Aufgrund der späteren Einführung kann Bern von den Schwierigkeiten anderer Kantone profitieren, Bild: Keystone
Lehrplan 21: Berner wollen von den Basler Problemen profitieren, Berner Zeitung, 2.12. von Marius Aschwanden
Bis
im Kanton Bern der Lehrplan 21 in den Schulstuben Einzug hält, dauert es noch
eine Weile. Die gestaffelte Einführung beginnt am 1. August 2018 mit den
Kindergärten und den ersten bis siebten Schuljahren. Seit einigen Monaten
formiert sich wie in anderen Kantonen aber auch in Bern Widerstand gegen den
Lehrplan 21. Ein Komitee aus dem Oberland will mit einer Volksinitiative die
Einführung verhindern.
Zudem
hat der Bieler Lehrer und GLP-Stadtrat Alain Pichard zusammen mit
Erziehungswissenschaftlern eine 30-seitige Streitschrift verfasst.«Alles halb
so wild», heisst es derweil aus dem Kanton Basel-Stadt. Dort ist der Lehrplan
21 bereits Realität geworden. Seit rund drei Monaten arbeiten die dortigen
Lehrer schweizweit als Erste mit dem neuen Regelwerk. «Seit die Lehrpersonen
den Lehrplan anwenden, stelle ich bei vielen eine gewisse Entspannung fest»,
sagt Gaby Hintermann.
Der
Unterricht sei nicht grundlegend anders als vorher und nach wie vor herrsche
Methodenfreiheit, sagt die Sekundarlehrerin und Präsidentin der Schulkonferenz
Basel-Stadt. Viele Lehrpersonen hätten beispielsweise in der Vergangenheit
bereits mit Lernzielen gearbeitet. «Da ist es nur ein kleiner Schritt hin zu
Kompetenzen.» Zudem muss der Lehrplan 21 erst in sechs Jahren vollständig
umgesetzt sein. Für Hintermann ist trotzdem klar: «Ich habe Verständnis für
Kantone, die mit der Einführung noch zuwarten wollen.»
Ausbildung als Problem
Denn
auch in Basel-Stadt gelingt die schweizweit grösste Reform im Schulwesen nicht
ohne Probleme. So stellen etwa die neuen Sammelfächer in der Sekundarschule
eine grosse Herausforderung dar.
Anstelle
von Geschichte und Geografie gibt es neu das Fach «Räume, Zeiten,
Gesellschaften» und Biologie, Chemie und Physik wurden zu «Natur und Technik».
«Diese Sammelfächer stimmen mit der heutigen Ausbildung nicht überein», sagt
Hintermann. Viele Lehrer würden jetzt Fächer unterrichten, in welchen sie gar
nicht ausgebildet worden seien. Zwar gebe es Weiterbildungsangebote. «Diese
sind aber nur eine Schnellbleiche.»
Das
weiss auch Regina Kuratle vom Erziehungsdepartement Basel-Stadt. «Wenn ein
Lehrer nicht alle Fächer eines Kombinationsfachs unterrichten kann, wird dieses
von mehreren Personen erteilt», sagt sie. Das langfristige Ziel sei aber, dass
die Fachbereiche von einer Lehrperson unterricht werden. Deshalb überarbeite
die Pädagogische Hochschule jetzt die Studiengänge für Lehrpersonen.
Lehrmittel fehlen
Die
Arbeit der Basler Lehrer wird zusätzlich durch fehlende Lehrmittel erschwert.
Für die Fächer Deutsch, Französisch, Englisch und Mathematik gibt es bereits
Lehrbücher, die auf kompetenzorientiertem Lernen basieren und damit
lehrplankonform sind. Anders bei den Sammelfächern. «Weil die Lehrmittel in der
täglichen Arbeit viel wichtiger sind als der Lehrplan, ist es sehr ungünstig,
wenn diese fehlen», sagt Hintermann.
Die
Erziehungsdirektion bietet mittlerweile Hilfsmaterialen für die betroffenen
Fächer an. Viele Lehrer würden vorerst mangels Alternativen aber mit den
bisherigen Lehrmitteln weiterarbeiten.
Die
Schuld an diesem Missstand sieht Regina Kuratle bei den Schulbuchverlagen.
Diese hätten keinen Anreiz, neue Unterrichtsmaterialen zu entwickeln, solange
nur Basel-Stadt den Lehrplan 21 umsetze. «Die Nachfrage ist erst gross genug,
wenn auch andere Kantone wie Bern oder Zürich mit der Umsetzung des Lehrplans
beginnen.»
Keine Alternative
Trotz
dieser Probleme würden sich die Basler Lehrer sehr kooperativ verhalten, sagen
sowohl Hintermann als auch Kuratle. «Wichtig ist dabei die sechsjährige
Einführungsfrist», sagt Hintermann. Zudem habe es in Basel-Stadt auch gar keine
Alternative zur frühen Einführung des Lehrplans 21 gegeben.
Der
Grund dafür ist die eben erfolgte Umstellung des Schulsystems von einer
Orientierungs- und Weiterbildungsschule hin zu einer Sekundarstufe. Diese
Umstellung würde die Lehrer auch viel stärker beschäftigen als die Einführung
des neuen Regelwerks. «Hätten wir mit dem Lehrplan 21 noch gewartet, hätte es
einen Übergangslehrplan gebraucht. Darauf hatte auch niemand Lust.»
Im
Hinblick auf die Einführung des Lehrplans 21 in Bern und anderen Kantonen meint
Kuratle: «Unsere Probleme sind Kinderkrankheiten. Davon können andere Kantone
hoffentlich später profitieren.»
Pulver ist
zuversichtlich
Entsprechend
genau verfolgt die bernische Erziehungsdirektion die Entwicklungen in den
Basler Schulstuben. Erziehungsdirektor Bernhard Pulver (Grüne) ist überzeugt,
dass im Kanton Bern manche Probleme gar nicht erst auftreten werden, weil die
Einführung erst ab dem Jahr 2018 erfolgen soll.
«Ich
gehen davon aus, dass die heute noch fehlenden Lehrmittel im Sammelfach Natur,
Mensch, Gesellschaft dann existieren werden.» Wie in Basel-Stadt seien die
Lehrmittel in den Fächern Deutsch, Französisch, Englisch und Mathematik
ebenfalls in Bern bereits heute lehrplankonform.
Auch
bei der Lehrerausbildung steht Bern laut Pulver besser da. «Seit 1995 gibt es
bei uns das Fach Natur-Mensch-Mitwelt. In Basel existierte dieses Fach nicht.
Der Schritt zum neuen Sammelfach Natur, Mensch, Gesellschaft ist für uns
relativ klein.»
Deshalb
brauche es auch keine Anpassungen an der Ausbildung. «Die heutigen Absolventen
werden bereits auf der Basis des Lehrplans 21 ausgebildet», sagt Pulver. Dies,
obschon der Lehrplan im Kanton Bern noch gar nicht formell beschlossen ist.
Pulver will dies Anfang 2016 tun – auch wenn der Widerstand gegen das
Regelwerk nun auch von linker Seite zunimmt.
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