2. Dezember 2015

Lehrplan bedingt Anpassungen bei Ausbildung und Lehrmitteln

In Basel-Stadt arbeitet man seit drei Monaten mit dem Lehrplan 21. Doch die ungenügende Ausbildung für die neuen Sammelfächer und fehlende kompetenzorientierte Lehrmittel sorgen für Probleme. Davon will nun der Kanton Bern lernen.













Aufgrund der späteren Einführung kann Bern von den Schwierigkeiten anderer Kantone profitieren, Bild: Keystone
Lehrplan 21: Berner wollen von den Basler Problemen profitieren, Berner Zeitung, 2.12. von Marius Aschwanden


Bis im Kanton Bern der Lehrplan 21 in den Schulstuben Einzug hält, dauert es noch eine Weile. Die gestaffelte Einführung beginnt am 1. August 2018 mit den Kindergärten und den ersten bis siebten Schuljahren. Seit einigen Monaten formiert sich wie in ­anderen Kantonen aber auch in Bern Widerstand gegen den Lehrplan 21. Ein Komitee aus dem Oberland will mit einer Volksinitiative die Einführung verhindern.
Zudem hat der Bieler Lehrer und GLP-Stadtrat Alain Pichard zusammen mit Erziehungswissenschaftlern eine 30-seitige Streitschrift verfasst.«Alles halb so wild», heisst es derweil aus dem Kanton Basel-Stadt. Dort ist der Lehrplan 21 bereits Realität geworden. Seit rund drei Monaten arbeiten die dortigen Lehrer schweizweit als Erste mit dem neuen Regelwerk. «Seit die Lehrpersonen den Lehrplan anwenden, stelle ich bei vielen eine gewisse Entspannung fest», sagt Gaby Hintermann.
Der Unterricht sei nicht grundlegend anders als vorher und nach wie vor herrsche Methodenfreiheit, sagt die Sekundarlehrerin und Präsidentin der Schulkonferenz Basel-Stadt. Viele Lehrpersonen hätten beispielsweise in der Vergangenheit bereits mit Lernzielen gearbeitet. «Da ist es nur ein kleiner Schritt hin zu Kompetenzen.» Zudem muss der Lehrplan 21 erst in sechs Jahren vollständig umgesetzt sein. Für Hintermann ist trotzdem klar: «Ich habe Verständnis für Kantone, die mit der Einführung noch zuwarten wollen.»
Ausbildung als Problem
Denn auch in Basel-Stadt gelingt die schweizweit grösste Reform im Schulwesen nicht ohne Probleme. So stellen etwa die neuen Sammelfächer in der Sekundarschule eine grosse Herausforderung dar.
Anstelle von Geschichte und Geografie gibt es neu das Fach «Räume, Zeiten, Gesellschaften» und Biologie, Chemie und Physik wurden zu «Natur und Technik». «Diese Sammelfächer stimmen mit der heutigen Ausbildung nicht überein», sagt Hintermann. Viele Lehrer würden jetzt Fächer unterrichten, in welchen sie gar nicht ausgebildet worden seien. Zwar gebe es Weiterbildungsangebote. «Diese sind aber nur eine Schnellbleiche.»
Das weiss auch Regina Kuratle vom Erziehungsdepartement Basel-Stadt. «Wenn ein Lehrer nicht alle Fächer eines Kombinationsfachs unterrichten kann, wird dieses von mehreren Personen erteilt», sagt sie. Das langfristige Ziel sei aber, dass die Fachbereiche von einer Lehrperson unterricht werden. Deshalb überarbeite die Pädagogische Hochschule jetzt die Studiengänge für Lehrpersonen.
Lehrmittel fehlen
Die Arbeit der Basler Lehrer wird zusätzlich durch fehlende Lehrmittel erschwert. Für die Fächer Deutsch, Französisch, Englisch und Mathematik gibt es bereits Lehrbücher, die auf kompetenzorientiertem Lernen basieren und damit lehrplankonform sind. Anders bei den Sammelfächern. «Weil die Lehrmittel in der täglichen Arbeit viel wichtiger sind als der Lehrplan, ist es sehr ungünstig, wenn diese fehlen», sagt Hintermann.
Die Erziehungsdirektion bietet mittlerweile Hilfs­materialen für die betroffenen Fächer an. Viele Lehrer würden vorerst mangels Alternativen aber mit den bisherigen Lehrmitteln weiterarbeiten.
Die Schuld an diesem Missstand sieht Regina Kuratle bei den Schulbuchverlagen. Diese hätten keinen Anreiz, neue Unterrichtsmaterialen zu entwickeln, solange nur Basel-Stadt den Lehrplan 21 umsetze. «Die Nachfrage ist erst gross genug, wenn auch andere Kantone wie Bern oder Zürich mit der Umsetzung des Lehrplans beginnen.»
Keine Alternative
Trotz dieser Probleme würden sich die Basler Lehrer sehr kooperativ verhalten, sagen sowohl Hintermann als auch Kuratle. «Wichtig ist dabei die sechsjährige Einführungsfrist», sagt Hintermann. Zudem habe es in Basel-Stadt auch gar keine Alternative zur frühen Einführung des Lehrplans 21 gegeben.
Der Grund dafür ist die eben erfolgte Umstellung des Schulsystems von einer Orientierungs- und Weiterbildungsschule hin zu einer Sekundarstufe. Diese Umstellung würde die Lehrer auch viel stärker beschäftigen als die Einführung des neuen Regelwerks. «Hätten wir mit dem Lehrplan 21 noch gewartet, hätte es einen Übergangslehrplan gebraucht. Darauf hatte auch niemand Lust.»
Im Hinblick auf die Einführung des Lehrplans 21 in Bern und anderen Kantonen meint Kuratle: «Unsere Probleme sind Kinderkrankheiten. Davon können andere Kantone hoffentlich später profitieren.»
Pulver ist zuversichtlich
Entsprechend genau verfolgt die bernische Erziehungsdirektion die Entwicklungen in den Basler Schulstuben. Erziehungsdirektor Bernhard Pulver (Grüne) ist überzeugt, dass im Kanton Bern manche Probleme gar nicht erst auftreten werden, weil die Einführung erst ab dem Jahr 2018 erfolgen soll.
«Ich gehen davon aus, dass die heute noch fehlenden Lehrmittel im Sammelfach Natur, Mensch, Gesellschaft dann existieren werden.» Wie in Basel-Stadt seien die Lehrmittel in den Fächern Deutsch, Französisch, Englisch und Mathematik ebenfalls in Bern bereits heute lehrplankonform.
Auch bei der Lehrerausbildung steht Bern laut Pulver besser da. «Seit 1995 gibt es bei uns das Fach Natur-Mensch-Mitwelt. In Basel existierte dieses Fach nicht. Der Schritt zum neuen Sammelfach Natur, Mensch, Gesellschaft ist für uns relativ klein.»
Deshalb brauche es auch keine Anpassungen an der Ausbildung. «Die heutigen Absolventen werden bereits auf der Basis des Lehrplans 21 ausgebildet», sagt Pulver. Dies, obschon der Lehrplan im Kanton Bern noch gar nicht formell ­beschlossen ist. Pulver will dies ­Anfang 2016 tun – auch wenn der Widerstand gegen das Regelwerk nun auch von linker Seite zunimmt.


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