stets
weiterentwickeln. Dazu gehört, dass sie die Jugendlichen lehrt, wie sie
vernünftig mit modernen Medien umgehen.
Aber das wäre doch Aufgabe der Eltern.
Zu
einem gewissen Teil bestimmt. Aber die Kinder auf die Gesellschaft und die
Arbeitswelt vorzubereiten, gehört ebenso zu den Aufgaben der Schule. Dies
beinhaltet zum Beispiel, sie zu befähigen, eine Excel-Tabelle zu erstellen oder
die vielfältigen Möglichkeiten von Word voll ausschöpfen zu können. Das sind
Fertigkeiten, die immer mehr zum Allgemeinwissen gehören.
Das bedeutet?
Im
Idealfall arbeitet die Schule mit den Eltern zusammen, beispielsweise in der
Prävention. Diese geniesst im Unterricht eine hohe Priorität. Die Schule
sensibilisiert künftig die Jungen vermehrt für die Gefahren des Internets.
Stichworte sind Suchtpotenzial, Eingehen von Verträgen, falsche Freunde,
Preisgabe intimer Informationen aus dem persönlichen Umfeld.
Gut, Internet und Co. gehören also in die
Schule. Die Zeit dafür müssen Sie aber in anderen Fächern einsparen.
Das ist
das Zentrale der aktuellen Diskussion um die Lektionentafel. Die einen möchten
mehr Mathe, andere richten ihr Augenmerk auf die Sprachen, wieder andere
fordern einen höheren Ausgleich zu den kopflastigen Fächern und wünschen sich
zum Beispiel mehr Sport.
Geplant ist, zwei Stunden Handarbeit
zugunsten des neuen Fachs «Medien und Informatik» einzusetzen.
Nein,
so einfach ist das Ganze nicht. Die neue Lektionentafel setzt aber auf neue
inhaltliche Schwerpunkte, um aktuelle Trends der Gesellschaft aufzunehmen.
Konkret bedeutet dies, dass die Schule neue Akzente im Bereich Medien und
Informatik sowie im Bereich Wirtschaft, Arbeit und Haushalt setzt, wo Themen
wie Umgang mit Geld verstärkt Eingang finden. Eine moderate Reduktion der
Anzahl der Lektionen für Textiles und Technisches Gestalten auf der Primarstufe
ermöglicht mehr Spielraum, um eine ausgewogene Lektionentafel zu gestalten.
Womit Sie immer die einen oder andern
verärgern.
Das
Ganze ist wie mit einem Mobile: Dieses ist ein labiles Gebilde, und sobald wir
auf der einen Seite etwas wegnehmen, gerät das ganze in Schieflage. Letztlich
brauchen wir einen ausgeglichenen Stundenplan, der möglichst breit abgestützt
ist und der den Bedürfnissen der Gesellschaft, aber auch der Schülerinnen und
Schüler gerecht wird.
Der Schüler? Die wollen doch nur Ferien.
Das
sehe ich anders: Wenn ihnen der Unterricht Spass bereitet, gehen sie gerne zur
Schule; Kinder und Jugendliche sind neugierig und haben einen enormen
Wissensdurst. Dabei ist klar: Wer motiviert ist, lernt viel leichter und
besser.
Das klingt logisch und so einfach. Aber der
Lehreralltag ist voller Widrigkeiten: Kinder, die kein Deutsch sprechen,
Burschen, die ein mittelalterliches Frauenbild haben, hochintelligente Mädchen,
Buben mit einem IQ im Mikrobereich.
Die
Lehrpersonen haben eine sehr herausfordernde Tätigkeit. Sie haben nun sehr
viele Stereotypen aufgezählt, während die Realität weit vielfältiger ist. Die
Lehrerinnen und Lehrer haben die Aufgabe und die Freiheit, den Unterricht
autonom auf die Bedürfnisse ihrer Klassen zu gestalten. Der Lehrplan definiert
lediglich die Kompetenzen, welche die Schule den Jungen zu vermitteln hat,
damit sie lebensfähig sind und sich im modernen Alltag zurechtfinden.
Die aktuelle kulturelle Vielfalt in den
Klassenzimmern überfordert doch die Lehrpersonen.
Falsch,
unsere Lehrerinnen und Lehrer leisten eine sehr gute Arbeit, sie sind hoch
motiviert und meistern die heiklen und schwierigen Aufgaben allgemein
hervorragend. Die meisten lieben ihren Beruf und üben ihn mit viel Engagement
aus.
Etwas, das in der Öffentlichkeit oft anders
ankommt: Lehrerinnen und Lehrer klagen über zu hohe Lasten, schwierige Schüler,
bornierte Eltern.
Das ist
jetzt sehr zugespitzt formuliert. Natürlich hinterfragen Lehrpersonen dies und
das kritisch, denn sie denken mit. Diese Kritik hilft, die Schule am Puls der
Zeit weiterzuentwickeln. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass wir
normalerweise nur das Negative zu hören bekommen. Fragen wir dann gezielt nach,
finden die meisten Lehrerinnen und Lehrer, sie hätten den besten Beruf der
Welt.
Sie haben vorhin die Sprachen erwähnt. Breite
Wirtschaftskreise fordern, das Französisch zugunsten des für die Konzerne
dienlicheren Englisch aus dem Stundenplan zu kippen.
Die Motivation
für Französischunterricht hält sich unter den Schülerinnen und Schülern stark
in Grenzen. Englisch liegt ihnen einfach mehr und ist für die Deutschsprachigen
einfacher auszusprechen. Aber für mich ist das Französisch auf der Primarstufe
eine Pflicht – des kulturellen Verständnisses innerhalb unseres Landes willen.
Wir brauchen in unserem Land den Zusammenhalt zwischen den Regionen. Dazu
müssen wir die Sprachen der andern verstehen.
Apropos Kultur: Was sagen Sie zu dem Schüler,
der sich weigert, seine Lehrerin zum Gruss die Hand zu reichen?
Nichts
– das ist eine Angelegenheit, die jede Lehrerin und jeder Lehrer im
Unterrichtszimmer in eigener Kompetenz lösen muss.
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