"Passepartout" - ein pseudoakademischer Luftballon, Basellandschaftliche Zeitung, 21.11. von Felix Schmutz
Die Kritik am Französischlehrmittel «Mille
feuilles» reisst nicht ab. Davon unbeeindruckt wird das Projekt «Passepartout»
durchgedrückt. Die sechs Kantone an der französischen Sprachgrenze (BL, BS, SO,
BE, FR, VS) wollen damit ihren Fremdsprachenunterricht erneuern. Die
Verantwortlichen verweisen auf die angeblich «zeitgemässen»
Unterrichtskonzepte. Ein genauer Blick zeigt aber, dass die Fachleute aus
einseitigen Quellen schöpfen, unbewiesene Behauptungen aufstellen, Bewährtes
über Bord werfen und dem Projekt reformpädagogische Ideen unterjubeln.
Verbesserung des Unterrichts oder ideologiegefärbtes Methodendiktat?
Beispiel Mehrsprachigkeitsdidaktik: Das
Unwort verweist auf die Annahme, es sei leichter, mehrere Sprachen gleichzeitig
zu lernen, als sich nur auf eine neue zu konzentrieren. Es gebe
Synergie-Effekte, neue Kompetenzen. Angestrebt wird eine sogenannte
«funktionale Mehrsprachigkeit». Alle sollen sich in mehreren Sprachen der Spur
nach ein wenig ausdrücken können. Schüler sollen die Sprachen beim Lernen
ständig vergleichen.
Tatsächlich helfen Wortverwandtschaften und
ähnliche Strukturen, Fremdsprachliches leichter zu verstehen und sich
einzuprägen. Ist das neu? Nein, solche Beobachtungen gehörten schon immer zum
Unterricht. Ist damit viel gewonnen? Nein, denn die Ähnlichkeit sagt noch
nichts aus über den Gebrauch der Wörter in den jeweiligen Sprachen. Dieser
folgt spracheigenen Regeln, die unabhängig gewachsen sind. In unkundigen Händen
führen Sprachvergleiche leicht zu Irrtümern und Verwechslungen. Im besten Fall
entsteht theoretisches Wissen, das sich nicht in die praktische Anwendung
übertragen lässt. Der Weg über die «Mehrsprachigkeit» dürfte eher überfordern.
Das Ganze ist ein pseudoakademischer Luftballon.
Ein anderes Konzept von «Passepartout» ist
der Konstruktivismus, wonach nur gelernt werden kann, was jedes Gehirn sich
selbst zusammenbaut, indem es das Neue mit Bekanntem verknüpft. Das Eintauchen
in die Fremdsprache («Sprachbad») soll diese Konstruktion anregen. Authentische
Texte, offene Arbeitsaufträge für Gruppenaktivitäten und wenig direkte
Intervention der Lehrperson genügten, um die Sprache quasi automatisch zu
lernen, wobei Fehler als natürliche Schritte auf dem Lernweg stehen bleiben
dürfen.
Dies ist aus mehreren Gründen illusorisch:
Erstens ist im Schulalter die Zeit des «natürlichen» Lernens der Muttersprache
längst vorbei, es muss jetzt bewusst gelernt werden. Zweitens besteht das
Handicap, dass Kinder die Fremdsprache nicht im Sprachgebiet, sondern hier im
Klassenzimmer unter ihresgleichen während nur zwei bis drei Lektionen pro Woche
lernen müssen. Drittens besteht das Lernen nicht nur aus Konstruieren. Der
Zusammenbau der neuen Kenntnisse ist zwar ein wichtiger Teil des Prozesses,
aber nicht der ganze: Es müssen auch neue klangliche Wortformen und Satzmuster
aufgenommen werden, die Lernende mit nichts Bekanntem verknüpfen können.
Das Neue muss ferner memoriert und vielfältig
geübt werden, damit sich im Gehirn Gedächtnisspuren bilden können, die erst
flüssiges Reden ermöglichen. Viertens sollen die Lernenden die Sprache nicht
neu konstruieren, sondern eine existierende Sprache übernehmen, sich in sie
hineindenken, sich an sie anpassen. Das bedeutet Erweiterung der eigenen
Identität. Fünftens können sich Fehler einbrennen und sind kaum mehr
wegzukriegen, wenn sie nicht sofort verständnisvoll, aber konsequent korrigiert
werden.
Die Didaktiker von «Passepartout» sind der
Meinung, es brauche kein grammatikalisches Gerüst, da sich die Formen nach
universal gültigen Prinzipien mit der Zeit von selbst einstellten. Tatsache ist
jedoch, dass in der Forschung die Meinung vorherrscht, eine sorgfältig
aufgebaute Instruktion vom Einfachen zum Schwierigen unterstütze und
beschleunige diese mentale Eigentätigkeit. Instruktion heisst nicht stures
Büffeln, sondern Erklären und inhaltlich sinnvolles Üben. Das alleine böte
genügend Stoff für Unterrichtsverbesserung.
Schliesslich ergänzt «Passepartout» die
genannten Konzepte durch modische Reformpädagogik: individualisiertes Lernen,
Vermeidung des gemeinschaftlichen Unterrichts (verteufelt als
Frontalunterricht), Abgabe der Unterrichtsverantwortung an interaktive
Lerngruppen, Propagierung des Medieneinsatzes und der Selbstbeurteilung. All
dem ist gemeinsam, dass Lehrpersonen nicht mehr in direkten Kontakt mit der
ganzen Gruppe treten sollen, obwohl man weiss, dass Sprache sich am besten von
kompetenten Vorbildern lernen lässt.
Der Autor (64) war 38 Jahre
Lehrer für Deutsch, Französisch und Englisch an der Sekundarstufe I in Basel
(bis 2011). Er verfasste eine Analyse zur Schulreform in Basel.
Mir aus der Seele gesprochen! Insbesondere die Bezeichnung "pseudoakademischer Luftballon" trifft den Nagel auf den Kopf. Da werden nicht mehr ganz junge Thesen zur Didaktik der Mehrsprachigkeit plötzlich zu Studienergebnissen befördert und die Schulen einer ganzen Sprachregion zu Versuchslabors.
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