21. April 2016

Offene Diskussion und Nachdenken gefordert

Alain Pichard und Beat Kissling, die Herausgeber der lehrplankritischen Broschüre „Einspruch“ referierten in Chur über den Lehrplan 21. Ganz zu Beginn war auch Erziehungschef Martin Jäger da. Allerdings nur, um die Referenten zu begrüssen, danach begab er sich an eine Gesangsprobe.


Das Komitee "Gute Schule Graubünden" organisierte einen Vortragsabend, Bild: Gute Schule Graubünden
Offene Diskussion und Nachdenken gefordert, Urs Kalberer, 20.4.

In seinem Referat machte Alain Pichard klar, dass es für die angekündigte Reform im Zusammenhang mit dem Lehrplan 21 keine zwingenden Gründe gibt – Reformhektik im Hamsterrad. Der Bieler Lehrer gab zu bedenken, dass den vielen offenen Fragen im Zusammenhang mit dem neuen Lehrplan ausgewichen werde. Leere Behauptungen würden in den Raum gestellt, ohne diese wirklich auch belegen zu können. So sei auch von offizieller Seite unklar, ob es sich beim Lehrplan-Projekt um einen grundlegenden Paradigmenwechsel handle oder ob sich eigentlich gar nichts ändere. Als weiteres Beispiel für unbeantwortete Fragen nannte Pichard die Beurteilung. Hier sei nach wie vor unklar, ob und wie die überfachlichen Kompetenzen beurteilt werden.
Interessant der Hinweis auf die gängige Vernehmlassungs-Kultur. Lehrer werden offiziell eingeladen, vorne referiert ein gutgelaunter Erziehungsdirektor und dann wird langsam der Apéro aufgefahren. „Gibt es noch Fragen?  Alles klar?“ Das wird uns dann als Meinung der Lehrerschaft verkauft!
Abgesehen davon, dass der Lehrplan eben gerade kein Harmonisierungsprojekt ist, erfahren die zahlreichen interessierten Zuhörer, dass das hohe Ja zum Bildungsartikel in der Bundesverfassung missbraucht wurde für Dinge, über die seinerzeit gar nicht abgestimmt wurde. Wirtschaftliches Steuerungsmodell? Outputorientierung? Kompetenzorientierung? Testbatterien? Deprofessionalisierung der Lehrer zu Coaches? Dies alles und noch mehr wird uns nun von einer ausser Rand und Band geratenen Bildungsbürokratie aufgetischt.  
Beat Kissling machte aufmerksam auf die Argumentationstaktik der Befürworter. Man sage, die Kompetenzorientierung sei doch nichts Neues. Viele Lehrer würden sie schon heute praktizieren. Auch viele Lehrmittel seien schon auf den neuen Lehrplan abgestimmt. Deshalb brauche man dafür keine Legitimation, eine Mitsprache des Volkes sei deshalb nicht nötig. Doch, so wies Kissling nach, der Begriff „Kompetenz“ sei alles andere als klar umrissen. Während wir im normalen Sprachgebrauch darunter durchaus einen positiv besetzten Begriff verstehen, spricht Roland Reichenbach im Zusammenhang mit dem Lehrplan 21 von Kompetenz als „Überredungsbegriff“, der die enge, auf Output und Performanz reduzierte Bedeutung, verschleiern soll.  

Der Wechsel von einer Input- zu einer Outputorientierung gehorcht wirtschaftlichen Grundsätzen. Es wird gemessen, evaluiert und beurteilt.  Die Schüler werden eigentlich alleine gelassen. Besonders erhellend wirkten die Beispiele, die Kissling aus seiner Bekanntschaft zum besten gab. Kinder, die eigentlich lernen wollen, werden sich selbst überlassen. Dies gemäss der konstruktivistischen Lehre, die den Lehrer überflüssig machen will. Doch dies kann nicht der Weg einer erfolgreichen Schule sein. Die Erfahrungen, die man in den USA und in Deutschland machte, sollten für uns Schweizer eine Mahnung sein. Kissling sieht denn auch eine Schwächung der öffentlichen Schulen voraus. Die Volksschule als Produkt unseres demokratischen Staatsaufbaus ist in Gefahr.


Beide Referenten verstanden es, durch ihre sachliche Argumentation die Zuhörer zu begeistern. Sie bauten auf die Vernunft und das Urteilsvermögen des mündigen Staatsbürgers, der sich um seine Volksschule sorgt. Damit zeigten Pichard und Kissling einen Weg, wie der Bürger sich gegen die Bevormundung und Manipulation der Bildungseliten zur Wehr setzen kann. Denn nichts fürchten diese so sehr wie eine sachliche Auseinandersetzung. In diesem Sinn kann man dem Initiativkomitee nur wünschen, dass es gelingt, das entfachte Feuer am Leben zu behalten und gegenüber den zahlreichen Hindernissen den Mut nicht zu verlieren. 

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