18. April 2016

Ahmed gab mir immer die Hand

Ein verweigerter Handschlag zweier Jugendlicher, eine Vereinbarung,  die übliche mediale Erregung und zahlreiche Erklärungen von Islamexperten, Frauenrechtlerinnen, kantonalen Erziehungsdirektoren, ja sogar einer Bundesrätin sorgten wieder einmal für eine deftige Islamdebatte. 
Ahmed gab mir immer die Hand, Bieler Tagblatt, 18.4. von Alain Pichard


Ahmed* hat mir immer die Hand gegeben. Er hat mir sogar mehr die Hand gegeben als andere Schüler meiner Klasse. Seine Geschichte ist aber interessanter und vor allem symptomatischer.

Ahmed ist der Sohn von Aysche*, die im zarten Alter von 9 Jahren in den 80ger Jahren nach Orpund in die Schule kam. Da sie ein sehr lernwilliges Mädchen und überdies auch die einzige Fremdsprachige weit und breit war, lernte sie die deutsche Sprache rasch und so gut, dass sie nach der Schule eine Lehre als Apothekerhelferin machen konnte, was damals als eher anspruchsvolle Berufsausbildung galt.

Nach dem erfolgreichen Abschluss ihrer Lehre heiratete sie einen Mann aus ihrem Dorf in der Türkei und zog nach Biel. Der Mann hatte seine religiösen Prinzipien und Aysche gab ihren Job auf, bekam einen Sohn, dann noch einen und schliesslich einen dritten. Ihr Mann sprach kein Deutsch, fand keinen Job und heute lebt die ganze Familie von der Sozialhilfe.
Als Ahmed eingeschult wurde, sprach er kein einziges Wort Deutsch. Damit war seine Schulkarriere vorprogrammiert. Er landete in einer Bieler Realklasse, die 100% aus Schülern bestand, die zu Hause kein Deutsch sprachen. Er erhielt zwar dreimal so viele Stützlektionen wie seine Mutter, die auch heute noch perfekt Deutsch spricht, aber sein Lernzuwachs hielt sich in bescheidenen Grenzen. In der 8. Klasse begann er zu kompensieren, das heisst, er verprügelte mit einer Gang andere Schüler, machte kaum noch Aufgaben und landete schliesslich bei mir. Wir konnten es recht gut miteinander. In den letzten Monaten, die er noch in der Schule war, versuchte er, seine Defizite aufzuholen. Danach folgte ein 10. Schuljahr und dann ein Integrationsprogramm.

Einen Handschlag zu verweigern, wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Nicht nur, weil ich ein Mann war. Er wusste, dass er einen Lehrer vor sich hatte, der sich für ihn interessierte. Hätte er mit solchen Spässchen angefangen, wäre ich eingefroren. Kein „ich will, dass du das kannst“, keine Zeit nach der Schule, in welchem ich ihm die proportionale Zuordnung noch einmal erklärte.

Sie treiben es schon manchmal bunt, unsere muslimischen Fundis, welche Regeln für den Alltag aus einem Buch herleiten, das Menschen vor über tausend Jahren geschrieben haben. Kopftuch, kein Schweinefleisch in der Hauswirtschaft, Halali-Fleisch im Lager, kein Schwimmunterricht, ein Gebetsraum in der Schule, ein „Früheres aus der Schule gehen“, damit das Freitagsgebet nicht verpasst wird, Lagerdispensationen, Ramadanfeiern, die Liste der Wünsche ist lang und – das ist ein Erfahrungswert – je länger die Liste, desto geringer der Schulerfolg. Womit wir beim eigentlichen Problem wären. Denn Ahmed ist kein Einzelfall.

Menschen kommen zu uns, weil sie eine Perspektive suchen. Und die meisten erkennen die Chancen, die dieses einmalige Land ihnen bietet. Andere aber wollen genau so leben wie dort, woher sie gekommen sind. Aus Wirtschaftsflüchtlingen werden so Versorgungsflüchtlinge, denn auch das bietet unser Land. Verlässliche Gesetze, die für einen Staat sorgen, in welchem niemand fallen gelassen wird und der zudem für die Konsequenzen dieser Lebenseinstellung aufkommt. Handschlag hin oder her. Fragt sich noch, wie lange.

*Namen geändert

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