Das vom Erziehungsrat des Kantons St. Gallen zur
Konsultation vorgelegte Beurteilungskonzept «Fördern oder Fordern» polarisiert
in der Öffentlichkeit. Wenig erfreulich ist dabei, dass meistens nur über die
Notenskala 6–1 oder 6–3 debattiert wird und alle weiteren Massnahmen, welche im
Beurteilungskonzept vorgeschlagen sind, kaum oder gar nicht angesprochen
werden. Viele von ihnen sind positiv zu werten, auch wenn sie für gute
Lehrpersonen über weite Teile selbstverständlich sind.
Kontroverse um die Notenskala, St. Galler Tagblatt, 31.5. von Rolf Dubs
Auch in der Wissenschaft diskutiert
Seit über vierzig Jahren werden die Fragen der Notengebung und der Notenskalen auch in der Wissenschaft kontrovers diskutiert. Stark mehrheitlich vertreten die Forschenden die Auffassung, dass sowohl periodische Noten in Zeugnissen als auch Noten in einzelnen Klausuren pädagogisch wertvoll sind. Ob sie aber längerfristig zu besseren Lernleistungen beitragen, ist immer noch ungeklärt. Doch gibt es Einzelerkenntnisse, welche eher für Noten sprechen. So ist die konstruktivistische Pädagogik mit ihrer Idee der Selbstevaluation durch die Lernenden anstelle von Noten gescheitert. Auch bestätigen viele Untersuchungen, dass benotete Klausuren die extrinsische Motivation zum Lernen erhöhen und die Lernhaltung verstärken. Schliesslich zeigen viele Schülerbefragungen, dass die Lernenden selbst etwa ab der dritten Klasse zur Einschätzung ihres eigenen Könnens Noten wünschen und diese gegenüber Wortbeurteilungen vorziehen.
Wissenschaftlich unbeantwortet bleibt hingegen trotz
vieler Studien die Problematik der Notenskalen und der Notenverteilung
innerhalb einer Klasse. Sicher ist nur, dass eine zu differenzierte Skala (z.
B. 6–1 mit Viertelnoten) zu weniger gültigen Ergebnissen führt als einfache
Skalen. Die Breite der Skala bleibt aber aus wissenschaftlicher Sicht immer
eine subjektiv durch die Schulbehörden festzulegende Aufgabe. Deshalb lässt
sich die jetzt diskutierte Problematik 6–1 bzw. 6–3 wissenschaftlich nicht
lösen, sondern nur argumentativ vertreten.
Eine brauchbare Tradition
Ich bin für eine Skala 6–1. Erstens sollte für Zeugnisse
und die tägliche Benotung von Klausuren die gleiche Skala gelten. Ich erwarte
bei völlig ungenügenden Prüfungsarbeiten und – wenn auch etwas weniger – in
Zeugnissen mehr ermahnende Wirkungen, eine grössere Herausforderung und
längerfristig eine bessere Motivation, wenn die Noten 1 und 2 erteilt werden.
Zweitens besteht, wenn nur noch eine ungenügende Note vergeben werden kann, die
Gefahr, dass infolge ihres wenig differenzierten Gewichts weniger klare
Aussagen entstehen, was längerfristig zu einer Abwertung der Aussagekraft der
Noten führen kann. Und drittens sollte eine Tradition, die seit langem brauchbar
ist, nicht durch eine «Reform» ohne überzeugende Rechtfertigung verändert
werden. Solche «Reformen» belasten die Lehrkräfte und schaffen während längerer
Zeit unnötige Verunsicherungen in der Lehrerschaft und bei den Eltern, bis sie
mit dem Neuen wirklich vertraut sind.
Zusätzliche Belastungen für die
Lehrerschaft bringt das Beurteilungskonzept mit der Verknüpfung von Noten und
Kompetenzen ohnehin. Dies weil die Kompetenzorientierung im Lehrplan 21 zu
wenig praxisorientiert ausgestaltet ist und daher noch viel Arbeit für jede
Lehrperson bringt, wenn sie weisungsgemäss kompetenzorientiert benoten und dazu
traditionelle Aufgabenstellungen überwinden muss.
Meines Erachtens ist die Streitfrage 6–1 oder 6– ein
Nebenkriegsschauplatz, der das ganze Beurteilungskonzept nicht in Frage stellen
sollte. Klug wäre es, der Mehrheitsmeinung der Lehrerschaft zu folgen, denn
ihre Einstellung ist für die Akzeptanz und das kompetente Anwenden der
Notenskala unabdingbar.
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