12. Dezember 2015

Debatte über muslimischen Lebensstil geht weiter

Beim Streit über ein Kopftuchverbot an öffentlichen Schulen berufen sich Gegner wie Befürworter auf die Grundrechte. Für die einen geht es um die Freiheit der heranwachsenden Mädchen, ihre religiöse Überzeugung durch das Tragen des islamischen Foulards auszudrücken. Die anderen sehen im Kopftuch ein patriarchalisches Instrument und sind der Ansicht, dass der Staat die Schülerinnen vor Unterdrückung zu schützen habe. Das Bundesgericht hat sich mit seinem Grundsatzentscheid auf die Seite derGegner eines Kopftuchverbots geschlagen.
Das Tuch ist nicht das Problem, NZZ, 12.12. von Katharina Fontana


Das Urteil ist zu begrüssen. Es gibt keinen wirklich überzeugenden Grund, warum ein muslimisches Mädchen nicht mit einem das Gesichtsoval frei lassenden Foulard den Unterricht besuchen können soll. Die Disziplin während der Schulstunden wird dadurch nicht tangiert, und das Mädchen kann an allen Aktivitäten teilnehmen - selbst für den Schwimmunterricht gibt es heute entsprechende Bekleidungen. Auch die religiöse Neutralität der Schule wird nicht infrage gestellt, wenn eine Schülerin Kopf und Hals bedeckt hat - andernfalls müssten auch Halsketten mit dem christlichen Kreuz oder die jüdische Kippa als Problem angesehen werden. Hier liegt denn auch ein wesentlicher Unterschied zum früheren Fall einer Genfer Primarlehrerin: Dieser wurde das Tragen des islamischen Kopftuches während des Unterrichts zu Recht verboten, weil sie als Autoritätsperson mit dem ostentativen Bekunden ihres Glaubens die Primarschüler in unerwünschter Weise hätte beeinflussen können.


Das Bundesgericht positioniert sich in der Kopftuchfrage damit toleranter als andere Länder, etwa Frankreich, dessen Verbot des Foulards an öffentlichen Schulen vom Strassburger Gerichtshof für Menschenrechte gestützt wurde. Gleichzeitig bleiben viele Fragen offen. Nach der markanten Zunahme der muslimischen Bevölkerung in der Schweiz und vor dem Hintergrund eines erstarkenden Islamismus fügt sich die Kopftuchfrage in die grundsätzliche Debatte darüber ein, inwieweit sich die Muslime den Gebräuchen der hiesigen Gesellschaft anpassen sollen. Dabei geht es um die Gleichberechtigung von Mann und Frau, aber auch um die berufliche Integration der muslimischen Mädchen, die durch das Tragen des Kopftuchs nicht gerade einfacher wird; die von öffentlichen Geldern lebende Familie der bosnischen Schülerin, deren Fall in Lausanne verhandelt wurde, ist hier ein denkbar schlechtes Beispiel. Auch wenn das Tragen des Kopftuchs erlaubt wird: Die Debatte darüber, wieweit man muslimische Lebensstile akzeptieren will und wo die Toleranz auch in einer freiheitlichen Gesellschaft ihre Grenzen haben muss, geht weiter.

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