23. April 2016

Lehrplan 21: Indoktrination und Zwang zur Selbstreflexion

Saskia Olsson, Geschäftsleiterin der Starken Schule, will dem Lehrplan 21 Grenzen setzen.













Saskia Olsson hält nichts von den «Wischiwaschi-Kompetenzbeschreibungen» im Lehrplan 21. Bild: Jérôme Depierre
«Die Lerninhalte kommen zu kurz», Basler Zeitung, 23.4. von Thomas Dähler


BaZ: Statt die Experten im Bildungsrat sollen die Volksvertreter im Landrat über die Einführung des Lehrplans 21 bestimmen. Weshalb?
Saskia Olsson: Durch diese Vorlage wird der Bildungsrat nicht entmachtet. Bei der Einführung des Lehrplans  21 handelt es sich um einen Entscheid von grosser Bedeutung. Deshalb soll der Landrat, der vom Volk gewählt wurde, als zweite Instanz das vom Bildungsrat erarbeitete Resultat begutachten und absegnen. So hat der Landrat die Möglichkeit, wenn das nötig sein sollte, den Lehrplan nochmals an den Bildungsrat zur Überarbeitung zurückzugeben.
Wir stimmen über diese Verlagerung der Entscheidungskompetenz ab. Wäre es nicht sinnvoller, an der Urne gleich über den Lehrplan 21 als solchen abzustimmen?
Damit wäre zwar der Lehrplan 21 infrage gestellt, nicht aber das Konzept dahinter. Unser Ziel ist es, die Philosophie, die dem Lehrplan 21 zugrunde liegt und die zu einem Bildungsabbau führt, zu verhindern. Wenn das Volk bloss Nein zum Lehrplan 21 sagen würde, wäre das Risiko gross, dass der Bildungsrat künftig wieder einen Lehrplan Volksschule vorlegen würde, der genau auf der gleichen Philosophie basiert.
Eine Schwierigkeit ist, dass der Lehrplan 21 auf der Primarschulstufe bereits eingeführt wurde, obwohl ein Volksentscheid noch bevorsteht. Ist es zu verantworten, auf diesen Entscheid allenfalls nochmals zurückzukommen?
Diese Vorlage betrifft ausschliesslich den Lehrplan 21 auf der Sekundarschulstufe 1. Die Primarschulstufe ist durch diese Gesetzesänderung explizit nicht betroffen.
Die Vorlage sieht vor, dass der bereits eingeführte Lehrplan 21 vom Landrat auch für die Primarschulstufe nachträglich genehmigt werden müsste.
Der Lehrplan 21 ist auf der Sekundarstufe, auf die sich dieses Gesetz beschränkt, noch nicht eingeführt. Diese Klausel garantiert nun, dass der Lehrplan auf der Sekundarschule nicht eingeführt werden kann, bis dieses Gesetz in Kraft tritt. Und sollte der Bildungsrat trotz sämtlicher Kritik der Fachexperten und Pädagogen den Lehrplan dennoch einführen, so könnte dies durch den Landrat wieder rückgängig gemacht werden.
Die Starke Schule kritisiert den Lehrplan  21 schon sehr lange. Immerhin wurde auch eine erste Fassung dieses Lehrplans nochmals überarbeitet. Weshalb reichen ihnen diese Korrekturen nicht?
Der Lehrplan 21 enthält weiterhin rund 3500 zum Teil abstrakte und nicht umsetzbare Kompetenzbeschreibungen. Die Lerninhalte und die zu behandelnden Themen kommen deutlich zu kurz. Deshalb halten wir an unserer Kritik fest. Uns stören die Indoktrination und der Zwang zur ständigen Selbstreflexion.
Haben Sie etwas dagegen, dass Betriebe, die Lehrlinge suchen, sich auf messbare Resultate abstützen können?
Die Kompetenzen im Lehrplan 21 sind viel zu theoretisch und können gar nicht gemessen werden. Wer will schon wissen, ob Schülerinnen und Schüler beispielsweise «fremde Kultur reflektieren» können? Wie sollen die Lehrpersonen die Erreichung dieser Kompetenz beurteilen? Entscheidender ist doch, welches Wissen und welche Fähigkeiten sich die Schüler aneignen. Eine Schulharmonisierung kann nicht erreicht werden, so lange die Lerninhalte und die Schulstoffe nicht pro Fach und für jedes Jahr klar definiert sind. Das geht einfach nicht mit diesen Wischiwaschi-Kompetenzbeschreibungen, die jeder anders interpretiert.
Die Welt hat sich verändert. Inhalte sind heute einfacher abrufbar, wenn man sie wirklich braucht.
Auch heute sollte man über ein gutes Allgemeinwissen verfügen. Nur so ist zum Beispiel ein vernetztes Denken möglich. Es ist erschreckend, wie wenig wir uns auf unser Wissen verlassen und jede Kleinigkeit googeln.
Weshalb setzt das Komitee Starke Schule Baselland auf Volksentscheide? Sie könnte Ihre Energie auch darauf konzentrieren, auf das Parlament oder den Bildungsrat einzuwirken?
Bei zwei der jetzt anstehenden drei Bildungsvorlagen handelt es sich um Parlamentarische Initiativen von Landrat Jürg Wiedemann. Wir haben diese beiden Vorstösse ausgearbeitet und durch ihn einreichen können. Das Parlament hat die beiden vorgeschlagenen Gesetzesrevisionen be­­für­wortet. Deshalb kann das Stimmvolk am 5. Juni darüber entscheiden. Auf diesen Weg setzen wir weiterhin. Eben erst war Regina Werthmüller, die ebenfalls dem Vorstand der Starken Schule angehört, mit der Motion «Stufenlehrpläne mit transparentem Inhalt» erfolgreich. Ihr Vorstoss verlangt Lehrpläne, in welchen die Inhalte massgebend sind und nicht abstrakte Beschreibungen von Kompetenzen.
Bei den letzten kantonalen Wahlen hat die Starke Schule die heutige Bil­dungsdirektorin Monica Gschwind unterstützt. Noch hat Frau Gschwind keine wirkliche Richtungsänderung vorgenommen. Stellt sich die Starke Schule hinter die Politik der Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion?
Dank Monica Gschwind erhalten die Sekundarschulen einen Übergangslehrplan und eine Übergangsstundentafel, die keine Sammelfächer vorsieht. Wir gehen davon aus, dass die Bildungsdirektorin nach dem Ja zur erwähnten Motion von Regina Werthmüller auch den Lehrplan Volksschule entsprechend gestaltet und die Kompetenzen in den Hintergrund rücken werden. Wir sind mit der Politik der Bildungsdirektorin in vielen Punkten einverstanden. Differenzen erkennen wir in gewerkschaftlichen Punkten und bei einzelnen Sparmassnahmen. Vieles, was uns stört, hat ihr Vorgänger eingeleitet und sie muss es jetzt ausbaden. Diese Situation ist nicht ganz einfach.
Sie stellen sich auch gegen die Sammelfächer des Lehrplans 21. Weil sie ­kostentreibend sind, wie es im Titel der Vorlage heisst?
Die Einführung von Sammelfächern ist extrem teuer. Die Weiterbildungen der Lehrpersonen und die Neuanschaffung der Lehrmittel kosten viel. Dazu kommt, dass die künftige Ausbildung für die Sammelfächer nur noch an der Pädagogischen Hochschule der FHNW möglich wäre und nicht mehr an der Universität, die nur Einzelfächer anbietet. Sammelfächer können zudem nur noch von Allroundern unterrichtet werden, die in jedem einzelnen Fach über ein signifikant geringeres Fachwissen verfügen. Der Verzicht auf Lehrer mit fundiertem Wissen bedeutet einen Qualitätsabbau des Fachunterrichtes und damit Bildungsabbau.
Geht es Ihnen um die Lehrer oder um die Schüler? Sind Sie generell gegen einen fächerübergreifenden Schulunterricht für die Sekundarschüler?
Ich befürchte, dass Sammelfächer von Lehrpersonen mit geringerem Fachwissen unterrichtet werden und so die Unterrichtsqualität abnimmt. Die Schülerinnen und Schüler erhalten so das Wissen nicht mehr in der nötigen Tiefe vermittelt.
Nochmals, wie stehen Sie zum fächerübergreifenden Unterricht?
Heute werden im Schulunterricht ja schon längst Themen fächerübergreifend und vernetzt behandelt, zum Beispiel auch in vielen Projektarbeiten. In derartigen Projekten sind aber mehrere Lehrerinnen und Lehrer beteiligt, die in ihrem Fach jeweils grosse Kenntnisse haben. Dies garantiert einen Unterricht in der notwendigen Tiefe. Unterrichten aber Allrounder ein Sammelfach, so nimmt die fachliche Qualität unweigerlich ab. Sammelfächer braucht es gar nicht. Strikte Vorgaben wie vorgeschriebene Fächer sind eher hinderlich. Bereits heute wird etwa die Geografie auch mit Englisch oder Physik verknüpft.
Basel-Stadt hat den Lehrplan 21 und die Sammelfächer bereits eingeführt. Wie wichtig wäre es, dass die Kantone der Nordwestschweiz ihr Schulsystem vereinheitlichen?
Das wäre durchaus wünschenswert. Die Starke Schule ist für eine echte Schulharmonisierung. Ziel der Harmonisierung war ursprünglich, den Familien einen Wohnungswechsel über die Kantonsgrenze zu erleichtern. Mit dem Lehrplan 21 wird das in keiner Weise erreicht. Es braucht eine echte Harmonisierung, ohne dass die Bildungshoheit der Kantone überstrapaziert wird.


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