Die Lage der öffentlichen Haushalte erzwingt Abstriche an den Budgets der Schulen aller Stufen - bei steigenden Schülerzahlen und wachsender Nachfrage nach Fachkräften. Eine bildungspolitisch verträgliche Sparpolitik ist möglich.
Im Zeichen des Sparhammers, NZZ, 10.2. von Walter Bernet
Bildung
ist der wichtigste Rohstoff der Schweiz. Wenn wir den Wohlstand unseres Landes
aufrechterhalten wollen, müssen wir in die Bildung investieren. Solche Sätze
sprechen Chief Executive Officers genauso wie Regierungsrätinnen, Initianten
von Bildungsinitiativen und 1.-August-Rednerinnen. Sie sind in dieser
Allgemeinheit wahr. Wir Schweizer folgen ihnen ja auch, in nicht zu knappem
Ausmass. Rohstoff ist für das ziemlich schwierig zu beschreibende Gut Bildung
allerdings eine verfängliche Bezeichnung. Und Gleiches gilt in ihrem
Zusammenhang für den Begriff Investition. Mehr Geld entspricht nicht
automatisch besserer Bildung. Ein weiterer Gemeinplatz.
Er
lässt immerhin die Frage zu, ob die öffentliche Hand weniger Geld für die
Bildung ausgeben könne, ohne Abstriche an ihrer Qualität zu machen. Die
einfachste Antwort lautet: Sie wird es versuchen müssen. Denn die Haushalte von
Bund, Kantonen und Gemeinden gehen nach allen Prognosen weniger rosigen Zeiten
entgegen. Wer es so sieht, geht von finanzpolitischen Zwängen aus und zuckt im
Übrigen mit den Schultern. In anderen Bereichen muss schliesslich auch gespart
werden. Wenden wir uns für einen zweiten Anlauf dem Beispiel des Kantons Zürich
zu. Er soll zeigen, dass es a) schwierig, b) möglich ist und c) auch etwas mit
der Harmonisierung im Bildungsraum Schweiz zu tun hat.
Die Folgen der Reformen
Vor
etwas mehr als einem Jahrzehnt hatte sich die Zürcher Regierung - auch unter
dem Druck des Parlaments - zum Ziel gesetzt, den Staatshaushalt innert dreier
Jahre um fast 1 Milliarde Franken leichter zu machen. Kaum waren die Massnahmen
des Sparpakets San04 im Schulbereich bekannt, wurden Unterschriften dagegen
gesammelt. Die vier zustande gekommenen Volksinitiativen gelangten in der Folge
nicht einmal an die Urne, weil der Kantonsrat ihre Anliegen aus eigener Kraft
umsetzte. Bald genossen etwa die Gymnasiasten wieder die «Husi» - zu wesentlich
höheren Kosten als vorher. Was lässt sich daraus lernen? Es zeigt einerseits,
dass die Bevölkerung einer guten Schule den Rang einer Grundversicherung für
das Bestehen in Alltag und Arbeitswelt zumisst. Anderseits scheint es fast
unmöglich zu sein, ihr zu Sparzwecken alte Zöpfe abzuschneiden. Sparen in der
Schule ist schwierig, weil kaum Einigkeit darüber zu erzielen ist, wo gespart
werden soll.
Heute
steht der Kanton Zürich wieder vor einer ähnlichen Herausforderung. In den
Jahren 2017 bis 2019 will die Regierung gegenüber der bisherigen Finanzplanung
1,8 Milliarden Franken einsparen; 600 Millionen pro Jahr, von denen 49
Millionen auf die drei Bildungsbereiche Volks-, Mittel- und Berufsschulen
entfallen sollen. Bis im Frühling soll klarwerden, ob und wie dieses Ziel
erreichbar ist. Die Vorzeichen für eine neue Spardebatte haben sich allerdings
verändert. Die in Zürich von Bildungsdirektor Ernst Buschor verkörperte,
international von Tony Blair mit dem Schlagwort «Education, Education,
Education» geschürte und ökonomisch motivierte Reformeuphorie der 1990er Jahre
hat inzwischen ihre Folgen gezeitigt.
Unsere
Schulen kennen heute Blockzeiten, Betreuung und Frühenglisch. Flächendeckend
sind Schulleitungen eingerichtet worden. Die Bezirksschulpflegen haben
kantonalen Fachleuten für Evaluation Platz gemacht. Und vielenorts sind die
Kleinklassen einer integrativen Schulung in den normalen Klassen gewichen. Die
Schule hat ein anderes Gesicht als vor zehn Jahren. Manches ist schnell zur
Selbstverständlichkeit geworden, anderes stösst auf Widerstand.
Für
die Hochschullandschaft gilt Ähnliches. Mit der Zürcher Fachhochschule wurde
die Bildungslandschaft um ein neues Element erweitert. Kaum gegründet, stellte
sie sich neu dreigliedrig auf: Die Pädagogische Hochschule gibt es erst seit
2002, die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und die Zürcher
Hochschule der Künste seit 2007. Der Erfolg war durchschlagend, wurde aber mit
teuren Investitionen erkauft. Die Universität ist seit 1999 teilautonom.
