14. März 2016

Mutiger Junglehrer

Mit dem Lehrplan 21 wird eine erziehungswissenschaftliche Wende vollzogen – weg von klassischen Lernzielen, hin zur Kompetenzorientierung. Dieser Paradigmenwechsel stellt auch die Frage nach der Beurteilung neu. Die Diskussion über das Messen von Leistungen und das Bewerten von fachlichen und insbesondere überfachlichen Kompetenzen ist im Kanton Bern voll entbrannt, dank eines jungen kritischen Lehrers mit Bieler Wurzeln.
Lars B. staunte nämlich nicht schlecht, als er mit der Einladung für ein Hearing, die Entwürfe für eine neue Beurteilung der Schüler und Schülerinnen des Kantons Bern durchlas.
Er sah, dass neu wieder die Kriterien „Pünktlichkeit“, „Ordnungssinn“, und „Höflichkeit“ beurteilt werden sollten, auf einer Skala von 1 – 10, curricular aufbaubar, was heisst, man kann Höflichkeit quasi in Stufen erlernen.
Wie kann man Höflichkeit auf einer Skala von 1-10 messen? Bieler Tagblatt, 14.3. von Alain Pichard

Und das war noch nicht alles: Dazu kamen noch 12 überfachliche Kompetenzen, wie zum Beispiel „Der Schüler ist in der Lage, Gefühle situationsgemäss auszudrücken“, ebenfalls auf einer Skala von 1 – 10. Der junge Lehrer dachte zuerst an einen Witz. Als er aber merkte, dass das wirklich ernst gemeint war, ging er voller Notizen an das Hearing.
250 Lehrkräfte aus dem ganzen Kanton füllten die Aula des Gymnasiums Lebermatt. Vorne ein gut gelaunter Bildungsdirektor, welcher mit lustigen Sprüchen den Saal erheiterte. Viele anwesende Lehrkräfte empfanden die Stimmung denn auch als sehr gut. Für das umstrittene Formular der überfachlichen Kompetenzen standen genau 10 Minuten zur Verfügung. Immer wieder gab es „konsultative Abstimmungen“. Am Schluss einen Riesenapplaus und eine tolles Buffet. Lars applaudierte nicht, er liess auch das Buffet aus und schickte die Formulare mit einem Erlebnisbericht an einen Schulblog. Von dort kam dann die ganze Sache in die Presse.

Und jetzt aufgepasst! Ein etwas zerknirschter Bildungsdirektor gab sich nicht mal eine Woche später selbstkritisch und empfand seine eigenen Papiere als „unausgegoren“.
Interessant: Da entwickeln Experten ein Jahr lang ein neues Beurteilungssystem, da diskutieren Leute, die den Herausforderungen des Unterrichts stets fernbleiben, intensiv über die Ergebnisse , da werden 250 Praktiker zu einer Anhörung eingeladen und dann kommt ein kritischer Zeitungsartikel und „schwups“, der verbale Rückzug, das „Sorry“, das „Es war ja nicht so gemeint“.

Für Lars war der Fall klar: Was da vorgelegt wurde, ist bürgerliches Tugendgeschwafel verpackt in pseudowissenschaftlichem technokratischen Vermessungswahn. Nie, meinte er, werde er so etwas seinen Schülern antun. Da merkt man auch, aus welcher Ecke dieser junge Mann kommt: Er denkt links, arbeitet aber an der Front und nicht in den Büros der Bildungsverwaltung. Er verfügt somit noch über die linken Denkreflexe, die einst eine linke Bildungsdiskussion geprägt haben.

Heute begründet uns ein grüner Bildungsdirektor allen Ernstes: „Diese Beurteilung werde von der Wirtschaft verlangt!“ Aufgepasst, nicht ein FDP-Magistrat fordert die Normierung unserer Kinder nach wirtschaftlichen Prinzipien! Es ist der Vertreter einer Linken, unterstützt von linken Bildungsfachleuten und begleitet von den Funktionären des Lehrerverbandes!
Fazit:  Die Schule hat Kämpfer nötig, heute mehr denn je. Es braucht mehr Lars’, denn Mut ist in dieser Anpassungsgesellschaft eine Tugend von grosser Sprengkraft geworden.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen