26. September 2015

Das Volk soll entscheiden

Nein, es pressiert überhaupt nicht. Die Eile, mit der die Schule an allen Ecken und Enden reformiert werden soll, ist nicht nachvollziehbar. Die Schule steckt nicht in einer Krisensituation, aus der sie sofort herausgeführt werden muss. Es ist keineswegs dringlich, den Lehrplan 21 bereits gestern einzuführen.










Lehrplan 21 als grosse Testmanufaktur, Bild: SRF
Das letzte Wort den Volksvertretern, Basler Zeitung, 26.9. Kommentar von Thomas Dähler


Das Lamento über die «Planungs­sicherheit», die für die Baselbieter Volksschule fehlt und dringend wieder hergestellt werden muss, ist nicht mehr als eine unnötige Aufregung von Bürokraten. Der Landrat hat sich diese Woche davon nicht beirren lassen und auf das kommende Jahr eine Volksabstimmung über den Lehrplan 21 angesetzt. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb das Volk nichts zur Volksschule zu sagen haben soll. Bei der Abstimmung im kommenden Winter oder Frühjahr wird es darum gehen, ob der Lehrplan 21 im Baselbiet von einem Expertengremium oder von den Volksvertretern in Kraft gesetzt werden soll.
Dies entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Der Lehrplan 21 ist ein Werk, das von Experten entworfen wurde und nun Schritt für Schritt zu einem praxis­tauglichen Kompass umgestaltet werden muss. Anfänglich war es überhaupt ausgeschlossen, die Entstehung des Lehrplans 21 öffentlich zu machen. Die mit der Ausarbeitung beauftragten Bildungsexperten hatten die Entwürfe vorerst eifrig geheim gehalten, damit nicht vorzeitig ein öffentlicher Diskurs vom Zaun gebrochen wurde. Doch die Quittung folgte auf dem Fuss: Bei der Vernehmlassung erntete das monströse Expertenwerk auf breiter Front Kritik. Inzwischen haben die Deutschschweizer Erziehungsdirektoren eine korrigierte Version abgesegnet, von Ideologien weitgehend befreit und umfangmässig entschlackt.
Ob die jetzt gültige Version aber die definitive ist, kann noch nicht abgeschätzt werden. Schon nur deswegen ist es nicht zielführend, die Einführung möglichst schnell zu verfügen. Es ist gut möglich, dass die nach wie vor breite Opposition in vielen Kantonen dazu führt, dass der Lehrplan 21 noch einmal überarbeitet werden muss. Eines ist inzwischen klar: Als klassische Anleitung an die Lehrkräfte ist er untauglich. Mehr als ein übergeordneter Kompass ist er nicht. Es wäre durchaus sinnvoll, das Werk noch weiter nachzubessern und statt nur intellektuell formulierte Zielsetzungen auch einige konkrete Lerninhalte zu verankern. Lerninhalte würden, wie einst angestrebt, die Schulwechsel von Kanton zu Kanton erleichtern.
Auch in der jetzt freigegebenen Form ladet der Lehrplan 21 die Schulen vor allem ein, mit regelmässigen Tests zu kontrollieren, ob vorgegebene Ziele erreicht sind. Auch bei den Baselbieter Primarlehrern wurde bereits der Ruf nach zentralen Checklisten für Lehrplan-21-kompatible Schülerbeurteilungen laut. Doch glücklicherweise prägen noch keine jährlichen Kompetenzstufen den Schulalltag. Wenn Bildungsdirektorin Monica Gschwind diese Woche an der Versammlung des Lehrervereins dazu aufrief, Beurteilungskriterien frei und individuell festzulegen, weist dies immerhin auf einen erfrischend pragmatischen Umgang mit dem nationalen Schulkompass hin.
Nichts wäre verheerender als eine gleichgeschaltete Beurteilungsbürokratie, die den Lehrkräften die Möglichkeiten eines individuellen Unterrichts nimmt und sie stattdessen zur blossen Lernaufsicht verpflichtet. Deshalb ist es auch zu begrüssen, wenn die Entscheide zum Lehrplan 21 von Volksvertretern statt von Bildungsexperten gefällt werden. Damit steigt die Chance, dass der Lehrplan 21 nur freigegeben wird, wenn er mit den nötigen Ergänzungen für den Schulalltag versehen ist. Diese müssen keineswegs neu erfunden werden, denn die Baselbieter Schulen haben schon bisher Kenntnisse vermittelt, die den Schülerinnen und Schülern zu den nötigen Fähigkeiten verholfen haben, später das private und berufliche Leben erfolgreich zu gestalten. Ohne praktische inhaltliche Ergänzungen ist der Lehrplan 21 nicht anwendbar.
Es ist bedauerlich, dass auf der politischen Ebene die Schulreformen zum Zankapfel zwischen links und rechts verkommen sind. Zwar ist es nachvollziehbar, dass im Schulalltag gesellschaftliche Sozialisierung und Leistungsorientierung gegeneinander abgewogen werden müssen. Doch wenn Schule Lebensschule sein will, braucht es beides. Wer die Leistungsorientierung geringschätzt und die Schulniveaus auf der Sekundarstufe verwässert, behindert die Schülerinnen und Schüler auf ihrem Weg in den beruflichen Alltag.

Deshalb muss auch verhindert werden, dass der Nivellierung Tür und Tor geöffnet wird. Auf die obligatorische Schulbildung folgt die Ausbildung an einer weiterführenden Schule oder die Berufslehre. Die Volksschule ist darauf auszurichten, dass sich die Jugendlichen für unterschiedliche Zukunftsperspektiven entscheiden. Wenn die Aussicht auf eine bessere politische Abstützung dazu beiträgt, dass die Schule den Bezug zur Realität nicht verliert, kann dies auch den Bildungsexperten nur recht sein.

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