«Wir laufen Gefahr, dass eine Generation von
Kindern unter dem Leistungsdruck und überzogenen Erwartungshaltungen
zusammenbricht», hat Schulrechts-Experte Peter Hofmann kürzlich gewarnt. Und
eine Studie von Juvenir zeigt, dass fast die Hälfte der Schweizer Jugendlichen
häufig gestresst ist. Nur 14 Prozent sind selten oder nie gestresst.
Maximale Obergrenze für Prüfungen an der Bezirksschule, Bild: Getty Images/Pixland
Obergrenze für Prüfungen zur Entlastung der Jugendlichen vom Schuldruck, Aargauer Zeitung, 27.2. von Stefanie Suter de Garcia
In
der Region Baden leiden vor allem jene Schüler an Stress, die in die Oberstufe
wechseln. «Das ist eine kritische Situation», sagt Katrin Gossner,
Fachpsychologin und Leiterin des Schulpsychologischen Dienstes (SPD) der
Regionalstelle Baden. «Neben dem Stufenwechsel kommen auch die Pubertät und die
näher rückende Berufswahl dazu.» Die schulische Laufbahn sei durchlässiger und
die Auf- und Abstiegsmöglichkeiten flexibler geworden. Dies führt zu mehr
Möglichkeiten für die Schüler, kann aber auch mehr Leistungsdruck erzeugen:
«Der Anspruch wird grösser, das Beste aus den vorhandenen Möglichkeiten zu
machen. Eine normale Lehre reicht aus Sicht der Eltern aufgrund der
wirtschaftlichen Entwicklung oft nicht mehr aus», sagt Katrin Gossner.
Druck
müsse aber nicht zwingend negativ sein. «Er kann auch anspornen.» Überfordert
der Druck aber, kann das zu Problemen führen. Alarmierend ist die Situation
noch nicht: Einen massiven Anstieg der Anzahl gestresster Schüler, die beim SPD
angemeldet sind, kann Gossner nicht feststellen. «Die Zahl hat in den letzten
Jahren aber leicht zugenommen.» Im letzten Jahr verzeichnete die SPD 670
Neuaufträge und 690 Langzeitberatungen. «Da die Bildung einen immer grösseren
Stellenwert hat, wird der Druck vermutlich in Zukunft steigen.»
Karrieredruck steigt
Auch
in den Schulen der Region zeigt sich, dass der Leistungsdruck und der
Schulstress noch nicht überhand gewonnen haben. «Ich denke nicht, dass der
Druck in der Schule als solches grösser geworden ist», sagt etwa der Mellinger
Schulleiter Stefan Lüpold. «Ich denke aber, dass einerseits der Druck, den
richtigen Beruf zu wählen oder in eine höhere Schule überzutreten, grösser
geworden ist. Andererseits sind die Schüler auch immer weniger gewohnt, mit
Druck umzugehen.» Sie müssten wieder vermehrt lernen, sich besser zu
organisieren.
Auch
die Schulsozialarbeiterin Simone Spätig bestätigt: In Mellingen suchen nicht
mehr Schüler die Schulsozialarbeit, die mit dem schulischen Druck nicht mehr
zurechtkommen, als früher. Seien die Jugendlichen gestresst, stehe dies meist
im Zusammenhang mit anderen Lebensbereichen. «Hat eine Schülerin eine
Identitätskrise, familiäre Probleme oder sich gerade vom Freund getrennt, führt
dies zu erhöhtem Stress in dem Bereich, in dem Leistung gefragt ist: in der Schule.»
Zwar
könne man schon festhalten, dass der schulische und gesellschaftliche Druck
gestiegen seien. «Aber dies muss man im Kontext betrachten», sagt Simone
Spätig. Denn ganzheitlich gesehen hätten die Schüler heute nicht mehr oder
weniger Druck als früher, er habe sich verlagert: «Früher musste man zu Hause
mehr mitarbeiten, dafür war die Berufsfindung tendenziell einfacher – auch weil
die Jugendlichen weniger Wahlmöglichkeiten hatten.» Heute müssten sie weniger
in der Familie mithelfen, sollten aber bereits mit 14 Jahren ein
professionelles Bewerbungsdossier für eine Schnupper- beziehungsweise
Lehrstelle erstellen können.
In
Baden sieht es ähnlich aus: «Ich würde nicht sagen, dass sich der
Leistungsdruck verstärkt hat», sagt Schulleiter Alexander Grauwiler. «Aber die
Komplexität des Lebens und somit die Anforderungen an die Schüler haben
zugenommen: Früher war alles überschaubarer.» Heute seien alle vielseitig
vernetzt und abhängig, auch die Schüler. «Das macht es für sie schwieriger,
sich zurechtzufinden.»
Maximal fünf Prüfungen
Obwohl
die Zahlen noch nicht beunruhigend sind, haben die Schulen Massnahmen
ergriffen, um den Stress für die Schüler in Grenzen zu halten. So gelten an der
Bezirksschule Mellingen fünf Prüfungen pro Woche als maximale Obergrenze.
«Wobei es im Alltag ganz selten mehr als drei Prüfungen sind», sagt Schulleiter
Lüpold. «Wir führen die Prüfungsübersicht in einem elektronischen Tool, sodass
alle Lehrpersonen die Prüfungen aller Fachlehrpersonen sehen können.» Dadurch
könnten grössere Kumulationen meist verhindert werden.
In
Baden gibt es keine bestimmten Regeln, aber ungeschriebene Gesetzte, wie
Schulleiter Alexander Grauwiler erklärt: «Zum Beispiel ist es verpönt, Aufgaben
über das Wochenende zu geben oder schwierige Prüfungen auf den Montag
anzusetzen.» Es könne aber sein, dass die Schüler am Donnerstag Aufgaben
erhalten auf die Lektion, die am nächsten Montag stattfindet. «Ob dann die
Schüler die Aufgaben am Donnerstag oder über das Wochenende erledigen, ist
ihnen selber überlassen.»
Grundsätzlich
sei es die Aufgabe der einzelnen Lehrperson, das Mass des Druckes zu steuern.
«Wir halten die Lehrer aber dazu an, den Unterricht zu individualisieren. Das
heisst: die Schüler nicht über- oder unterfordern, sondern den Unterricht ihren
Fähigkeiten und den Leistungserwartungen anpassen.»
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