23. April 2016

"Eure Meinung ist uns wichtig"

Die Mitarbeiter einer Hochschule werden per Mail von der Leitung zu einem «Hearing» eingeladen. «Eure Meinung ist uns wichtig!», steht im Betreff. Es geht um eine interne Reorganisation und Lehrmittel. «Die Hochschulleitung freut sich auf eine lebhafte Diskussion!» Zwei Wochen später: Die Aufgebotenen platzieren sich weit weg vom Podium. Stoisch lassen sie anschliessend eine Power-Point-Präsentation voller Ablaufschemen und Anglizismen über sich ergehen. Den Satz‚ «die Schulleitung hat beschlossen», hört man mehrmals. Es wird auf Vorgaben der Direktorenkonferenz, globale Standards und Studien hingewiesen, die «zwingend» eingehalten werden müssen. Endlich die Diskussion. Niemand meldet sich. Zwei Mitarbeiter mit Mikrofonen stehen tatenlos herum. Schliesslich erhebt eine Frau die Hand. «Kann ich dieses Hearing voll als Arbeitszeit abrechnen, auch wenn ich 40 Prozent arbeite?» Weitere Fragen gibt es nicht. Nach Abschluss des Hearings, als die Mitarbeiter unter sich sind, geht es los: Man sage nichts, bevor man nicht weiss, ob Vorschläge ernsthaft geprüft werden! Eine lausige Alibiübung eines Public-Relations-Profis! Die Leitung inszeniert wie oft «Mitarbeiterbeteiligung», ohne zuzuhören.
Eure Meinung ist uns wichtig, Basler Zeitung, 22.4. von Allan Guggenbühl


Neuerungen in Ausbildungsinstitutionen sind erfolgreich, wenn die Basis mitmacht. Vor allem wenn das Ausbildungsniveau der Mitarbeiter hoch ist, können Reformen nicht top-down implementiert werden. Sie müssen einleuchten. Informationskampagnen genügen nicht, sondern es braucht eine aktive Mitwirkung bei Kernentscheiden. Was in höheren Gremien ausgedacht wird, muss der Realität der Arbeitswelt angepasst werden.

Früher wurde die Schweiz durch kleine ­Ausbildungsinstitutionen geprägt. Dort konnte man sich an Dozententreffen oder informellen Zusammenkünften über Vorschläge der Bildungs­direktion oder mit Experten austauschen. Entscheidungsrahmen und Einflussmöglichkeiten waren klar. Die Chance war gross, dass Mitarbeiter ihren Chefs sagten, was sie denken. In grossen Ausbildungsinstitutionen mit einem komplexen Oberbau und vielen Kaderpositionen, wie wir es heute kennen, ist dies schwieriger. Die Verantwortlichen sind fern und werden vom Diskurs unter Ihresgleichen absorbiert. Man will an Kongressen mit der eigenen Forschung brillieren oder wendet sich dem globalen Networking zu. Die Erfahrungen der Mitarbeiter rücken in den Hintergrund. Eine Einladung zu einem Kongress in Dortmund ist wichtiger als vertiefte Gespräche mit der Basis. Die Gefahr ist, dass diese sich als steuerbare Masse erlebt, der erklärt werden muss, was «fortschrittlich» ist. Man verlässt sich auf professionelle Kommunikationsstrategien statt Begegnungen. Es geht nicht um das Hineinhören in die Praxis, sondern die Durchsetzung aktueller Paradigmen oder ­Irrtümer der Forschungsgemeinschaft. Das Gefühl breitet sich aus, dass das New Public Management Mitbeteiligung vorgaukelt. In Wirklichkeit sind Grundsatzentscheide längst gefallen und man redet nur über Details. Geht es darum, der Basis Sand in die Augen zu streuen und sich eine ­Scheinlegitimation zu geben?

Diese Form des Kontaktes zu Mitarbeitern kennt man nicht nur aus China, sondern auch in Ländern mit einer obrigkeitlichen Tradition wie England und Frankreich. In den letzten beiden haben sich als Gegengewicht starke Gewerkschaften, Streik­bereitschaft und Strategien verbreitet, wie man die «Oberen» austrickst. Muss es bei uns auch so weit kommen? Die schweizerische Demokratie lebt von einer Diskussionskultur jenseits der Hierarchien und Stände. Wirkliche Leader hören auf ihre ­Mitarbeiter und nehmen ihre Vorschläge auf.

Allan Guggenbühl ist Psychologe und Autor des Buches ­«Vergessene Klugheit – Wie Normen uns am Denken ­hindern».

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