Gleichzeitig unterzeichnete die Schweiz die Bologna-Erklärung zur Schaffung
eines europäischen Hochschulraums. Schnell, ab 2004, nutzte die Universität ihre
Handlungsfähigkeit zur lückenlosen, aber nicht durchwegs zukunftstauglichen
Umsetzung der Bologna-Reform. All diese Reformen gingen mit einem kräftigen
Wachstum der Studentenzahlen einher.
Zürich
ist als Folge dieser gewollten Anstrengungen - und dank der Präsenz der vom
Bund getragenen ETH - zu einem im internationalen Vergleich hervorragenden
Bildungsstandort geworden. Die rasche Entwicklung hat aber ihren Preis.
Einerseits sind die Bildungskosten im Kanton Zürich stärker gewachsen als die
Zahl der Schüler und Studenten - auch wenn ihr Anteil an den Gesamtaufwendungen
des Kantons zwischen 2004 und 2014 minim gesunken ist. Anderseits steht der
Reformeuphorie der 1990er Jahre heute eine Skepsis gegenüber, die sich aus der
Übersättigung mit Reformen, einem Unbehagen gegenüber dem zunehmenden Einfluss
der «Bildungsbürokratie» und der Messung von Bildungsleistungen an
internationalen Standards, Pisa beispielsweise, nährt. Ihre Träger finden sich
in der Lehrerschaft, unter Pädagogen und Politikern verschiedener Couleur -
und, nicht zu vergessen, manchen Eltern.
Unerwünschte Gegeneffekte
Wer
im Bildungsbereich sparen will, muss diesen auseinanderdriftenden Entwicklungen
Rechnung tragen. Der starke Ausbau des Bildungswesens ist einerseits von
Parlament und Volk stets mitgetragen worden, im Wissen um die Mehrkosten. Sie
rückgängig zu machen, steht nicht zur Diskussion. Mit dem Versprechen an die
Kritiker, einfach etwas Dampf aus dem System zu nehmen und die Schule erst
einmal zur Ruhe kommen zu lassen, spart man aber noch keinen Franken. Man
vergibt Zeit. Es müsste gelingen, die Sparvorgaben zu nutzen, um dort
Optimierungen vorzunehmen, wo das rasche Wachstum und die tiefgreifenden
Umgestaltungen zu unnötigen Wucherungen, überkomplizierten Strukturen oder
mangelhaftem Output - auch ein solcher Begriff muss Platz haben - geführt hat.
Die Zürcher Sparvorgaben bewegen sich im Bereich der Begrenzung des
Ausgabenwachstums, allerdings bei weiterhin steigenden Schüler- und
Studentenzahlen. Sie sind verkraftbar, aber trotzdem schmerzhaft und politisch
heikel.
Sie
können unerwartete Reaktionen auslösen und unerwünschte Gegeneffekte
provozieren - das latente Unbehagen, von dem die Rede war, ist ein guter
Nährboden dafür. Ein Beispiel ist der reflexartige Ruf nach Streichungen im Bereich
der Sonderpädagogik. Rund 40 Prozent der Schüler im Kanton Zürich werden mit
entsprechenden Massnahmen bedacht. Wer aber weiss, dass es sich bei der Hälfte
davon um Unterricht in Deutsch als Zweitsprache handelt, der eigenartigerweise
unter dem Titel Sonderpädagogik subsumiert wird?
Der
von der Regierung gewählte Ansatz, primär die Bereiche mit dem stärksten
Wachstum unter die Lupe zu nehmen, könnte sich deshalb als kontraproduktiv
erweisen. Der Widerstand der aus demografischen Gründen teurer gewordenen
Mittelschulen beispielsweise ist bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar,
weil sich die Kosten pro Schüler kaum verändert haben. Zusätzliche
Kostentreiber waren zuletzt vor allem die Sanierungsbeiträge an die
Pensionskassen. Zweifellos gibt es auch bei den Mittelschulen Sparpotenzial.
Muss etwa das Angebot an Fächerkombinationen so komplex und vielfältig sein?
Schliesslich
gilt es den allerdings dornenreichen Weg der gesamtschweizerischen oder
sprachregionalen Harmonisierung im Bildungsraum Schweiz zu nutzen. Das weist
über den Kanton Zürich hinaus. Möglichkeiten gibt es: Bereits heute erbringt
die Zürcher Bildungsstatistik Leistungen auch für andere Kantone - ein Vorbild
für andere Kooperationsmöglichkeiten? Ähnliches gilt im Bereich der Lehrmittelproduktion.
Höhere Hürden stehen der Bündelung von Studiengängen im Hochschulbereich
entgegen. Die Frage sei trotzdem erlaubt, ob es in der Schweiz wirklich
fünfzehn Pädagogische Hochschulen mit vierfachem Leistungsauftrag - Ausbildung,
Weiterbildung, Forschung und Entwicklung, Dienstleistungen - braucht. Zwar
stirbt die Hoffnung zuletzt, aber dass jetzt mehrere Hochschulkantone eigene
neue Medizin-Studiengänge anbieten wollen, weil der Bund in den nächsten Jahren
100 Millionen Franken in zusätzliche Studienplätze stecken will, ist kein gutes
Omen.
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