85 Prozent der Primarlehrpersonen im Aargau sind Frauen, Bild: Rolf Jenni
Bundesgericht: Primarlehrer ist jetzt ein typischer Frauen-Beruf, Aargauer Zeitung, 1.12. von Jörg Meier
Das Interesse an der öffentlichen
Sitzung der I. sozialrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts in Luzern war
gross. Zahlreiche Medienvertreter waren zugegen, aber auch Vertreter von
Lehrerverbänden und des Kantons, darüber hinaus auch eine Reihe von externen
Beobachtern. Die Materie war komplex und das Urteil des Bundesgerichts unter
Leitung von Susanne Leuzinger fiel entsprechend mit 3 gegen 2 Stimmen knapp
aus.
Das Bundesgericht hat entschieden, dass
der Primarlehreberuf ein Frauenberuf ist. Diese an sich simple Erkenntnis hat
aber unter Umständen weitreichende Folgen und können den Aargau sehr teuer zu
stehen kommen.
Frauenspezifisch oder nicht?
Gemäss Bundesverfassung haben Frauen
und Männer das Anrecht auf gleichen Lohn für gleich bewertete Arbeit. Nach
Ansicht des Aargauischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (alv) bezahlt der
Kanton Aargau den Lehrpersonen, mehrheitlich Frauen, deutlich tiefere Löhne als
seinem Verwaltungspersonal in gleich hoch bewerteten Tätigkeiten.
Im Jahre 2011 gelangte man deshalb an
die Schlichtungskommission, welche die Sicht der Lehrpersonen und des alv
grösstenteils teilte. Die Regierung hingegen blieb unbeeindruckt und weigerte
sich zu überprüfen, ob das Lohnsystem wirklich frei von Diskriminierung sei.
Daraufhin reichten zahlreiche
Lehrpersonen Klage am Verwaltungsgericht ein. Den klagenden Kindergartenlehrpersonen
gab das Verwaltungsgericht weitgehend recht, es wies aber die Klage der
Primarlehrpersonen ab.
Aus historischen Gründen handle es sich
beim Primalehrerberuf nicht um einen frauenspezifischen Beruf, erklärte das
Verwaltungsgericht, also könne das Kriterium der Diskriminierung gar nicht zur
Anwendung kommen, also gebe es auch keine Löhne nachzubessern. Mit dieser
Argumentation taten sich Lehrpersonen und alv schwer.
Stellvertretend für die
Primarlehrpersonen und unterstützt vom alv zog die Neuenhofer Primarlehrerin
Eliane Voser die Klage ans Bundesgericht weiter. So hatte nun das Bundesgericht
zu entscheiden, ob Primarlehrer künftig als spezifischer Frauenberuf zu
bezeichnen ist - so wie des die Aargauer Lehrer sehen, oder ob es sich um einen
geschlechtsneutralen Beruf handelt, wie es der Kanton und das
Verwaltungsgericht definieren.
Bundesgericht uneinig
Die Zahlen sprechen eine deutliche
Sprache: Über 85 Prozent der Lehrpersonen an der Primarschule im Aargau sind
Frauen. Und allgemein spricht man von einem Frauenberuf, wenn über 70 Prozent
der Ausübenden Frauen sind. Allerdings war der Lehrerberuf historisch gesehen
zuerst einmal ein Männerberuf, hat sich dann zum geschlechtsneutralen Beruf
gewandelt und wird aber inzwischen an der Primarschule vorwiegend von Frauen
ausgeübt.
Die Richterinnen und Richter waren sich
nicht einig, welches Argument nun höher zu gewichten sei; ob man bei einer
Gutheissung der Klage gar eine Änderung der Rechtsprechung vornehme: Bisher
bezeichnete nämlich das Bundesgericht den Primalehrerberuf immer als
geschlechtsneutral und verwendete ihn bei Lohnbeurteilungen als entsprechende
Referenz.
Uneinig waren sich die Richter auch, ob
die Tendenz der Frauendominanz rückläufig sei und ob eine Anerkennung als
Frauenberuf der Gleichstellung von Mann und Frau dienlich sei. Entsprechend war
der Entscheid auch das Abbild der Diskussion: 3 Richter sprachen sich für die
Bezeichnung «Frauenberuf» aus, 2 dagegen.
Die Konsequenzen
Das Verwaltungsgericht muss nun prüfen,
ob die lohnmässige Einstufung der Primarschullehrpersonen diskriminierend ist.
Wenn dem so wäre, wie der alv vermutet, wären erhebliche Lohnachzahlungen und
-erhöhungen die Folge.
Dies bestätigt Hans-Jürg Roth, Leiter
Rechtsdienst beim Bildungsdepartement (BKS): «Sollte das Verwaltungsgericht zum
Schluss kommen, dass der Kanton die Löhne nicht geschlechterunabhängig
festgelegt hat, wird es die entsprechenden Korrekturen geben.»
Ob das den Kanton dann tatsächlich
zwischen 50 und 70 Millionen Franken kosten wird, wie erste Schätzungen des alv
ergeben haben? «Über Zahlen können wir erst reden, wenn das Verwaltungsgericht
entschieden hat», sagt Roth pragmatisch.
Alv-Präsidentin Elisabeth Abbassi
freute sich über den Etappensieg. «Ich gehe davon aus, dass dieser Entscheid
auch Auswirkungen auf die Lohndiskussion in anderen Kantonen haben wird», sagte
sie.
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