Eine Abschaffung des Langgymnasiums würde die Sekundarschule stärken, Bild: TA-Grafik
Grüne wollen das sechsjährige Gymnasium abschaffen, Tages Anzeiger, 29.1. von Marisa Eggli
Das Thema
zieht Schülerinnen auf die Strasse. Mitte Monat haben sie in Zürich gegen den
Spardruck in der Bildung protestiert, gemeinsam mit Lehrern, Studentinnen,
Politikern. Es waren Hunderte Demonstranten. Sie blieben ruhig und bestimmt,
liessen sich nicht davon abschrecken, dass die Kundgebung unbewilligt war. Zu
wichtig war ihnen das Anliegen, sie wollten am «Tag der Bildung» auf die
Strasse gehen. Zu diesem hatten die Rektoren der Gymnasien aufgerufen, weil die
Regierung findet, dass ihre Institutionen zu viel kosten. Sie will ihnen 18
Millionen Franken streichen.
Die
Kantonsschulen sind unter Druck, vor allem die Langgymnasien. In diese wechseln
Kinder nach der 6. Klasse. Für viele Eltern ist das ein Muss. Im Bezirk Meilen
mit den Goldküstengemeinden Zollikon, Küsnacht, Herrliberg und Erlenbach
schrieben 2015 fast 37 Prozent der Kinder die Aufnahmeprüfung. Laut den Zahlen
der Bildungsdirektion schafften in diesem Bezirk fast 23 Prozent den direkten
Sprung an die Mittelschule. Das ist fast jeder vierte
Sechstklässler. Am Zürichberg ist es sogar jeder zweite.
Das sind
viele Kinder. So viele, dass die Kantonsräte von SP bis FDP diese Entwicklung
nun stoppen wollen. Sie fordern von der Regierung: Es sollen ebenso viele Kinder
von der Sekundarschule wie von der 6. Klasse ans Gymnasium wechseln (TA vom
Mittwoch). Zurzeit sind es 60 Prozent, die bereits nach der Primarschule an die
Mittelschule gehen, und 40 Prozent, die erst noch die Sekundarschule besuchen.
Vorstoss
in der Hinterhand
Doch
einigen Kräften im Parlament geht diese Regel zu wenig weit. Sie haben für die
Zukunft der Langgymnasien andere Pläne. Die Grünen haben einen «fixfertigen Vorstoss»
in der Hinterhand, wie Kantonsrat Ralf Margreiter sagt. Es ist eine
unmissverständliche Motion, die nichts weniger verlangt als «die Abschaffung»
der Langgymnasien. Eine Motion ist das stärkste politische Instrument. Ist sie
im Kantonsrat breit abgestützt, verpflichtet sie die Regierung zum Handeln.
Für die
Grünen ist das Anliegen mehr als reine Sparpolitik. Es hat einen
bildungspolitischen Hintergrund. Laut Margreiter soll damit der Weg über die
Sekundarschule gestärkt werden. Und die Kinder sollen weniger unter Druck
geraten, sich bereits ab der 5. Klasse mit zusätzlichen Kursen auf die
Gymiaufnahmeprüfung vorbereiten zu müssen. Seiner Meinung nach würde das auch
die Chancengleichheit fördern. Er sagt: «Viele Kantone kommen bestens ohne
Langgymnasium aus.» In der Schweiz kennen noch neun Kantone die sechsjährige
Schule, alle sind in der Deutschschweiz. Dazu gehören ebenfalls die Halbkantone
Appenzell Innerrhoden, Obwalden und Nidwalden.
«Alt und
elitär»
Auch die
AL hält das Langgymnasium längst für «alt und elitär», wie Kantonsrätin Judith
Stofer sagt. Ihre Parteikollegen befürworten eine Abschaffung – mit dem Ziel,
die Sekundarschule, die Berufsausbildung und die Kurzgymnasien zu stärken.
Stofer sähe es gern, wenn die Kantonsschulen weniger und die Sekundarschulen
dafür mehr Geld bekämen. Eine breite politische Diskussion hält sie für
notwendig. So denkt auch GLP-Kantonsrat Christoph Ziegler. Er würde den
Vorstoss der Grünen begrüssen. Nicht, weil er bereits derselben Meinung ist,
sondern weil er findet, man müsse nun endlich über die Bedeutung der
Langgymnasien sprechen.
Einer
Diskussion gegenüber offen sind auch Bildungspolitikerinnen aus FDP und SVP.
Für SVP-Kantonsrätin Anita Borer wäre es ein Vorstoss, den ihre Fraktion
«offen» prüfen würde. Die heftigsten Diskussionen dürfte das Anliegen der
Grünen in der FDP und der SP auslösen. In beiden Fraktionen sitzen Politiker,
die bereit wären, unvoreingenommen über die Zukunft der Langgymnasien zu reden.
Aber auch solche, die sich das Abschaffen nicht vorstellen können.
Zu diesen
gehört SP-Bildungspolitiker Moritz Spillmann. Er hat
im Kantonsrat die Forderung eingebracht, weniger Sechstklässler in die
Gymnasien zu lassen. Seine Motivation ist, das Langgymnasium «zu entlasten,
aber nicht, es abzuschaffen». Die sechsjährige Mittelschule ist in seinen Augen
sehr wichtig, um talentierte Kinder richtig zu fördern. Ihn besorgt eher, dass
zurzeit zu viele ans Langgymnasium wollen, die besser zuerst in die
Sekundarschule gingen. Den Zugang zu den Gymnasien würde Spillmann mit einer
Art Numerus clausus oder Quote regeln. Der Kanton müsste dafür die Anzahl
Schülerinnen und Schüler festlegen. So könnte man die Sekundarschule aufwerten,
sagt er. «Gehen mehr gute Schüler in die Sek, bekommt diese einen besseren
Ruf.»
Quote
trifft auf Skepsis
Christoph
Wittmer, Rektor der Kantonsschule Enge und Präsident der Zürcher
Schulleiterkonferenz, hält sowohl eine Einstiegsquote als auch die Abschaffung
der Langgymnasien für sehr schwierig. Er ist überzeugt, dass eine rein
quantitative Quote die Chancengleichheit gefährden und noch mehr Druck auf die
Primarschülerinnen und -schüler auslösen würde. Um die Sekundarschule zu
stärken, braucht es für ihn vor allem Aufklärungsarbeit. «Wir müssen wohl
Eltern aus Ländern mit anderen Bildungssystemen noch besser über die
verschiedenen Wege informieren», sagt er. Denn im Grunde geniesse das hiesige
System national und international einen sehr guten Ruf. Das Abschaffen der
Langgymnasien hält er für einen Fehler. Er ist überzeugt, dies würde einen
Abbau der Qualität des Bildungssystems bedeuten. Und es könnte dazu führen,
dass Eltern für ihre Kinder vermehrt private Alternativen suchen und sich von
den öffentlichen Schulen abwenden.
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