Letzte
Woche war unser Bildungsdirektor, Herr Bernhard Pulver, in Biel zu Gast. Er
wolle in Sachen Lehrplan 21» informieren und Ängste abbauen». Da tut er sicher
gut daran, denn die neue Glücksbotschaft der Allianz zwischen Wissenschaft,
Politik und Verwaltung sorgt immer wieder für neue Überraschungen. Zurzeit sind
es die Hauwirtschaftlehrerinnen, die soeben realisiert haben, dass ihr Fach in
seiner Praxisausrichtung halbiert werden wird.
Willkommen im Reich der Molekularpädagogik, Bieler Tagblatt, 15.2. Kolumne von Alain Pichard
Sind es heuer 4 Lektionen
abteilungsweiser Unterricht, in welchen die Schülerinnen und Schüler neben
theoretischem Hintergrundwissen vor allem «kochen» dürfen, so wird dieses Fach
neu im Fach «Wirtschaft, Arbeit, Haushalt» aufgehen. Konkret heisst dies:
Gekocht wird nur noch 2 Lektionen. Dafür dürfen jetzt die Hauswirtschaftlehrerinnen
in der 7. Klasse 2 Lektionen und in der 9. Klasse 1 Lektion Theorie über Arbeit
und Wirtschaft unterrichten. Eine Hauswirtschaftslehrerin, die in einer 9.
Klasse eine Lektion lang «Arbeitswelten erkundigt» (Originalzitat Lehrplan) –
auf so eine merkwürdige Idee käme wohl keine vernünftige Schulleitung. Ganz
davon abgesehen, dass der Klassenlehrer die Arbeitswelten auch schon während
der Berufswahl erkundigt. Die Professorin für Gesundheit und Hauswirtschaft an
der pädagogischen Hochschule der Nordwestschweiz, Ute Bender, meinte im
«Tages-Anzeiger» vom 3. Mai 2015 hingegen, es müsse nicht immer Kochen sein,
man könne die Schüler ja auch «Waren testen lassen à la Kassensturz». Denn, so
die Professorin, es sei ja viel wichtiger, dass die Schüler in der Lage seien,
«die Folgen ihres Konsums zu analysieren» (Kompetenzziel Lehrplan 21). Anstatt
Grundrezepte à la Tiptopf zu erlernen, Skilagerrezepte vorzukochen, Drinks für
das Schulhausfest zu zaubern oder sich Wissen über einheimische Gemüsearten und
Fruchtsorten zu erwerben, soll auch dieses Fach zu einer theoretischen
Mainstreamfiliale umgebaut werden. Assistiert wird Bender von Corinne Senn,
ihres Zeichens ebenfalls Dozierende an der FHNW. Sie begründet die Reform
dieses Fachs besonders tiefsinnig: «Der Alltag des Menschen hat sich stark
verändert!» Eine umwerfende Erkenntnis, finden Sie nicht auch? Nun denn, wenn
es eine Berufskategorie in der Bildung gibt, welche die Veränderungen unserer
Gesellschaft mit dem ganzen Wandel des Rollenverständnisses in all seinen
Facetten durchlebt, durchgestanden und geprägt hat, dann sind es wohl die
Hauswirtschaftslehrerinnen. Sie erlebten den Einmarsch der Jungs in die
Schulküchen, sie erwiesen sich als Integrationsfachkräfte in Reinkultur, in
dem sie den hartgesottene Machos inund ausländischer Provenienz das Abwaschen
beibrachten, sie führten unsere Jugendlichen in die Welt der gesunden
naturnahen Ernährung ein. Das war nicht immer einfach, oft härteste
Knochenarbeit. Aber sie erreichten damit, dass sich der altehrwürdige
Hauswirtschaftsunterricht mit der Zeit zu einem der kreativsten und
beliebtesten Fächer in unserem oft kopflastigen Schulalltag gemausert hat. Zum
Dank werden sie in einen hoffnungslosen Lektionenverteilungskampf geschickt (so
ganz nebenbei wurde ihnen nämlich auch noch eine Lektion gekürzt) und dürfen
jetzt mit dem Gault Millau in der Hand zeitgemässes Konsumverhalten
unterrichten. Denn in den LP-21-Laboratorien der Molekularpädagogen scheint der
verpönte Virus «Praxis» nichts mehr zu suchen zu haben.
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