Es war kein erfreulicher Abend für den Basler
Erziehungsdirektor Christoph Eymann (LDP). Unter dem Titel «Zut alors! Wieso
lernt mein Kind im Franzi keine Wörtli mehr?!» hatte das Erziehungsdepartement
(ED) am Montagabend Eltern ins Congress Center Basel eingeladen, um ihnen die
Philosophie des Französisch-Lehrmittels «Mille Feuilles» zu erläutern.
Eymann wollte nur informieren, sah sich aber mit Kritik eingedeckt, Bild: Pino Covino
Der Unmut der Eltern, Basler Zeitung, 22.6. von Susanne Stettler
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«Die Methodik ist anders
geworden, die Didaktik ist anders geworden und das Lehrmittel auch», eröffnete
Dieter Baur, Leiter der Basler Volksschulen, die Veranstaltung. «Wir haben
grosses Interesse daran, Ihnen die neue Didaktik näherzubringen», erklärte
Regierungsrat Eymann und deutete damit an, wo er das Hauptproblem des
vielkritisierten Lehrmittels sieht: Die Eltern verstehen die neue Methodik
nicht, weil die meisten von ihnen Fremdsprachen auf eine andere Art gelernt
haben, nämlich mit Wörtli- und Grammatikbüffeln.
«Grammatik wird
überbewertet. Denn wenn ich im französischsprachigen Raum etwas bestellen will,
ist es relativ egal, ob ein Wort männlich oder weiblich ist», sagte Manuele
Vanotti, Passepartout-Verantwortlicher im Kanton Basel-Stadt. Passepartout
ist die Bezeichnung für den Fremdsprachenunterricht an den Volksschulen der Kantone
BS, BL, BE, SO, FR und VS. Auf unterhaltsame Weise präsentierte Vanotti die
hinter «Mille Feuilles» stehende Mehrsprachendidaktik.
Übungen nicht
stufengerecht
An Christoph Eymanns Aufforderung, Fragen zum
System zu stellen, andere Statements dem ED jedoch per Mail oder Post zukommen
zu lassen, mochten sich die Eltern nicht halten. Auch Manuele Vanottis Wunsch
nach «Mut, Vertrauen und Gelassenheit» der Erziehungsberechtigten ging nicht in
Erfüllung. Und seine auf Praxistests basierende Einschätzung «Passepartout ist
erfolgreich» teilte die Mehrheit der Anwesenden nicht.
Vom zu Beginn des Projekts
beschworenen Sprachbad, das in der Schule stattfinde, wollte Vanotti nichts
wissen. Er forderte die Eltern auf, die Kinder auch in der Freizeit mit der
Sprache zu konfrontieren. In den vergangenen Jahren jedoch waren diese
angehalten worden, sich nicht in den Unterricht einzumischen und die Aufgaben
ihrer Kinder nicht zu korrigieren. Von Anwesenden auf diese Widersprüche
angesprochen, wichen die Verantwortlichen aus.
«Für die Kinder zu
schwierig»
Kritische Bemerkungen und Fragen von Eltern
und Lehrpersonen erhielten von den anderen oft Applaus. Bemängelt wurde der
nicht alltagstaugliche Wortschatz im Lehrmittel. «Mille Feuilles» arbeitet mit
authentischen Texten und nicht mit eigens fürs Lehrmittel erarbeiteten. Diese
seien viel zu schwierig für die Kinder, lauteten viele Voten. Ein
Sekundarlehrer berichtete, er habe kürzlich Besuch aus Frankreich gehabt und
sogar diese Menschen hätten einige Wörter im für Primarschüler konzipierten
Buch nicht verstanden. «Hier stimmt etwas nicht», so sein Fazit. «Hören Sie
endlich auf die Kritik! Nehmen Sie sie endlich wahr!»
Christoph Eymann wusste
sich darauf nicht anders zu helfen, als sich zu beschweren, es werde Polemik
betrieben. Worauf ein Lehrer hochsprang und genervt antwortete: «Ich höre das
seit 30 Jahren. Es gibt hier keine Polemik, sondern sachlich vorgetragene
Kritik.»
Rechtschreibung früh
trainieren
Sowohl Dieter Baur als auch Manuele Vanotti
verwiesen immer wieder darauf, dass man sich bei Problemen zuerst an die
Lehrperson wenden solle. Nach dem Protest aus dem Publikum, das sei zu einfach,
wehrte sich Baur, er wolle keinesfalls so verstanden werden, dass die
Unterrichtenden schuld an Problemen seien. «Die Lehrperson ist der
Erfolgsfaktor Nummer 1», meinte Vanotti. Er räumte aber ein, dass es
Rückmeldungen von Lehrkräften gebe, wonach bei den Kindern weder Grammatik noch
Wortschatz sitzen.
Eine pensionierte
Lehrerin, die lange mit dem alten Lehrmittel «Bonne Chance» unterrichtete und
nun «Mille Feuilles»-Nachhilfe erteilt, beschwor die Verantwortlichen, mehr
Struktur ins Lehrmittel zu bringen und es mit Übungen nach alter Methode zu
ergänzen. Zudem müsse die Rechtschreibung von Beginn an trainiert werden, denn
wenn ein Kind sie falsch lerne, sei es nachher sehr schwierig, dies zu
korrigieren. Die Aussprache der Kinder sei ebenfalls nicht gut. Auch andere
Eltern wiesen darauf hin, dass viele Buben und Mädchen mit strukturiertem
Unterricht besser zurechtkommen.
Eine Mutter bedankte sich,
dass man die Eltern endlich einmal anhöre. Und nur ein einziger Vater brach
eine Lanze für das System.
Das Schlusswort hatte dann
Regierungsrat Eymann: «Wir suchen den Dialog und wir arbeiten an der
Kommunikation.» Eymanns Worte vermochten die Anwesenden nicht zu überzeugen. Im
Hinausgehen meinte eine Frau etwas konsterniert und gleichzeitig süffisant
lächelnd: «Es ist also alles nur ein Kommunikationsproblem ...»
Dies muss das Institut für
Mehrsprachigkeit der Universität Freiburg klären, das mit einer
Evaluationsstudie den Erfolg der Methode überprüfen soll. Ein Zwischenbericht
kommt 2018, wenn der erste Passepartout-Jahrgang die Volksschule abschliesst,
und der Schlussbericht 2021. Dann wird sich zeigen, ob das Projekt wirklich so
erfolgreich ist, wie die Verantwortlichen behaupten, oder ob die vielen (sehr)
kritisch eingestellten Eltern und Lehrpersonen nicht doch Recht haben. Und die
Kinder? Die sind bis dahin quasi die Versuchskaninchen.
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