29. Januar 2016

Langgymnasien unter Druck

Der Zürcher Kantonsrat möchte weniger Kinder am Langgymnasium. Grüne und AL-Politiker wollen noch einen Schritt weitergehen.


























Eine Abschaffung des Langgymnasiums würde die Sekundarschule stärken, Bild: TA-Grafik
Grüne wollen das sechsjährige Gymnasium abschaffen, Tages Anzeiger, 29.1. von Marisa Eggli


Das Thema zieht Schülerinnen auf die Strasse. Mitte Monat haben sie in Zürich gegen den Spardruck in der Bildung protestiert, gemeinsam mit Lehrern, Studentinnen, Politikern. Es waren Hunderte Demonstranten. Sie blieben ruhig und bestimmt, liessen sich nicht davon abschrecken, dass die Kundgebung unbewilligt war. Zu wichtig war ihnen das Anliegen, sie wollten am «Tag der Bildung» auf die Strasse gehen. Zu diesem hatten die Rektoren der Gymnasien aufgerufen, weil die Regierung findet, dass ihre Institutionen zu viel kosten. Sie will ihnen 18 Millionen Franken streichen.

Die Kantonsschulen sind unter Druck, vor allem die Langgymnasien. In diese wechseln Kinder nach der 6. Klasse. Für viele Eltern ist das ein Muss. Im Bezirk Meilen mit den Goldküstengemeinden Zollikon, Küsnacht, Herrliberg und Erlenbach schrieben 2015 fast 37 Prozent der Kinder die Aufnahmeprüfung. Laut den Zahlen der Bildungsdirektion schafften in diesem Bezirk fast 23 Prozent den direkten Sprung an die Mittelschule. Das ist fast jeder vierte Sechstklässler. Am Zürichberg ist es sogar jeder zweite.

Das sind viele Kinder. So viele, dass die Kantonsräte von SP bis FDP diese Entwicklung nun stoppen wollen. Sie fordern von der Regierung: Es sollen ebenso viele Kinder von der Sekundarschule wie von der 6. Klasse ans Gymnasium wechseln (TA vom Mittwoch). Zurzeit sind es 60 Prozent, die bereits nach der Primarschule an die Mittelschule gehen, und 40 Prozent, die erst noch die Sekundarschule besuchen.

Vorstoss in der Hinterhand
Doch einigen Kräften im Parlament geht diese Regel zu wenig weit. Sie haben für die Zukunft der Langgymnasien andere Pläne. Die Grünen haben einen «fixfertigen Vorstoss» in der Hinterhand, wie Kantonsrat Ralf Margreiter sagt. Es ist eine unmissverständliche Motion, die nichts weniger verlangt als «die Abschaffung» der Langgymnasien. Eine Motion ist das stärkste politische Instrument. Ist sie im Kantonsrat breit abgestützt, verpflichtet sie die Regierung zum Handeln.

Für die Grünen ist das Anliegen mehr als reine Sparpolitik. Es hat einen bildungspolitischen Hintergrund. Laut Margreiter soll damit der Weg über die Sekundarschule gestärkt werden. Und die Kinder sollen weniger unter Druck geraten, sich bereits ab der 5. Klasse mit zusätzlichen Kursen auf die Gymiaufnahmeprüfung vorbereiten zu müssen. Seiner Meinung nach würde das auch die Chancengleichheit fördern. Er sagt: «Viele Kantone kommen bestens ohne Langgymnasium aus.» In der Schweiz kennen noch neun Kantone die sechsjährige Schule, alle sind in der Deutschschweiz. Dazu gehören ebenfalls die Halbkantone Appenzell Innerrhoden, Obwalden und Nidwalden.

«Alt und elitär»
Auch die AL hält das Langgymnasium längst für «alt und elitär», wie Kantonsrätin Judith Stofer sagt. Ihre Parteikollegen befürworten eine Abschaffung – mit dem Ziel, die Sekundarschule, die Berufsausbildung und die Kurzgymnasien zu stärken. Stofer sähe es gern, wenn die Kantonsschulen weniger und die Sekundarschulen dafür mehr Geld bekämen. Eine breite politische Diskussion hält sie für notwendig. So denkt auch GLP-Kantonsrat Christoph Ziegler. Er würde den Vorstoss der Grünen begrüssen. Nicht, weil er bereits derselben Meinung ist, sondern weil er findet, man müsse nun endlich über die Bedeutung der Langgymnasien sprechen.
Einer Diskussion gegenüber offen sind auch Bildungspolitikerinnen aus FDP und SVP. Für SVP-Kantonsrätin Anita Borer wäre es ein Vorstoss, den ihre Fraktion «offen» prüfen würde. Die heftigsten Diskussionen dürfte das Anliegen der Grünen in der FDP und der SP auslösen. In beiden Fraktionen sitzen Politiker, die bereit wären, unvoreingenommen über die Zukunft der Langgymnasien zu reden. Aber auch solche, die sich das Abschaffen nicht vorstellen können.

Zu diesen gehört SP-Bildungspolitiker Moritz Spillmann. Er hat im Kantonsrat die Forderung eingebracht, weniger Sechstklässler in die Gymnasien zu lassen. Seine Motivation ist, das Langgymnasium «zu entlasten, aber nicht, es abzuschaffen». Die sechsjährige Mittelschule ist in seinen Augen sehr wichtig, um talentierte Kinder richtig zu fördern. Ihn besorgt eher, dass zurzeit zu viele ans Langgymnasium wollen, die besser zuerst in die Sekundarschule gingen. Den Zugang zu den Gymnasien würde Spillmann mit einer Art Numerus clausus oder Quote regeln. Der Kanton müsste dafür die Anzahl Schülerinnen und Schüler festlegen. So könnte man die Sekundarschule aufwerten, sagt er. «Gehen mehr gute Schüler in die Sek, bekommt diese einen besseren Ruf.»

Quote trifft auf Skepsis
Christoph Wittmer, Rektor der Kantonsschule Enge und Präsident der Zürcher Schulleiterkonferenz, hält sowohl eine Einstiegsquote als auch die Abschaffung der Langgymnasien für sehr schwierig. Er ist überzeugt, dass eine rein quantitative Quote die Chancengleichheit gefährden und noch mehr Druck auf die Primarschülerinnen und -schüler auslösen würde. Um die Sekundarschule zu stärken, braucht es für ihn vor allem Aufklärungsarbeit. «Wir müssen wohl Eltern aus Ländern mit anderen Bildungssystemen noch besser über die verschiedenen Wege informieren», sagt er. Denn im Grunde geniesse das hiesige System national und international einen sehr guten Ruf. Das Abschaffen der Langgymnasien hält er für einen Fehler. Er ist überzeugt, dies würde einen Abbau der Qualität des Bildungssystems bedeuten. Und es könnte dazu führen, dass Eltern für ihre Kinder vermehrt private Alternativen suchen und sich von den öffentlichen Schulen abwenden.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen