"Diese Behauptungen sind für mich ein gröberes Foul", Basler Schulblatt Juni 2016, Interview von Peter Wittwer
Anders als gegenwärtig
im Nachbarkanton Basel-Landschaft ist Basel-Stadt kaum etwas von einer
Fundamentalopposition gegen die Richtung zu spüren, in die sich die Schulen in
der Aera Eymann entwickelt haben. Im langsam anlaufenden Wahlkampf wurden aber
in politischen Vorstössen von Katja Christ (Grünliberale) und einer Kolumne der
FDP- Vizepräsidentin Nadine Gautschi in der BaZ Vorwürfe laut, die der
abtretende Vorsteher des Erziehungsdepartementes nicht unwidersprochen im Raum
stehen lassen mag. Im Interview mit der Schulblatt-Redaktion nimmt Christoph
Eymann Stellung zu kritischen Fragen zu den verschiedenen Unterrichtsmodellen
auf der Sekundarstufe I, zum Fremdsprachenunterricht und zu den «klassischen
Managementfehlern», die dem ED beim Einsatz der beträchtlichen Mittel für die
Volksschule unterlaufen sein sollen.
Basler Schulblatt: Der Wagen der Volkschule stecke im Morast, weil die Ideen und
Konzepte als Zugpferde davon galoppiert sind, wirft ihnen FDP-Vizepräsidentin
Nadine Gautschi in einer BaZ-Kolumne vor. Das ist eine ziemlich drastische
Schilderung.
Christoph Eymann: Dieser Vorwurf ist für
mich nicht nachvollziehbar und eine Frechheit gegenüber allen Lehrpersonen, die
mit viel Engagement dafür sorgen, dass an den Basler Schulen täglich ein
Unterricht stattfindet. Ich verstehe, dass sich Eltern mit schulpflichtigen
Kindern stark für den Schulalltag interessieren. Es ist aber nicht dienlich,
aufgrund eigener Erlebnisse gleich das gesamte Schulsystem schlecht zu reden.
Wer leichtfertig behauptet, die Volksschule stecke im Morast fest, begeht ein
gröberes Foul und versucht sich – mit teilweise widersprüchlichen Argumenten –
auf Kosten anderer zu profilieren.
Was für Widersprüche
sprechen Sie an?
Gerade die FDP hat es
sich ja auf die Fahne geschrieben, die Schulen von unnötiger Bürokratie zu
entlasten. Da mutet es absurd an, dass deren Vizepräsidentin in der Kolumne
eine umfassende Kosten-Nutzen-Analyse der Reformvorgänge an der Volksschule
fordert. Um das seriös zu leisten, bräuchte es sicher nicht weniger, sondern
mehr Evaluationen und Analysen, die die Schulen neben dem Unterricht zusätzlich
belasten würden. Für die Grossratswahlen hat die FDP den Slogan «Mehr
Unterricht, weniger Lernbericht» erfunden – da frage ich mich: will die FDP
tatsächlich keine Beurteilungen der Schulleistungen mehr?
Was stehen sie zur
Forderung, insbesondere an den Primarschulen müsse die Anzahl der Lehr- und
Fachpersonen hinterfragt und die Wirksamkeit der Fördermassnahmen grundsätzlich
überprüft werden?
Da muss ich ganz klar sagen,
dass die Albert Anker-Idylle mit dem Dorfschullehrer, der allein für den ganzen
Unterricht von 40 oder noch mehr Kindern zuständig ist, den Verhältnissen an
den Basler Schulen unmöglich gerecht werden kann. Mit der vom Grossen Rat
beschlossenen Schulreform, die übrigens auch von der FDP unterstützt worden
ist, braucht es an der um zwei Jahre verlängerten Primarschule das
Zusammenspiel von Spezialisten im Schulzimmer. Wenn wir nicht wollen, dass
diese Ressourcen bereit gestellt werden, dann ist die integrative Volksschule
nicht umsetzbar.
Wie erklären Sie sich,
dass ausgerechnet die FDP sich vor diesen Wahlen bildungspolitisch so zum
Fenster hinauslehnt?
Die FDP hat
offensichtlich die Bildung entdeckt. Ein Indiz dafür ist für mich auch die von
den Jungfreisinnigen lancierte Volksinitiative für mehr Politikunterricht an
den Schulen. Dabei werden zwei Tatsachen übersehen: Den Politik-Unterricht gibt
es bereits, einfach nicht als so bezeichnetes Schulfach und es ist gefährlich,
die Schule mit Volksinitiativen steuern zu wollen. Klar, mehr Politikunterricht
tönt gut. Aber auch mehr Musikununterricht. Oder mehr Französischsstunden. Die
stundentafel ist eine sehr anspruchsvolle Angelegenheit, die man nicht mit
Volksinitiativen verändern sollte. Wohin das führen kann, sieht man in unserem
Nachbarkanton, wo die diversen Volksinitiativen eine Verunsicherung der Schule
bewirkt haben und kaum noch jemand den Überblick hat. Immerhin ist die FDP noch
nicht so weit wie vor einigen Jahren, als auf Plakatwänden verkündet wurde, das
Beste an den Basler Schulen seien die Pausen. Es gäbe bessere Tummelplätze für
die basel-städtische FDP, zum Beispiel das Gespräch mit ihren
Parteilkolleginnen und -kollegen im Landrat über die Uni-Finanzierung…
Als Präsident der
Erziehungsdirektorenkonferenz haben sie das Passepartout-Konzept verteidigt.
Hohe Wellen geschlagen hat vor allem, dass sie eine Langzeitstudie, in der die
Wirksamkeit des frühen Erlernens vom Fremdsprachen bezweifelt wird, als
«offensichtlich qualitativ nicht genügend» bezeichnet haben. Was hat sie dazu
bewogen und halten sie an dieser Einschätzung fest?
Dazu muss ich ganz klar
sagen, dass meine Kritik nicht auf die Studie und schon gar nicht deren
Verfasserin zielt, sondern auf die Argumentation, zu der die Studie dienen soll
gemäss Basler Zeitung. In Einklang mit dem Bildungsforscher Stefan Wolter bin
ich überzeugt, dass die Studie keine schlüssigen Antworten liefert, ob die mit
dem Projekt Passepartout angestrebten Ziele erreicht werden können. Bis die auf
2018 vorgesehene Evaluation des Projekts vorliegt, kann man natürlich vieles
behaupten und sich über die Tauglichkeit der Lehrmittel streiten. Damit dies
nicht nur auf Stammtisch-Niveau geschieht, werden wir noch vor den Sommerferien
Info-Abende organisieren, an denen Eltern Antworten auf kritische Fragen zu den
verwendeten Lehrmitteln bekommen.
Braucht es nach ihrer
Einschätzung nach Beendigung des Projekts Anpassungen, wie dies die
grünliberale Grossrätin Katja Christ in einer Interpellation fordert?
Auf diese Frage kann und
will ich erst antworten, wenn die Resultate der Evaluation vorliegen. Es bringt
wenig, wenn die Grünliberale Partei eine Umfrage bestellt mit dem Ziel, die
Lehrmittel schlecht darzustellen. Ich stelle natürlich fest, dass viele Eltern
sich damit schwer tun, dass ihre Kinder eine Fremdsprache an der Schule ganz
anders erlernen und die Lehrmittel anders daherkommen, als sie es gewohnt sind.
Der Fokus hat sich klar weg von einer von Beginn weg korrekten Grammatik und
Rechtschreibung zu besserem Hörverständnis und der Fähigkeit verschoben, sich
schon früh mit Fremdsprachigen unterhalten zu können. Bei Ausflügen von
Primarschulklassen zum Beispiel in den Jura funktioniert das, so weit ich das
mitbekommen habe, recht gut. Wenn es sich nach unserer seriösen Evaluation
zeigen sollte, dass es Anpassungen braucht, werden wir die sicher machen.
In einer schriftlichen
Anfrage kritisiert Katja Christ, dass es an den Sekundarschulen
unterschiedliche Unterrichtsmodelle gibt, in die Schülerinnen und Schüler zum
Teil gegen ihren Willen eingeteilt werden.
Ich finde es richtig und
wichtig, dass die Sekundarschulen die Freiheit haben, selbst wählen zu können,
wie sie die Ziele erreichen wollen, die der Lehrplan 21 vorgibt. Das
Schulgesetz ist unlängst vom Grossen Rat dahingehend geändert worden. Die
Initiative zu den verschiedenen Unterrichtsmodellen ging von den Schulen und
nicht vom ED aus und ich sehe keinen Grund, hier zu intervenieren. Der Vorstoss
zeigt mir, wie verwöhnt wir in der Schweiz sind. Ein Teil der Eltern meint, an
der Volksschule den Schulinhalt für ihre Kinder bis ins letzte Detail nach
ihren Wünschen zusammensetzen zu können. Das ist nun halt mal nicht so. Ich bin
überzeugt und die Erfahrung zeigt, dass viele Eltern aus einer gewissen
zeitlichen Distanz sehen, dass die Einteilung an einen anderen als Standort als
den, den sie gewünscht haben, ihren Kindern nicht geschadet, sondern häufig
sogar genutzt hat.
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