Die grosse "Reformitis": Umstrittene Reformen in Schweizer Schulen, Sonntagszeitung, 29.11.
Lesen durch Schreiben
«Lesen durch Schreiben» wurde Anfang der
1980er-Jahre vom Schweizer Reformpädagogen Jürgen Reichen entwickelt. Es lässt
Kinder individuell und nach eigenem Tempo das Schreiben lernen.
Rechtschreibregeln werden erst später gelernt. Das führt zu teils
katastrophalen Resultaten, vor allem schwache Schüler leiden darunter. Ähnlich
ist die Kritik gegenüber dem Konzept «Schreiben nach Gehör».
Integrative Schulung
Seit gut zehn Jahren gilt das Prinzip, Kinder
mit Behinderungen oder mit Lernschwierigkeiten nicht mehr in Sonder- und
Kleinklassen zu unterrichten, sondern möglichst in die Regelklassen zu
integrieren. Die anfängliche Begeisterung ist verflogen. Weil die Integration
vielerorts Teil einer Sparübung war, fehlen nun oft die nötigen Ressourcen.
Mengenlehre
«Wenn drei Leute im Raum sind und fünf
rausgehen, dann müssen zwei hinein, damit der Raum wieder leer ist.» – Die
Mengenlehre sollte den Mathematikunterricht in den 1970er-Jahren
revolutionieren, trieb Schü- ler und Eltern aber eher zur Verzweiflung. Die
Reform erreichte keines der versprochenen Ziele und wurde nach und nach aus den
Schulzimmern verbannt.
Altersdurchmischtes Lernen
Statt in Jahrgangsklassen sollen die Schüler
in altersdurchmischten Klassengemeinschaften lernen, also werden zwei oder drei
Klassen im gleichen Schulzimmer unterrichtet. Was von den Behörden als modern
und pädagogisch fortschrittlich gelobt wird, entpuppt sich in der Praxis meist
als Sparübung mit schwerwiegenden Problemen für Schüler und Lehrer.
Pisa
2001 veröffentlichte die OECD ihren ersten
internationalen Vergleich des Lernerfolgs. So lassen sich die Leistungen von
Schülern aus Arbon am Bodensee bis Zara in der Türkei simpel auf einer
eindimensionalen Skala abbilden. Erfahrungen mit der Testresultat-gesteuerten
Bildungspolitik in den USA sind allerdings schlecht.
Frühe Sprachförderung
Frühenglisch oder Frühfranzösisch stehen in
den Bildungsbürokratien hoch im Kurs. Doch die hohen Erwartungen konnten nicht
erfüllt werden. Untersuchungen zeigen, dass der Vorsprung der Kinder mit frühem
schulischem Fremdsprachenunterricht nach kürzester Zeit verschwindet und dass
ein konzentrierter, späterer Fremdsprachenunterricht mehr bringen würde.
Harmos
Mit der Interkantonalen Vereinbarung über die
Harmonisierung der obligatorischen Schule, kurz Harmos, werden die kantonalen
Schulsysteme einheitlicher geregelt. Für Familien mit schulpflichtigen Kindern
soll damit der Umzug von einem Kanton in einen anderen einfacher werden. Dieses
Ziel wurde verfehlt, da sich die Deutschschweizer Kantone beim
Fremdsprachenunterricht nicht einigen konnten.
Lehrerinnen und Lehrer
«Die Schulen sind nicht so gut wie ihre
Reformen, sondern so gut wie ihre Lehrer», sagt Rolf Dubs, ehemaliger Professor
für Wirtschaftspädagogik. Obwohl wissenschaftlich erwiesen ist, dass die
Lehrpersonen hauptsächlich für den Lernerfolg der Schüler verantwortlich sind,
kümmern sich die meisten Reformen um alles andere als um die Lehrer. Im
Lehrplan 21 werden sie zu Lerncoaches degradiert, fürchten viele Lehrer.
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