Wie verhalten sich muslimische Schüler im Klassenzimmer? Wo gibt es Probleme?
S. L.* unterrichtet seit über dreissig Jahren an einer Oberstufenschule im
Schweizer Mittelland und sagt, wie er mit der Islamisierung in der Schule
umgeht.
"Wir müssen streng sein", Weltwoche 15/2016 von Christoph Mörgeli
Wurden Sie vom verweigerten Handschlag zweier
Schüler in Therwil überrascht?
Nein, weil ich schon vor Jahren den ganzen Koran gelesen habe. Zudem war
nach dem unlängst erfolgten Urteil des Bundesgerichts gegen das Kopftuchverbot
in St. Margrethen zu erwarten, dass weitere Ansprüche folgen. Die Lausanner
Richter haben zwar seitenweise Präzedenzfälle zitiert; sie machen sich aber
kaum Gedanken über die konkreten Auswirkungen ihrer Entscheide in unserem
Schulalltag. Ich habe den Bundesrichtern schriftlich meine Bedenken geschildert
und darauf eine freundliche, aber völlig nichtssagende Antwort erhalten.
Lässt sich die Verweigerung des Handschlags durch
den Koran begründen?
Ein nicht verheirateter Muslim darf keine Frau berühren. Bei uns ist der
Handschlag selbstverständliches Zeichen des gegenseitigen Respekts und der
grundsätzlichen Friedfertigkeit; der Islam interpretiert ihn als Berührung
einer Frau mit sexuellem Aspekt. Eine Liebesbeziehung für junge Muslime setzt
aber gemäss Koran eine Heirat voraus, was wiederum mit Einkommen, Wohnung, Auto
und so weiter verbunden sein muss. Das führt bei Jugendlichen zu enormen
emotionalen und sexuellen Nöten.
Dann kommt es bei den Muslimen Ihrer Klasse zu
keiner Annäherung zwischen Jungs und Mädchen?
Das kommt natürlich trotzdem vor. Eine Kosovarin besucht bei mir einen
Wahlfachkurs. Ihre Motivation, habe ich bald herausgefunden, ist, dass sie in
einen Schweizer Schüler verliebt ist. Sie weiss aber, dass ihr Vater diese
Beziehung niemals dulden würde. Besonders bedenklich stimmt mich, dass ihre
Klassenlehrerin wie selbstverständlich die Position des kosovarischen Vaters
übernimmt und ihr die Liebe auszureden versucht. Vielleicht sogar mit Recht,
denn wenn das Mädchen aufbegehrt, könnte das in letzter Konsequenz ihr
Todesurteil bedeuten.
Werden Ihre muslimischen Schüler weiblichen
Lehrkräften den Handschlag auch verweigern?
Noch ist es dazu nicht gekommen. Aber Therwil ist kein abgedichtetes
Ereignis, ich fürchte, es handelt sich bei den beiden Söhnen des syrischen
Imams nicht um extremistische Ausschläger, sondern vielmehr um Vorkämpfer für
eine künftige Entwicklung mit unvorhersehbarem Ausgang. Nach dem
Kopftuch-Urteil von St. Margrethen könnten übrigens auch Vertreter von
Jugendkulturen wie die Hip-Hopper kommen und sagen: «Meine Religion heisst
Hip-Hop, folglich lasse ich meine Kopfbedeckung im Unterricht an.»
Wie reagierten Ihre Kollegen im Lehrerzimmer zu den
Vorfällen von Therwil?
Ganz einhellig negativ. So unterschiedlich sonst die politischen
Meinungen sind, es herrscht hier nur eine Stimme. Auch die mehrheitlich linken
Kolleginnen und Kollegen finden die Lizenz zur Handschlag-Verweigerung völlig
daneben. Doch im Alltag herrscht viel Fatalismus und die Hoffnung, dass eine
Integration irgendwie trotz allem gelingt.
Fühlen sich Ihre Berufskolleginnen speziell
betroffen von der Verweigerung des Handschlags?
An der Oberstufe hat sich der weibliche Anteil im Lehrkörper stark
vergrössert. Sechzig Prozent der Berufsanfänger auf Sekundarstufe sind Frauen.
Dass sie sich aber zusätzlich betroffen fühlen von der diskriminierenden
Handschlagverweigerung, könnte ich nicht sagen. Die jungen Kolleginnen sind
relativ unbekümmert und sorglos, was ich ihnen gerne gönne, auch wenn ich nicht
gleich empfinde.
Haben Sie das Thema «Handschlag» in Ihrer Klasse
thematisiert?
Ich habe es kurz angesprochen. Meine muslimischen Schülerinnen und
Schüler unterscheiden sich kleidungsmässig nicht von den andern. Sie meinten,
sie könnten mit dem Therwiler Vorfall nichts anfangen. Ganz im Unterschied zum
Massaker bei Charlie Hebdo in Paris. Zu meinem Erschrecken fanden
sieben von acht meiner muslimischen Schülerinnen und Schüler diese «Rache» für
die angebliche Beleidigung des Propheten völlig in Ordnung.
