10. Februar 2016

Sparen ist möglich

Die Lage der öffentlichen Haushalte erzwingt Abstriche an den Budgets der Schulen aller Stufen - bei steigenden Schülerzahlen und wachsender Nachfrage nach Fachkräften. Eine bildungspolitisch verträgliche Sparpolitik ist möglich.
Im Zeichen des Sparhammers, NZZ, 10.2. von Walter Bernet


Bildung ist der wichtigste Rohstoff der Schweiz. Wenn wir den Wohlstand unseres Landes aufrechterhalten wollen, müssen wir in die Bildung investieren. Solche Sätze sprechen Chief Executive Officers genauso wie Regierungsrätinnen, Initianten von Bildungsinitiativen und 1.-August-Rednerinnen. Sie sind in dieser Allgemeinheit wahr. Wir Schweizer folgen ihnen ja auch, in nicht zu knappem Ausmass. Rohstoff ist für das ziemlich schwierig zu beschreibende Gut Bildung allerdings eine verfängliche Bezeichnung. Und Gleiches gilt in ihrem Zusammenhang für den Begriff Investition. Mehr Geld entspricht nicht automatisch besserer Bildung. Ein weiterer Gemeinplatz.

Er lässt immerhin die Frage zu, ob die öffentliche Hand weniger Geld für die Bildung ausgeben könne, ohne Abstriche an ihrer Qualität zu machen. Die einfachste Antwort lautet: Sie wird es versuchen müssen. Denn die Haushalte von Bund, Kantonen und Gemeinden gehen nach allen Prognosen weniger rosigen Zeiten entgegen. Wer es so sieht, geht von finanzpolitischen Zwängen aus und zuckt im Übrigen mit den Schultern. In anderen Bereichen muss schliesslich auch gespart werden. Wenden wir uns für einen zweiten Anlauf dem Beispiel des Kantons Zürich zu. Er soll zeigen, dass es a) schwierig, b) möglich ist und c) auch etwas mit der Harmonisierung im Bildungsraum Schweiz zu tun hat.

Die Folgen der Reformen
Vor etwas mehr als einem Jahrzehnt hatte sich die Zürcher Regierung - auch unter dem Druck des Parlaments - zum Ziel gesetzt, den Staatshaushalt innert dreier Jahre um fast 1 Milliarde Franken leichter zu machen. Kaum waren die Massnahmen des Sparpakets San04 im Schulbereich bekannt, wurden Unterschriften dagegen gesammelt. Die vier zustande gekommenen Volksinitiativen gelangten in der Folge nicht einmal an die Urne, weil der Kantonsrat ihre Anliegen aus eigener Kraft umsetzte. Bald genossen etwa die Gymnasiasten wieder die «Husi» - zu wesentlich höheren Kosten als vorher. Was lässt sich daraus lernen? Es zeigt einerseits, dass die Bevölkerung einer guten Schule den Rang einer Grundversicherung für das Bestehen in Alltag und Arbeitswelt zumisst. Anderseits scheint es fast unmöglich zu sein, ihr zu Sparzwecken alte Zöpfe abzuschneiden. Sparen in der Schule ist schwierig, weil kaum Einigkeit darüber zu erzielen ist, wo gespart werden soll.
Heute steht der Kanton Zürich wieder vor einer ähnlichen Herausforderung. In den Jahren 2017 bis 2019 will die Regierung gegenüber der bisherigen Finanzplanung 1,8 Milliarden Franken einsparen; 600 Millionen pro Jahr, von denen 49 Millionen auf die drei Bildungsbereiche Volks-, Mittel- und Berufsschulen entfallen sollen. Bis im Frühling soll klarwerden, ob und wie dieses Ziel erreichbar ist. Die Vorzeichen für eine neue Spardebatte haben sich allerdings verändert. Die in Zürich von Bildungsdirektor Ernst Buschor verkörperte, international von Tony Blair mit dem Schlagwort «Education, Education, Education» geschürte und ökonomisch motivierte Reformeuphorie der 1990er Jahre hat inzwischen ihre Folgen gezeitigt.

Unsere Schulen kennen heute Blockzeiten, Betreuung und Frühenglisch. Flächendeckend sind Schulleitungen eingerichtet worden. Die Bezirksschulpflegen haben kantonalen Fachleuten für Evaluation Platz gemacht. Und vielenorts sind die Kleinklassen einer integrativen Schulung in den normalen Klassen gewichen. Die Schule hat ein anderes Gesicht als vor zehn Jahren. Manches ist schnell zur Selbstverständlichkeit geworden, anderes stösst auf Widerstand.

Für die Hochschullandschaft gilt Ähnliches. Mit der Zürcher Fachhochschule wurde die Bildungslandschaft um ein neues Element erweitert. Kaum gegründet, stellte sie sich neu dreigliedrig auf: Die Pädagogische Hochschule gibt es erst seit 2002, die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und die Zürcher Hochschule der Künste seit 2007. Der Erfolg war durchschlagend, wurde aber mit teuren Investitionen erkauft. Die Universität ist seit 1999 teilautonom. Gleichzeitig unterzeichnete die Schweiz die Bologna-Erklärung zur Schaffung eines europäischen Hochschulraums. Schnell, ab 2004, nutzte die Universität ihre Handlungsfähigkeit zur lückenlosen, aber nicht durchwegs zukunftstauglichen Umsetzung der Bologna-Reform. All diese Reformen gingen mit einem kräftigen Wachstum der Studentenzahlen einher.

