Sparmassnahmen im Förderangebot, Grafik: Tages Anzeiger. Weitere Sparbereiche grafisch dargestellt hier ersichtlich.
Sparhammer an Schweizer Schulen, Tages Anzeiger, 26.11. von Anja Burri
Die
Kantone müssen sparen. Und sie tun das immer häufiger auch bei der Bildung.
Eine Erhebung des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) bei seinen
kantonalen Mitgliederorganisationen zeigt: Zwischen 2013 und 2015 haben die
Deutschschweizer Kantone mindestens 265 Millionen Franken im Bildungsbereich
eingespart. Für die Jahre 2016 bis 2018 sind sogar noch umfassendere
Abbaumassnahmen von mindestens 536 Millionen Franken geplant. Von 21 befragten
kantonalen Lehrerorganisationen meldeten 20 Sparmassnahmen bei der Bildung.
Noch nicht enthalten sind in diesen Berechnungen Sparziele, die erst angedacht
worden sind – zum Beispiel will der
Kanton Zürich ab 2016 bis 2019 jedes Jahr insgesamt 49 Millionen Franken bei
der Volksschule, den Mittelschulen und der Berufsbildung sparen. Nicht
erfasst sind auch die Sparmassnahmen der einzelnen Gemeinden. «Könnten wir
wirklich alle Sparmassnahmen berechnen, würden wir für die Jahre 2013 bis 2018
wohl die Milliardengrenze erreichen», sagt Franziska Peterhans,
Zentralsekretärin des LCH.
Der
Verband hat nun erstmals die Abbaupläne der Kantone im Detail analysiert. Die
Zusammenstellung zeigt, dass die Art und Weise, wie die Kantone bei der Bildung
sparen, sich verändert. Bisher schraubten die Kantonsparlamente zum grössten
Teil an den Anstellungsbedingungen der Lehrer. Es traf die Löhne, die Pensen,
die Weiterbildungen oder die Pensionskassen der Staatsangestellten. «Die
Zitrone bei den Lehrern ist nach jahrelangen Sparübungen ausgepresst. Dennoch
müssen sie auch in den nächsten drei Jahren mit weiteren 240 Millionen Franken
Abbaumassnahmen rechnen», sagt Peterhans. Ab dem nächsten Jahr verschiebt sich
allerdings das Sparverhältnis. Künftig wird am meisten bei den
Unterrichtsbedingungen gespart. Dort werden bis 2018 mindestens 254 Millionen abgebaut
– das ist fast die Hälfte des in den Kantonen geplanten Sparbetrags von 536
Millionen Franken. Konkret bedeutet das Einschränkungen bei Förderangeboten für
schwache wie auch für besonders begabte Schüler, die Streichung von
Halbklassenunterricht, grössere Klassen oder einen radikalen Abbau bei
Freifächern und sogar bei einzelnen Pflichtfächern.
Aargau
spart bei Migranten
Im Aargau
trifft es das Fach «Deutsch als Zweitsprache». In den nächsten vier Jahren
sollen bei diesem Förderangebot für Kinder mit Migrationshintergrund rund 11
Millionen gespart werden. Das sei kontraproduktiv, sagt Kathrin Scholl,
stellvertretende Geschäftsführerin des Aargauer Lehrerverbands. Würden die
schwächsten Kinder ungenügend unterstützt, gefährde dies deren Integration ins
Schulsystem. Die Folge seien schulische und soziale Probleme.
Einen
Einschnitt soll es auch bei der Stundentafel der Aargauer Primarschüler geben.
Die Folge: Der Halbklassenunterricht wird stark eingeschränkt. Zudem werde es
in vielen Klassen nicht mehr möglich sein, ein Vollpensum zu unterrichten, sagt
Scholl. Um den Halbklassenunterricht zu retten, haben Bildungs- und Finanzpolitiker
eine neue Sparidee lanciert. Sie schlagen vor, den Englischunterricht an der
Primarschule in der 3. und der 4. Klasse zu streichen. Ein Teil der Befürworter
dieser Idee hofft, dass die Aargauer Schüler dafür ab dem Schuljahr 2020/21 in
der 3. Klasse mit Frühfranzösisch beginnen können. Der Grosse Rat
entscheidet voraussichtlich am 1. Dezember.
Es könnte
auch der Tag der Entscheidung für die Bildung im Kanton Luzern werden. Der
Luzerner Kantonsrat beginnt seine Beratungen zum Finanzplan am 30. November.
Die Regierung schlägt unter anderem vor, die Fachklasse Grafik, die als eine
der renommiertesten Kunstgewerbeschulen des Landes gilt, zu schliessen. Weiter
sollen die rund 20 000 Kantons- und Berufsschüler eine Woche mehr Ferien
beziehen. Und die Eltern von Mittelschülern sollen höhere Schulbeiträge zahlen
müssen.
Nicht nur
Luzern möchte die Eltern stärker zur Kasse bitten. Verschiedene Kantone wollen
nun die Kosten für den Musikunterricht an den Gymnasien auf die Eltern
abwälzen. Andernorts werden die Beiträge an Schullager gekürzt.
Im Kanton
Thurgau beschloss das Kantonsparlament vergangene Woche einen Gesetzesartikel,
der die Eltern fremdsprachiger Kinder betrifft. So können Schulen künftig einen
Teil der Kosten für die Deutschnachhilfe den Eltern verrechnen. Die Regelung
betreffe nur «besondere Fälle», heisst es bei der Thurgauer Bildungsdirektion
auf Anfrage: nämlich jene Eltern, die über längere Zeit die Möglichkeit gehabt
hätten, ihre Kinder vor dem Schuleintritt Deutsch lernen zu lassen. Im Thurgau
versteht man die Regelung nicht primär als Spar-, sondern als
«Integrationsmassnahme».
Nicht
immer erzielen die von der Politik beschlossenen Sparmassnahmen die
beabsichtigte Wirkung. Im Kanton Bern müssen derzeit 300 Vollzeitstellen auf
allen Schulstufen abgebaut werden. Dafür wurde mit dem Sparprogramm 2014 die
minimale Anzahl Schüler pro Klasse erhöht. Auf dem Land führte dies zu
Klassenschliessungen. Aber nicht nur: «Um dies zu verhindern, sparten die
Schulen anderswo und bauten zum Beispiel ihr Freifachangebot ab», sagt
Christoph Michel vom Verband Lehrerinnen und Lehrer Bern.
Lehrer
organisieren Protest
In vielen
Kantonen organisieren die Lehrerverbände derzeit Protestaktionen. Beraten die
Kantonsparlamente die Sparpakete, kommt es zu Demonstrationen. Die Baselbieter
Lehrer streben eine Musterklage gegen pauschale Lohnkürzungen an. Und in Luzern
haben die Lehrer die «Luzerner Allianz für Lebensqualität» mitbegründet. Diese
hat drei Volksinitiativen für den Erhalt des Service public in den Bereichen Bildung,
Gesundheit und öffentlicher Verkehr lanciert. Die Lehrpersonen müssten der
Öffentlichkeit klarmachen, dass derzeit ein Bildungsabbau im Gang sei, sagt
Franziska Peterhans. «Zahlen in einem Sparpaket sind eines. Dahinter sind aber
konkret Kinder, Eltern, Lehrpersonen, Gemeinden und die ganze Gesellschaft
betroffen», sagt sie.
Auch der
Politik mache das Sparen bei der Bildung keinen Spass, sagt der Präsident der
kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) und baselstädtische Bildungsdirektor
Christoph Eymann (LPS). In einigen Kantonen habe man lange versucht, die
Schulen zu schonen. «Nun ist der Druck zu gross geworden», sagt er. Als
EDK-Präsident stehe es ihm aber nicht zu, die einzelnen Sparmassnahmen in den
Kantonen zu beurteilen.
Besonders interessant ist zu sehen, wo nicht gespart wird.
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