17. Dezember 2015

Birchers Blick nach vorne

Walter Bircher, abtretender Direktor der PH Zürich, nimmt Stellung zu Fragen der Lehrerbildung. Dabei äussert er sich zu umstrittenen Themen wie der Generalisten-Ausbildung, Weiterbildung und den Folgen der knapperen finanziellen Mittel. Hinsichtlich des Projekts "Fokus starke Lernbeziehungen" sieht Bircher allerdings schwarz: Die Schule müsse sich der Tatsache anpassen, dass viele Lehrpersonen Teilzeit arbeiteten.



















Bircher: Kooperation mit Universität bezüglich Doktoratsprogrammen für Fachdidaktik, Bild: Karin Hofer
"Ich schaue gern nach vorn", NZZ, 17.12. von Walter Bernet


Da sitze ich einem gegenüber, der nach 45 Jahren in Schule und Lehrerbildung direkt vor der Pensionierung steht, und worüber sprechen wir? Über die Schule der Zukunft, über die künftige Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte und über die Weiterentwicklung der pädagogischen Hochschulen. Kein Zweifel, Rektor Walter Bircher steckt mit allen Fasern in seiner Aufgabe, immer noch.

Die Schule von morgen
Es gehöre zu seinen Aufgaben, zu antizipieren, wie die Schule von morgen aussehen könnte, sagt er. Und es werde ihn auch künftig interessieren, ob wirklich eintreffe, was er und sein Kollegium prognostizierten. Blicken wir trotzdem kurz zurück. Vor 45 Jahren begann in einem Primarschulhaus in Frick Birchers Laufbahn als Lehrer auf verschiedenen Stufen. Sie führte bald auch an die ETH und die Universität Zürich, wo Bircher in physischer Geografie doktorierte. 1982 wechselte Bircher als Didaktik-Dozent an das Primarlehrerseminar in Zürich Oerlikon, das er später leitete. 1993 wurde er Direktor des Real- und Oberschullehrerseminars. Mit der Gründung der Pädagogischen Hochschule Zürich (PHZH) übernahm Bircher 2001 das Prorektorat Ausbildung. Seit 2007 amtet er als ihr Rektor.

Wenn Bircher in die Zukunft blickt, tut er das also mit viel Wissen über die Vergangenheit. Als er in die Lehrerbildung eingestiegen sei, habe man dem Nachwuchs vor allem einen für eine möglichst lange Zeit reichenden Rucksack an praktisch-didaktischem Wissen mitgeben wollen - aus der Praxis für die Praxis. Der Nachteil: Wie man Wissen selber aufbereitet und wie man konzeptionell arbeitet, lernten Lehrkräfte nicht.

Für die vielfältigen Aufgaben, mit denen Lehrerinnen und Lehrer heute konfrontiert seien, tauge das nicht mehr. Angehenden Lehrkräften seien die Kompetenzen für die Wahrnehmung ihres ganzen Aufgabenspektrums zu vermitteln. Die Auseinandersetzung mit Konzepten, mit Methodik und Didaktik, die Reflexion von Inhalten habe deshalb eine zentrale Bedeutung, obwohl der Anteil der Praxis an der Ausbildung gegenüber früher noch gewachsen sei. Sie diene nicht zuletzt der Selbsteinschätzung. Gefordert sei eine grosse Selbständigkeit, sagt Bircher. Anderseits spiele die Zusammenarbeit im Team eine immer wichtigere Rolle, was sich in der Ausbildung spiegle.

Was sich in Schule und Bildung zurzeit entwickle, sei an sich schon spannend. Unglaublich sei aber das Tempo, mit dem das geschehe, sagt Bircher. In der Informatik-Grundbildung zum Beispiel liege die Schweiz zurück. Die pädagogischen Hochschulen müssten eine Vorreiterrolle übernehmen und auch dann innovativ und kreativ bleiben, wenn sie auf Kritik stiessen.

Die grosse Herausforderung der Zukunft stellt für Bircher die sich abzeichnende Mittelverknappung dar. Wie lassen sich die Ziele trotzdem erreichen? Ohne enge Zusammenarbeit von Lehrerbildung, Schule und Bildungspolitik sei dies nicht möglich, sagt Bircher. Es mangle in diesem Dreieck aber an der Klärung der Rollen. So bestünden zwischen Volksschulamt und PHZH nie gelöste Doppelspurigkeiten in der Weiterbildung für Lehrkräfte.

Sein Ziel sei stets eine bessere Vernetzung der PHZH im Schulfeld gewesen, sagt der scheidende Rektor. Er sieht seine Hochschule als Dienstleisterin, welche die Volksschule in ihrer eigenen Entwicklung unterstützt, ohne ihr Vorschriften zu machen. Diese Rolle werde an Bedeutung gewinnen, etwa wenn Schulen trotz zunehmender Heterogenität grössere Klassen bilden müssten. Dabei gehe es um Hilfe bei der Entwicklung von Lösungen, die auf die lokalen Bedingungen Rücksicht nehmen. Dafür seien den Schulen mehr Freiheiten und Kompetenzen zuzugestehen.
«Man baut keine Hochschule in einem Jahrzehnt», sagt Bircher und meint damit, dass der Prozess der Tertiarisierung der Lehrerbildung noch nicht abgeschlossen ist. Die PHZH habe zwar durch den Campus beim Hauptbahnhof ein Gesicht erhalten, aber fertig strukturiert sei sie nicht. Ihr Ziel müsse sein, dass die Studierenden einen Habitus erreichten, der dem im Unterrichtsalltag geforderten sehr nahe komme. Dafür müsse sich die Ausbildung Richtung selbständiges Zeitmanagement, weniger Präsenzunterricht und stärkere IT-Nutzung entwickeln.

Zudem gelte es, das starke Defizit in der in der seit 50 Jahren praktisch inexistenten fachdidaktischen Forschung zu beheben. Für die effiziente Nutzung der dafür auf nationaler Ebene vorgesehenen Fördermittel brauche es eine verstärkte Zusammenarbeit der pädagogischen Hochschulen, zum Beispiel in Verbünden um grössere Hochschulen. Endlich vorwärts müsse es auch in der Kooperation mit der Universität Zürich bezüglich Doktoratsprogrammen gehen. «Wir möchten Dissertationen aus jenem Bereich haben, der uns am stärksten interessiert, nämlich der Fachdidaktik», sagt Bircher. Heute müssten Doktoranden dafür ins Ausland ausweichen.

Billiger produzieren
Der PHZH droht eine Reduktion des Staatsbeitrags. Angesichts des anhaltenden Wachstums stelle sich die Frage, wie man billiger mehr produzieren könne. Schon in den letzten vier Jahren war eine Verdoppelung der Studierendenzahl zu verkraften. Trotzdem decken die jährlich 600 Studienabgänger den Bedarf längst nicht. Man werde sich mit einer Verkürzung des Grundstudiums auseinandersetzen müssen, sagt Bircher, und im Gegenzug einen Ausbau der Ausbildung on the job ins Auge fassen. Von der Forderung, wieder vermehrt Allrounder auszubilden, hält er nichts. Das führe nur zu Schmalspurausbildungen.

Generell geht für Bircher die Entwicklung im Lehrerberuf in Richtung einer stärkeren Differenzierung der Berufsrollen. An das Modell des Versuchs «Fokus starke Lernbeziehungen» mit zwei Lehrpersonen pro Klasse glaubt der PHZH-Rektor angesichts der weiterhin wachsenden Schülerzahlen nicht. Dafür gebe es zu wenig Lehrpersonen und zu wenig finanzielle Mittel. Die Schule müsse sich der Tatsache anpassen, dass viele Lehrpersonen Teilzeit arbeiteten. Vermehrt werde es um die Klassen möglichst konstante und einheitliche Netzwerke von Personen mit unterschiedlichen Rollen geben - voll ausgebildete Lehrpersonen, Fachkräfte, Praktikantinnen, Senioren, Klassenassistenten -, wie es das in Ansätzen heute schon gibt.


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