Schafft
ein möglichst lückenloses Bildungsprogramm eine starke Volksschule? Dies könnte
man fast vermuten, wenn man einen Blick auf die überfüllten Lektionentafeln des
in die Vernehmlassung geschickten Zürcher Lehrplans 21 wirft. Getragen von der
Vorstellung, dass eine detaillierte Planung mit nicht weniger als 2700
Teilzielen den Erfolg schon fast garantiere, wird die Volksschule ganz gehörig
unter einen Erwartungsdruck gestellt. Da
werden 36 Wochenlektionen im achten Schuljahr festgelegt, obwohl man längst weiss,
dass kaum ein Schüler ohne Leistungseinbussen dieses Wochenprogramm schafft.
Überfüllte Lektionentafeln aufgrund eines hohen Erwartungsdrucks, Hanspeter Amstutz, 21.4.
Mehr Lektionen auf Kosten des Halbklassenunterrichts?
Nachhaltige
Bildung zeichnet sich durch Konzentration auf Wesentliches und durch eine
vernünftige Zahl an überprüfbaren Kompetenzzielen aus. Lehrpersonen haben einen
verbindlichen Grundauftrag zu erfüllen. Dieser darf nicht durch engmaschige Vorgaben
und einem Zuviel an Unterrichtszielen bestimmt werden. Doch die Zürcher
Volksschule soll nun offensichtlich das sehr umfangreiche Programm des
Deutschschweizer Lehrplans 21 ungekürzt übernehmen. Das ist keine gute
Voraussetzung für mehr Unterrichtsqualität, da durch planerische Hektik und
fehlender Raum für das eminent wichtige Vertiefen von Lernprozessen die
Gestaltungsfreiheit der Lehrpersonen stark eingeschränkt wird.
Es ist eine Illusion zu glauben, der Druck
eines randvollen Bildungsprogramms könne
durch Aufstockung der Lektionentafeln einfach aufgefangen werden. Kommt dann
noch die Kostenneutralität dazu, geht dies unweigerlich mit einer
Verschlechterung der schulischen Rahmenbedingungen einher. Statt mehr
Halbklassenunterricht anzubieten, werden diese abgebaut, weil das Geld für die
Mehrlektionen verwendet werden muss.
Lückenloses Bildungsangebot als Garant
für mehr Schulqualität?
Am
deutlichsten zeigt sich bei der Lektionentafel der Mittelstufe, dass man mit
einem auf dem Papier sehr vielfältigen Bildungsprogramm möglichst allen
Wünschen gerecht werden möchte. Früh zwei Fremdsprachen lernen, Sicherheit im
Deutsch gewinnen, kindgerechtes Kennenlernen der Naturwissenschaften,
systematische Einführung von Informatik und Medienkunde und Beibehaltung aller
musischen Fächer, das ist doch unbestritten ein tolles Programm! Doch dieser
Tanz auf mehreren Hochzeiten geht nicht mehr auf. Mit 31 Wochenlektionen ist
das Fuder eindeutig überladen, obwohl durch den Abbau von Handarbeitsstunden ein
für das Selbstvertrauen vieler Kinder wichtiger Fachbereich gekürzt wurde.
Für
die Mittelstufe liegt eine praktikable Lösung auf der Hand, um pädagogische
Hektik abzubauen: Konzentration auf nur eine Fremdsprache. Damit würde der Zersplitterung
der Zielsetzungen ein Riegel geschoben. Doch statt die gescheiterte Übung
abzubrechen, wird die Sprachen- und Kopflastigkeit der Mittelstufe noch
verstärkt. Am frühen Lernen zweier Fremdsprachenlernen wird krampfhaft festgehalten,
obschon die bescheidenen Resultate in keinem vernünftigen Verhältnis zum teuren
Ausbildungsaufwand der Lehrpersonen stehen.
Der
neue Zürcher Lehrplan 21 böte eigentlich die Chance, die Qualität der Bildung zu
stärken. Doch wer verschlechterte Rahmenbedingungen für den Unterricht in Kauf
nimmt, am falschen Ort die Mittel einsetzt und mit einem Zuviel an Versprechungen
pädagogisch fragwürdig vorgeht, vermag nicht zu überzeugen.
Ein Lehrplan mit zu vielen offenen Fragen
Die meisten
Lehrplanverantwortlichen versuchen nun, den Stellenwert des neuen Lehrplans zu
relativieren, indem sie betonen, dass in erster Linie die Lehrmittel und nicht
der Lehrplan den Schulalltag prägen. Ausgeblendet wird dabei eine Reihe ungelöster
Fragen wie beispielsweise die Steuerung der Bildung durch ein ausgeklügeltes
Monitoring oder die Gestaltung der komplexen Zeugnisse aufgrund des wenig
übersichtlichen Lehrplanaufbaus. Die Einstellung, dass die Suppe nicht so heiss
gegessen werde, wie sie gekocht wurde, drückt nicht gerade Aufbruchstimmung für
ein Bildungsprogramm aus, das als Jahrhundertwerk angekündigt wurde.
Zum
Glück besteht jetzt die Chance, dass mit dem Start der Vernehmlassung zum Zürcher Lehrplan 21 endlich eine vertiefte
Grundsatzdiskussion über eine kindgerechte
Pädagogik, die diesen Namen auch verdient, stattfinden kann.
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