Zürich ist als Folge dieser gewollten Anstrengungen - und dank der Präsenz der vom Bund getragenen ETH - zu einem im internationalen Vergleich hervorragenden Bildungsstandort geworden. Die rasche Entwicklung hat aber ihren Preis. Einerseits sind die Bildungskosten im Kanton Zürich stärker gewachsen als die Zahl der Schüler und Studenten - auch wenn ihr Anteil an den Gesamtaufwendungen des Kantons zwischen 2004 und 2014 minim gesunken ist. Anderseits steht der Reformeuphorie der 1990er Jahre heute eine Skepsis gegenüber, die sich aus der Übersättigung mit Reformen, einem Unbehagen gegenüber dem zunehmenden Einfluss der «Bildungsbürokratie» und der Messung von Bildungsleistungen an internationalen Standards, Pisa beispielsweise, nährt. Ihre Träger finden sich in der Lehrerschaft, unter Pädagogen und Politikern verschiedener Couleur - und, nicht zu vergessen, manchen Eltern.

Unerwünschte Gegeneffekte
Wer im Bildungsbereich sparen will, muss diesen auseinanderdriftenden Entwicklungen Rechnung tragen. Der starke Ausbau des Bildungswesens ist einerseits von Parlament und Volk stets mitgetragen worden, im Wissen um die Mehrkosten. Sie rückgängig zu machen, steht nicht zur Diskussion. Mit dem Versprechen an die Kritiker, einfach etwas Dampf aus dem System zu nehmen und die Schule erst einmal zur Ruhe kommen zu lassen, spart man aber noch keinen Franken. Man vergibt Zeit. Es müsste gelingen, die Sparvorgaben zu nutzen, um dort Optimierungen vorzunehmen, wo das rasche Wachstum und die tiefgreifenden Umgestaltungen zu unnötigen Wucherungen, überkomplizierten Strukturen oder mangelhaftem Output - auch ein solcher Begriff muss Platz haben - geführt hat. Die Zürcher Sparvorgaben bewegen sich im Bereich der Begrenzung des Ausgabenwachstums, allerdings bei weiterhin steigenden Schüler- und Studentenzahlen. Sie sind verkraftbar, aber trotzdem schmerzhaft und politisch heikel.

Sie können unerwartete Reaktionen auslösen und unerwünschte Gegeneffekte provozieren - das latente Unbehagen, von dem die Rede war, ist ein guter Nährboden dafür. Ein Beispiel ist der reflexartige Ruf nach Streichungen im Bereich der Sonderpädagogik. Rund 40 Prozent der Schüler im Kanton Zürich werden mit entsprechenden Massnahmen bedacht. Wer aber weiss, dass es sich bei der Hälfte davon um Unterricht in Deutsch als Zweitsprache handelt, der eigenartigerweise unter dem Titel Sonderpädagogik subsumiert wird?

Der von der Regierung gewählte Ansatz, primär die Bereiche mit dem stärksten Wachstum unter die Lupe zu nehmen, könnte sich deshalb als kontraproduktiv erweisen. Der Widerstand der aus demografischen Gründen teurer gewordenen Mittelschulen beispielsweise ist bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar, weil sich die Kosten pro Schüler kaum verändert haben. Zusätzliche Kostentreiber waren zuletzt vor allem die Sanierungsbeiträge an die Pensionskassen. Zweifellos gibt es auch bei den Mittelschulen Sparpotenzial. Muss etwa das Angebot an Fächerkombinationen so komplex und vielfältig sein?

Schliesslich gilt es den allerdings dornenreichen Weg der gesamtschweizerischen oder sprachregionalen Harmonisierung im Bildungsraum Schweiz zu nutzen. Das weist über den Kanton Zürich hinaus. Möglichkeiten gibt es: Bereits heute erbringt die Zürcher Bildungsstatistik Leistungen auch für andere Kantone - ein Vorbild für andere Kooperationsmöglichkeiten? Ähnliches gilt im Bereich der Lehrmittelproduktion. Höhere Hürden stehen der Bündelung von Studiengängen im Hochschulbereich entgegen. Die Frage sei trotzdem erlaubt, ob es in der Schweiz wirklich fünfzehn Pädagogische Hochschulen mit vierfachem Leistungsauftrag - Ausbildung, Weiterbildung, Forschung und Entwicklung, Dienstleistungen - braucht. Zwar stirbt die Hoffnung zuletzt, aber dass jetzt mehrere Hochschulkantone eigene neue Medizin-Studiengänge anbieten wollen, weil der Bund in den nächsten Jahren 100 Millionen Franken in zusätzliche Studienplätze stecken will, ist kein gutes Omen.


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