Wie fanden die Familien Ihrer muslimischen Schüler
den Weg in die Schweiz?
Es handelt sich überwiegend um Arbeitsmigranten der neunziger Jahre,
nicht um Asylbewerber. Teilweise habe ich schon die Eltern der heutigen Kinder
unterrichtet. Denn die Generationenfolge bei den Muslimen liegt bei gut
zwanzig Jahren, sie läuft wesentlich rascher ab als bei uns Schweizern.
Sind Religionsdiskussionen ein Thema in Ihren
Stunden?
Ich habe schon das Gespräch über Inhalte des Korans gesucht. Es herrscht
die totale Unkenntnis. Ein gläubiger Muslim darf den Koran nur auf Hocharabisch
lesen, nicht etwa in einer kosovarischen oder türkischen Übersetzung. Darum
ist die Auslegung durch die Prediger in den Moscheen so zentral – und
teilweise so gefährlich.
Sind Ihre muslimischen Schüler gläubig?
Zumindest nehmen sie die Regeln ihrer Religion sehr ernst. Sie essen
kein Schweinefleisch, befolgen die Ramadan-Vorschriften, und Alkohol ist tabu.
Bei einer Bergtour während des Ramadans musste ich einen geschwächten Schüler
praktisch zur Aufnahme von Flüssigkeit zwingen. Das Gebet ist aber kein Thema,
auch die Forderung nach einem Gebetsraum ist noch nie aufgekommen.
Wie gehen die Muslime Ihrer Klasse mit den Mädchen
um?
Ausgesprochen machohaft. Sie lassen die Mädchen gewissermassen nach
ihrem Willen tanzen. Und die Mädchen scheinen sich dem willig zu unterziehen.
Die oft entwertende Sprache der muslimischen Jungs wird von den Mädchen und
auch von den Schweizern übernommen. Wörter wie «Schlampe», «Nutte», «Hurensohn»
oder «Wixer» sind inzwischen auch im Schulzimmer selbstverständlich.
Gibt es Spannungen zwischen muslimischen und
nichtmuslimischen Kindern?
Wenn die Schweizer hoffnungslos in der Minderheit sind, fühlen sie sich
unwohl. Ich hatte deswegen schon Abmeldungen fürs Klassenlager. Weit intensiver
erlebe ich aber die Spannung zwischen einem Alawiten und einem Sunniten mit
türkischer Herkunft. Die Gehässigkeiten finden an den Elternabenden bei den
Eltern ihre Fortsetzung.
Finden die jungen Muslime Lehrstellen?
Meistens ja, weil das Angebot grösser ist als die Nachfrage. Die
schulische Leistung der Muslime, die ich sehr gerne mag und auch zu fördern
versuche, ist oft ungenügend. Ich sehe da durchaus einen Zusammenhang mit ihrer
Religion, die Unterwerfung fordert und den Intellekt kaum anspricht. Dennoch
sind Muslime bei der Lehrstellensuche sehr wählerisch. Sie möchten viel Geld
verdienen und möglichst nicht mit den Händen arbeiten. Das betrachte ich als
Riesenproblem bei den Anreizen unseres Asylsystems: Asylbewerber erhalten viel
Geld, ohne eine Leistung erbringen zu müssen.
Können wir längerfristig unsere Werte vermitteln?
Ich stelle immerhin fest, dass die Gewalt unter den Jugendlichen in den
letzten Jahrzehnten nicht zugenommen hat. Ein Wandel in den Köpfen ist viel
schwerer zu erreichen. In den Klassenzimmern der Sek B und C erleben wir
bezüglich Islamisierung jetzt schon, was zwangsläufig auf unsere gesamte
Gesellschaft zukommt: Der Islam wird unsere abendländische Gesellschaft integrieren
– nicht umgekehrt.
Dann ist eine Integration unmöglich?
Ich fürchte, in unseren Schulzimmern ist es zumindest äusserst
schwierig. Nur schon aufgrund der nackten Zahlen. Hier spielt sich heute schon
ab, womit das ganze Land in einigen Jahren voll konfrontiert wird. Wir sprechen
dann nicht mehr von einem Zusammenprall der Kulturen. Vielmehr werden sich die
Schweizer ab Mitte dieses Jahrhunderts irgendwie unter einer muslimischen
Mehrheit einrichten müssen.
Können wir überhaupt etwas tun?
Wir müssen streng
sein. Und strikt die Werte unserer Gesellschaftsordnung durchsetzen. Wir hätten
durchaus auch in den Schulen die entsprechenden Regeln. Aber sie brechen
zusammen, wenn uns opportunistische Politiker, weltfremde Richter oder eine zerberstende
EU in den Rücken fallen.
* Name der Redaktion bekannt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen