10. Februar 2016

Kontrollwahn beherrscht unsere Schulen

Die Kernaufgabe der Lehrpersonen, das Unterrichten, wird in die Ecke gedrängt. Protokolle, jede Menge Formulare für Absenzen, Beobachtungen, Prüfungsdokumentationen und Schülerbeurteilungen gehen vor. Arbeitsbeschaffungen am laufenden Band beherrschen die «unterrichtsfreie Zeit». Eine aufgeblähte Datenhortung füllt die Server, hauptsächlich wohl zur Befriedigung bürokratischen Strebens. Dazu kommen Fragebögen, die akribisch ausgewertet werden müssen, Mitarbeitergespräche, wo «Zielvereinbarungen» formuliert werden …
Kontrollwahn beherrscht unsere Schulen, Blog Südostschweiz, 10.2. von Fritz Tschudi


Die neue Personalführungsstrategie sucht die Lehrpersonen zu entkernen, indem faktisch jede substanzielle Mitsprache der Lehrerschaft bei Weiterbildungsthemen unterdrückt wird. Weiter scheinen Maulkörbe und Denkverbote für Lehrerinnen und Lehrer salonfähig zu werden. In diese Richtung weist jedenfalls ein Arbeitspapier des Erziehungsdepartement EKUD an die Schulleitungen im Zusammenhang mit der Umsetzung des Bündner Lehrplans 21. Warum dieses Papier unter die Geheimhaltungsstufe «vertraulich» fällt, entzieht sich meiner Kenntnis, müsste aber hellhörig machen. Dass in den Köpfen der LP21-Verantworlichen die Versagensangst umgeht, ist offenkundig und dürfte einiges erklären.
Die Lehrer-Persönlichkeit wird schon in der Pädagogischen Hochschule systematisch in ihrer fundamentalen und ideologischen Ausrichtung auf unbedingte Gehorsamkeit und den Befehlsempfang optimiert. Die Beschädigung ist nachhaltig und mit einiger Wahrscheinlichkeit irreversibel.

Die Teilnehmer einer Veranstaltung des linken Thinktanks «Denknetz» bemängelten, niemand wolle, dass die Basis die Schule gestalte. Ein Lehrer kündigte, weil er sich durch die Hierarchie entmündigt gefühlt habe. Ein anderer berichtete von Bewerbungsgesprächen für eine Schulleitungsstelle: Die Bewerber wurden gefragt, ob Sie bereit seien, Entscheidungen gegen den Willen Ihrer Lehrpersonen durchzusetzen.

Alle Macht den Schulleitungen
Schulleitungen sind heute standardmässig installiert. Sie bildet das lokale Machtzentrum, welches seinerseits von der übergeordneten Hierarchie knallhart gelenkt wird. Schulleitungen sind das Bindeglied zu den staatlichen Stellen, beurteilen die Lehrpersonen, planen Projekte, haben Verfügungshoheit über beinahe alles Alltägliche. Darin enthalten ist auch vieles, was eigentlich in den selbstgesteuerten professionellen Bereich der Lehrpersonen fallen müsste: Teamarbeitsbedarf, zusätzliche Arbeitsbeschaffungen, Beurteilung von Weiterbildungsangeboten, die Wahl des Unterrichtsprinzips und der Unterrichtsmethoden …

Christina Rothen, Erziehungswissenschaftlerin an der Uni Zürich, sieht das so: «Es ist widersprüchlich, die Lehrerausbildung professionalisieren zu wollen und gleichzeitig eine neue Hierarchiestufe einzuführen, die die Selbstbestimmung der Lehrerinnen und Lehrer untergräbt. Sie können ihre Arbeit nicht selbst gestalten, wenn sie einer Hierarchie gegenüber loyal sein müssen», und weiter: «Ich denke, dass sich als Folge dieser Entwicklung auch andere Leute für den Lehrerberuf entscheiden als früher. Solche, die sich in Hierarchien wohlfühlen.» (Zitate WOZ)

Zwangsjacken für die Volksschullehrer
Eigentlich ist die Sache klar: «Gute Lehrer sind nicht nur begleitende Beobachter, sondern vor allem auch geschickte Aktivatoren», sagt Michael Felten, «erwartend, erklärend, ermutigend, einfordernd. Folglich kann guter Unterricht gar nicht anders als lehrerzentriert sein. Im Zentrum steht der Pädagoge – für den allerdings seine Schüler im Zentrum stehen.»

Was aber tun, wenn Aktivisten aus den «Heiligen Hallen», immer noch dem Dogma des selbst gesteuerten Lernens frönen? Oder wenn man als gut indoktrinierter Lehrer einem Schulleiter untersteht, der bei der irrgläubigen Qualitätsanalyse punkten möchte? Jeder Lehrer ist aber gehalten, diejenigen Unterricht zu wählen, mit dem er seine Bildungsaufgabe möglichst gut und vor allem authentisch einlösen kann.

«Aber die verdammten Bildungsreformer, diese Landplage, wollen die Lehrer abschaffen; die würden ja selbst Einstein nach Hause schicken, weil es undemokratisch ist, sich von Einstein Physik erklären zu lassen, so von oben herab.» (Harald Martenstein)

Wollen wir die «ideale» Lehrperson nach dem Wunsch der Bürokraten, die einfach macht, was ihr aufgetragen wird, die keine Fragen stellt und keine Mitentscheidungsrechte beansprucht? Nein! – Es liegt im Interesse aller Beteiligten, wenn selbstbewusste Lehrpersonen  Aufmüpfigkeit zeigen, beispielsweise um die Schattenseiten des LP21 hartnäckig aufzuzeigen oder bei Denk- und Meinungsäusserungsverboten auf die Übergriffigkeit solchen Tuns klar und deutlich hinzuweisen.

Harte Vorwürfe an die Lehreraus- und Weiterbildung
Lehrerbildung in Vielfalt, respektvoll auf Augenhöhe war einmal. Heute machen die Propagandisten und Workshopper mit ihrer Klientel kurzen Prozess: Es  gilt die «indoktrinäre Belehrung». Die verordnete Alternativlosigkeit hinterlässt bei Denkenden jede Menge Frust. Manche Ausbildner wirken als Expertokraten (nicht zu verwechseln mit Experten), es sind oft folgsame, fleissige Beamte, Verordner, Aufpasser, Verbieter, und vor allem Konformisten. Nur über die eigene erfolgreiche Unterrichtstätigkeit breitet sich meistens der Mantel des Schweigens. Exponenten des EKUD lieben aber verständlicherweise Auftritte, in denen sie ungestört von Gegenargumenten in Visionen schwelgen und «informieren» können.

Am Pranger steht der freie Geist des mündigen Bürgers. Menschen, die sich nicht geistig bevormunden lassen wollen, welche Reformelemente hinterfragen, die nicht bereit sind dem lapidaren Gefasel über dauergepredigte (aber nie bewiesene) Chancen zu folgen.
Der lebendige freie Geist lebt ganz grundlegend von den guten persönlichen Beziehungen in den Schulhausteams. Das ist nicht anders wie bei den Kindern, die sie unterrichten. Die Hierarchie fürchtet darum Seilschaften wie der Teufel das Weihwasser. Das mit gutem Grund: Es bildet sich unter günstigen Bedingungen ein vertrauensbasiertes «Wir-Gefühl» unter den Lehrerpersonen. Dieses generiert Selbstwert und Selbstsicherheit, welche nur durch einsichtige Argumentation, nicht aber durch plumpe Indoktrination beeinflusst werden kann. Das ist unerwünscht.

Die Strategie der Indoktrination baut auf die geschürten Ängste. Wenn dieser Ansatz In der Lehrerbildung weiterhin Schule macht, droht der Sumpf eines beruflichen Totalitarismus. Am Ende stünde folgerichtig die hemmungslose Indoktrination der Kinder durch ihre Lehrer. Das sind Perspektiven, über welche die Schulträgerschaft, aber auch die Öffentlichkeit aufgeklärt werden müsste.

Auf die heutige Lehrer(weiter)bildung und die Informationskultur passen fast alle Elemente der folgenden Definition:
Indoktrination ist eine besonders vehemente, keinen Widerspruch und keine Diskussion zulassende Belehrung. Dies geschieht durch gezielte Manipulation von Menschen durch gesteuerte Auswahl von Informationen, um ideologische Absichten durchzusetzen oder Kritik auszuschalten. …Dabei werden die (scheinbar) positiven Seiten des Systems überhöht, während kritische oder missliebige Informationen unterdrückt werden.
Ein wesentliches Merkmal bzw. eine zentrale Methode der Indoktrination ist die Propaganda. Die Form der Informationsdarbietung ist hier einseitig verzerrt, die Gesamtheit der verfügbaren Informationen wird zensiert, die der Ideologie widersprechenden Angaben werden zurückgehalten, deren Äusserung mit diskreten Benachteiligungen oder konkreten Strafen bedroht. (nach Wikipedia)

Den moralischen Schlusspunkt dieses Beitrags setzt der Dozent und Gründungsmitglied der Pädagogischen Hochschule Zug, Carl Bossard: «John Hatties empirische Befunde zeigen es überdeutlich: Eine wirksame Bildungspolitik müsste mehr an den Menschen glauben und weniger an Systeme und Strukturen. Gute Lehrerinnen, gute Lehrer mit humaner Energie und fachlicher Leidenschaft sind der Kern der Schule. … Es gibt sie (noch) in jedem helvetischen Schulhaus.»

Fritz Tschudi war langjähriger Sekundarlehrer in Chur.


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