Mit
dem Lehrplan 21 wird eine erziehungswissenschaftliche Wende vollzogen – weg von
klassischen Lernzielen, hin zur Kompetenzorientierung. Dieser Paradigmenwechsel
stellt auch die Frage nach der Beurteilung neu. Die Diskussion über das Messen
von Leistungen und das Bewerten von fachlichen und insbesondere überfachlichen
Kompetenzen ist im Kanton Bern voll entbrannt, dank eines jungen kritischen
Lehrers mit Bieler Wurzeln.
Lars
B. staunte nämlich nicht schlecht, als er mit der Einladung für ein Hearing, die
Entwürfe für eine neue Beurteilung der Schüler und Schülerinnen des Kantons
Bern durchlas.
Er
sah, dass neu wieder die Kriterien „Pünktlichkeit“, „Ordnungssinn“, und „Höflichkeit“
beurteilt werden sollten, auf einer Skala von 1 – 10, curricular aufbaubar, was
heisst, man kann Höflichkeit quasi in Stufen erlernen.
Wie kann man Höflichkeit auf einer Skala von 1-10 messen? Bieler Tagblatt, 14.3. von Alain Pichard
Und
das war noch nicht alles: Dazu kamen noch 12 überfachliche Kompetenzen, wie zum
Beispiel „Der Schüler ist in der Lage, Gefühle situationsgemäss auszudrücken“,
ebenfalls auf einer Skala von 1 – 10. Der junge Lehrer dachte zuerst an einen
Witz. Als er aber merkte, dass das wirklich ernst gemeint war, ging er voller
Notizen an das Hearing.
250
Lehrkräfte aus dem ganzen Kanton füllten die Aula des Gymnasiums Lebermatt.
Vorne ein gut gelaunter Bildungsdirektor, welcher mit lustigen Sprüchen den
Saal erheiterte. Viele anwesende Lehrkräfte empfanden die Stimmung denn auch als
sehr gut. Für das umstrittene Formular der überfachlichen Kompetenzen standen
genau 10 Minuten zur Verfügung. Immer wieder gab es „konsultative
Abstimmungen“. Am Schluss einen Riesenapplaus und eine tolles Buffet. Lars
applaudierte nicht, er liess auch das Buffet aus und schickte die Formulare mit
einem Erlebnisbericht an einen Schulblog. Von dort kam dann die ganze Sache in
die Presse.
Und
jetzt aufgepasst! Ein etwas zerknirschter Bildungsdirektor gab sich nicht mal
eine Woche später selbstkritisch und empfand seine eigenen Papiere als
„unausgegoren“.
Interessant:
Da entwickeln Experten ein Jahr lang ein neues Beurteilungssystem, da
diskutieren Leute, die den Herausforderungen des Unterrichts stets fernbleiben,
intensiv über die Ergebnisse , da werden 250 Praktiker zu einer Anhörung
eingeladen und dann kommt ein kritischer Zeitungsartikel und „schwups“, der
verbale Rückzug, das „Sorry“, das „Es war ja nicht so gemeint“.
Für
Lars war der Fall klar: Was da vorgelegt wurde, ist bürgerliches Tugendgeschwafel
verpackt in pseudowissenschaftlichem technokratischen Vermessungswahn. Nie,
meinte er, werde er so etwas seinen Schülern antun. Da merkt man auch, aus
welcher Ecke dieser junge Mann kommt: Er denkt links, arbeitet aber an der Front
und nicht in den Büros der Bildungsverwaltung. Er verfügt somit noch über die
linken Denkreflexe, die einst eine linke Bildungsdiskussion geprägt haben.
Heute
begründet uns ein grüner Bildungsdirektor allen Ernstes: „Diese Beurteilung
werde von der Wirtschaft verlangt!“ Aufgepasst, nicht ein FDP-Magistrat fordert
die Normierung unserer Kinder nach wirtschaftlichen Prinzipien! Es ist der
Vertreter einer Linken, unterstützt von linken Bildungsfachleuten und begleitet
von den Funktionären des Lehrerverbandes!
Fazit:
Die Schule hat Kämpfer nötig, heute mehr denn je. Es braucht mehr Lars’,
denn Mut ist in dieser Anpassungsgesellschaft eine Tugend von grosser
Sprengkraft geworden.
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