22. Juni 2016

Prügel für Eymann

Es war kein erfreulicher Abend für den Basler Erziehungsdirektor Christoph Eymann (LDP). Unter dem Titel «Zut alors! Wieso lernt mein Kind im Franzi keine Wörtli mehr?!» hatte das Erziehungsdepartement (ED) am Montagabend Eltern ins Congress Center Basel eingeladen, um ihnen die Philosophie des Französisch-Lehrmittels «Mille Feuilles» zu erläutern.
Eymann wollte nur informieren, sah sich aber mit Kritik eingedeckt, Bild: Pino Covino
Der Unmut der Eltern, Basler Zeitung, 22.6. von Susanne Stettler
«Die Methodik ist anders geworden, die Didaktik ist anders geworden und das Lehrmittel auch», eröffnete Dieter Baur, Leiter der Basler Volksschulen, die Veranstaltung. «Wir haben grosses Interesse daran, Ihnen die neue Didaktik näherzubringen», erklärte Regierungsrat Eymann und deutete damit an, wo er das Hauptproblem des vielkritisierten Lehrmittels sieht: Die Eltern verstehen die neue Methodik nicht, weil die meisten von ihnen Fremdsprachen auf eine andere Art gelernt haben, nämlich mit Wörtli- und Grammatikbüffeln.

«Grammatik wird überbewertet. Denn wenn ich im französischsprachigen Raum etwas bestellen will, ist es relativ egal, ob ein Wort männlich oder weiblich ist», sagte Manuele Vanotti, Passepartout-Verantwortlicher im Kan­­ton Basel-Stadt. Passepartout ist die Bezeichnung für den Fremdsprachenunterricht an den Volksschulen der Kantone BS, BL, BE, SO, FR und VS. Auf unterhaltsame Weise präsentierte Vanotti die hinter «Mille Feuilles» stehende Mehrsprachendidaktik.

Übungen nicht stufengerecht
An Christoph Eymanns Aufforderung, Fragen zum System zu stellen, andere Statements dem ED jedoch per Mail oder Post zukommen zu lassen, mochten sich die Eltern nicht halten. Auch Manuele Vanottis Wunsch nach «Mut, Vertrauen und Gelassenheit» der Erziehungsberechtigten ging nicht in Erfüllung. Und seine auf Praxistests basierende Einschätzung «Passepartout ist erfolgreich» teilte die Mehrheit der Anwesenden nicht.
Vom zu Beginn des Projekts beschworenen Sprachbad, das in der Schule stattfinde, wollte Vanotti nichts wissen. Er forderte die Eltern auf, die Kinder auch in der Freizeit mit der Sprache zu konfrontieren. In den vergangenen Jahren jedoch waren diese angehalten worden, sich nicht in den Unterricht einzumischen und die Aufgaben ihrer Kinder nicht zu korrigieren. Von Anwesenden auf diese Widersprüche angesprochen, wichen die Verantwortlichen aus.

«Für die Kinder zu schwierig»
Kritische Bemerkungen und Fragen von Eltern und Lehrpersonen erhielten von den anderen oft Applaus. Bemängelt wurde der nicht alltagstaugliche Wortschatz im Lehrmittel. «Mille Feuilles» arbeitet mit authentischen Texten und nicht mit eigens fürs Lehrmittel erarbeiteten. Diese seien viel zu schwierig für die Kinder, lauteten viele Voten. Ein Sekundarlehrer berichtete, er habe kürzlich Besuch aus Frankreich gehabt und sogar diese Menschen hätten einige Wörter im für Primarschüler konzipierten Buch nicht verstanden. «Hier stimmt etwas nicht», so sein Fazit. «Hören Sie endlich auf die Kritik! Nehmen Sie sie endlich wahr!»

Christoph Eymann wusste sich darauf nicht anders zu helfen, als sich zu beschweren, es werde Polemik betrieben. Worauf ein Lehrer hochsprang und genervt antwortete: «Ich höre das seit 30 Jahren. Es gibt hier keine Polemik, sondern sachlich vorgetragene Kritik.»

Rechtschreibung früh trainieren
Sowohl Dieter Baur als auch Manuele Vanotti verwiesen immer wieder darauf, dass man sich bei Problemen zuerst an die Lehrperson wenden solle. Nach dem Protest aus dem Publikum, das sei zu einfach, wehrte sich Baur, er wolle keinesfalls so verstanden werden, dass die Unterrichtenden schuld an Problemen seien. «Die Lehrperson ist der Erfolgsfaktor Nummer 1», meinte Vanotti. Er räumte aber ein, dass es Rückmeldungen von Lehrkräften gebe, wonach bei den Kindern weder Grammatik noch Wortschatz sitzen.

Eine pensionierte Lehrerin, die lange mit dem alten Lehrmittel «Bonne Chance» unterrichtete und nun «Mille Feuilles»-Nachhilfe erteilt, beschwor die Verantwortlichen, mehr Struktur ins Lehrmittel zu bringen und es mit Übungen nach alter Methode zu ergänzen. Zudem müsse die Rechtschreibung von Beginn an trainiert werden, denn wenn ein Kind sie falsch lerne, sei es nachher sehr schwierig, dies zu korrigieren. Die Aussprache der Kinder sei ebenfalls nicht gut. Auch andere Eltern wiesen darauf hin, dass viele Buben und Mädchen mit strukturiertem Unterricht besser zurechtkommen.

Eine Mutter bedankte sich, dass man die Eltern endlich einmal anhöre. Und nur ein einziger Vater brach eine Lanze für das System.

Das Schlusswort hatte dann Regierungsrat Eymann: «Wir suchen den Dialog und wir arbeiten an der Kommunikation.» Eymanns Worte vermochten die Anwesenden nicht zu überzeugen. Im Hinausgehen meinte eine Frau etwas konsterniert und gleichzeitig süffisant lächelnd: «Es ist also alles nur ein Kommunikationsproblem ...»

Dies muss das Institut für Mehrsprachigkeit der Universität Freiburg klären, das mit einer Evaluationsstudie den Erfolg der Methode überprüfen soll. Ein Zwischenbericht kommt 2018, wenn der erste Passepartout-Jahrgang die Volksschule abschliesst, und der Schlussbericht 2021. Dann wird sich zeigen, ob das Projekt wirklich so erfolgreich ist, wie die Verantwortlichen behaupten, oder ob die vielen (sehr) kritisch eingestellten Eltern und Lehrpersonen nicht doch Recht haben. Und die Kinder? Die sind bis dahin quasi die Versuchskaninchen.


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