1. Dezember 2015

Primarlehrer - ein Frauenberuf

Mit 3:2 Stimmen hat das Bundesgericht entschieden, dass Primarlehrer in Zukunft ein frauenspezifischer Beruf ist. Der Aargauische Lehrerverband gewinnt damit eine Lohnklage wegen Diskriminierung gegen den Kanton.













85 Prozent der Primarlehrpersonen im Aargau sind Frauen, Bild: Rolf Jenni
Bundesgericht: Primarlehrer ist jetzt ein typischer Frauen-Beruf, Aargauer Zeitung, 1.12. von Jörg Meier


Das Interesse an der öffentlichen Sitzung der I. sozialrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts in Luzern war gross. Zahlreiche Medienvertreter waren zugegen, aber auch Vertreter von Lehrerverbänden und des Kantons, darüber hinaus auch eine Reihe von externen Beobachtern. Die Materie war komplex und das Urteil des Bundesgerichts unter Leitung von Susanne Leuzinger fiel entsprechend mit 3 gegen 2 Stimmen knapp aus.
Das Bundesgericht hat entschieden, dass der Primarlehreberuf ein Frauenberuf ist. Diese an sich simple Erkenntnis hat aber unter Umständen weitreichende Folgen und können den Aargau sehr teuer zu stehen kommen.
Frauenspezifisch oder nicht?
Gemäss Bundesverfassung haben Frauen und Männer das Anrecht auf gleichen Lohn für gleich bewertete Arbeit. Nach Ansicht des Aargauischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (alv) bezahlt der Kanton Aargau den Lehrpersonen, mehrheitlich Frauen, deutlich tiefere Löhne als seinem Verwaltungspersonal in gleich hoch bewerteten Tätigkeiten.
Im Jahre 2011 gelangte man deshalb an die Schlichtungskommission, welche die Sicht der Lehrpersonen und des alv grösstenteils teilte. Die Regierung hingegen blieb unbeeindruckt und weigerte sich zu überprüfen, ob das Lohnsystem wirklich frei von Diskriminierung sei.
Daraufhin reichten zahlreiche Lehrpersonen Klage am Verwaltungsgericht ein. Den klagenden Kindergartenlehrpersonen gab das Verwaltungsgericht weitgehend recht, es wies aber die Klage der Primarlehrpersonen ab.
Aus historischen Gründen handle es sich beim Primalehrerberuf nicht um einen frauenspezifischen Beruf, erklärte das Verwaltungsgericht, also könne das Kriterium der Diskriminierung gar nicht zur Anwendung kommen, also gebe es auch keine Löhne nachzubessern. Mit dieser Argumentation taten sich Lehrpersonen und alv schwer.
Stellvertretend für die Primarlehrpersonen und unterstützt vom alv zog die Neuenhofer Primarlehrerin Eliane Voser die Klage ans Bundesgericht weiter. So hatte nun das Bundesgericht zu entscheiden, ob Primarlehrer künftig als spezifischer Frauenberuf zu bezeichnen ist - so wie des die Aargauer Lehrer sehen, oder ob es sich um einen geschlechtsneutralen Beruf handelt, wie es der Kanton und das Verwaltungsgericht definieren.
Bundesgericht uneinig
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Über 85 Prozent der Lehrpersonen an der Primarschule im Aargau sind Frauen. Und allgemein spricht man von einem Frauenberuf, wenn über 70 Prozent der Ausübenden Frauen sind. Allerdings war der Lehrerberuf historisch gesehen zuerst einmal ein Männerberuf, hat sich dann zum geschlechtsneutralen Beruf gewandelt und wird aber inzwischen an der Primarschule vorwiegend von Frauen ausgeübt.
Die Richterinnen und Richter waren sich nicht einig, welches Argument nun höher zu gewichten sei; ob man bei einer Gutheissung der Klage gar eine Änderung der Rechtsprechung vornehme: Bisher bezeichnete nämlich das Bundesgericht den Primalehrerberuf immer als geschlechtsneutral und verwendete ihn bei Lohnbeurteilungen als entsprechende Referenz.
Uneinig waren sich die Richter auch, ob die Tendenz der Frauendominanz rückläufig sei und ob eine Anerkennung als Frauenberuf der Gleichstellung von Mann und Frau dienlich sei. Entsprechend war der Entscheid auch das Abbild der Diskussion: 3 Richter sprachen sich für die Bezeichnung «Frauenberuf» aus, 2 dagegen.
Die Konsequenzen
Das Verwaltungsgericht muss nun prüfen, ob die lohnmässige Einstufung der Primarschullehrpersonen diskriminierend ist. Wenn dem so wäre, wie der alv vermutet, wären erhebliche Lohnachzahlungen und -erhöhungen die Folge.
Dies bestätigt Hans-Jürg Roth, Leiter Rechtsdienst beim Bildungsdepartement (BKS): «Sollte das Verwaltungsgericht zum Schluss kommen, dass der Kanton die Löhne nicht geschlechterunabhängig festgelegt hat, wird es die entsprechenden Korrekturen geben.»
Ob das den Kanton dann tatsächlich zwischen 50 und 70 Millionen Franken kosten wird, wie erste Schätzungen des alv ergeben haben? «Über Zahlen können wir erst reden, wenn das Verwaltungsgericht entschieden hat», sagt Roth pragmatisch.
Alv-Präsidentin Elisabeth Abbassi freute sich über den Etappensieg. «Ich gehe davon aus, dass dieser Entscheid auch Auswirkungen auf die Lohndiskussion in anderen Kantonen haben wird», sagte sie.


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