Alain
Pichard und Beat Kissling, die Herausgeber der lehrplankritischen Broschüre „Einspruch“
referierten in Chur über den Lehrplan 21. Ganz zu Beginn war auch
Erziehungschef Martin Jäger da. Allerdings nur, um die Referenten zu begrüssen,
danach begab er sich an eine Gesangsprobe.
Das Komitee "Gute Schule Graubünden" organisierte einen Vortragsabend, Bild: Gute Schule Graubünden
Offene Diskussion und Nachdenken gefordert, Urs Kalberer, 20.4.
In
seinem Referat machte Alain Pichard klar, dass es für die angekündigte Reform
im Zusammenhang mit dem Lehrplan 21 keine zwingenden Gründe gibt – Reformhektik
im Hamsterrad. Der Bieler Lehrer gab zu bedenken, dass den vielen offenen
Fragen im Zusammenhang mit dem neuen Lehrplan ausgewichen werde. Leere
Behauptungen würden in den Raum gestellt, ohne diese wirklich auch belegen zu
können. So sei auch von offizieller Seite unklar, ob es sich beim Lehrplan-Projekt
um einen grundlegenden Paradigmenwechsel handle oder ob sich eigentlich gar
nichts ändere. Als weiteres Beispiel für unbeantwortete Fragen nannte Pichard
die Beurteilung. Hier sei nach wie vor unklar, ob und wie die
überfachlichen Kompetenzen beurteilt werden.
Interessant
der Hinweis auf die gängige Vernehmlassungs-Kultur. Lehrer werden offiziell
eingeladen, vorne referiert ein gutgelaunter Erziehungsdirektor und dann wird langsam
der Apéro aufgefahren. „Gibt es noch Fragen? Alles klar?“ Das wird uns dann als Meinung der
Lehrerschaft verkauft!
Abgesehen
davon, dass der Lehrplan eben gerade kein Harmonisierungsprojekt ist, erfahren
die zahlreichen interessierten Zuhörer, dass das hohe Ja zum Bildungsartikel in
der Bundesverfassung missbraucht wurde für Dinge, über die seinerzeit gar nicht
abgestimmt wurde. Wirtschaftliches Steuerungsmodell? Outputorientierung?
Kompetenzorientierung? Testbatterien? Deprofessionalisierung der Lehrer zu
Coaches? Dies alles und noch mehr wird uns nun von einer ausser Rand und Band
geratenen Bildungsbürokratie aufgetischt.
Beat Kissling machte aufmerksam auf die
Argumentationstaktik der Befürworter. Man sage, die Kompetenzorientierung sei
doch nichts Neues. Viele Lehrer würden sie schon heute praktizieren. Auch viele
Lehrmittel seien schon auf den neuen Lehrplan abgestimmt. Deshalb brauche man
dafür keine Legitimation, eine Mitsprache des Volkes sei deshalb nicht nötig. Doch, so wies
Kissling nach, der Begriff „Kompetenz“ sei alles andere als klar umrissen.
Während wir im normalen Sprachgebrauch darunter durchaus einen positiv
besetzten Begriff verstehen, spricht Roland Reichenbach im Zusammenhang mit dem Lehrplan 21 von Kompetenz als „Überredungsbegriff“, der die enge, auf Output und
Performanz reduzierte Bedeutung, verschleiern soll.
Der Wechsel von einer Input- zu einer
Outputorientierung gehorcht wirtschaftlichen Grundsätzen. Es wird gemessen,
evaluiert und beurteilt. Die Schüler
werden eigentlich alleine gelassen. Besonders erhellend wirkten die Beispiele,
die Kissling aus seiner Bekanntschaft zum besten gab. Kinder, die eigentlich
lernen wollen, werden sich selbst überlassen. Dies gemäss der
konstruktivistischen Lehre, die den Lehrer überflüssig machen will. Doch dies
kann nicht der Weg einer erfolgreichen Schule sein. Die Erfahrungen, die man in
den USA und in Deutschland machte, sollten für uns Schweizer eine Mahnung sein.
Kissling sieht denn auch eine Schwächung der öffentlichen Schulen voraus. Die
Volksschule als Produkt unseres demokratischen Staatsaufbaus ist in Gefahr.
Beide Referenten verstanden es, durch ihre
sachliche Argumentation die Zuhörer zu begeistern. Sie bauten auf die Vernunft
und das Urteilsvermögen des mündigen Staatsbürgers, der sich um seine Volksschule
sorgt. Damit zeigten Pichard und Kissling einen Weg, wie der Bürger sich gegen
die Bevormundung und Manipulation der Bildungseliten zur Wehr setzen kann. Denn
nichts fürchten diese so sehr wie eine sachliche Auseinandersetzung. In diesem
Sinn kann man dem Initiativkomitee nur wünschen, dass es gelingt, das
entfachte Feuer am Leben zu behalten und gegenüber den zahlreichen Hindernissen
den Mut nicht zu verlieren.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen