11. August 2015

"Homeschooling gefährdet die soziale Durchmischung"

Immer mehr Eltern wollen ihre Kinder selber unterrichten. Ihr Argument: In der Schule wird gemobbt, geschlagen und die Lehrperson - die ist sowieso schlecht. Allan Guggenbühl bestreitet das nicht, verweist aber auf die Vorteile unserer Volksschule.




Freundschaften bilden sich in der Schweiz meistens in der Schule, Bild: Keystone

"Zunahme von Heimunterricht ist nicht gut für die Gesellschaft", SRF, 10.8. von Beni Frenkel


SRF News: Herr Guggenbühl, warum unterrichten so viele Eltern ihre Kinder zu Hause?
Allan Guggenbühl: Die Schule ist eine riesige Herausforderung für das Kind und seine Eltern. Da ist es lärmig, da gibt es Mobbing. Und dann kommen immer wieder neue Lehrpersonen. Viele Eltern wollen das ihren Kindern ersparen.
Was ist eigentlich das Argument für die Volksschule?
Freundschaften! Die bilden sich in der Schweiz meistens in der Schule. Das ist den Kindern, die von Mutter und Vater unterrichtet werden, vorenthalten. Was auch immer wieder untergeht: Die Erfahrungen mit Gleichaltrigen und Auseinandersetzungen mit den Lehrpersonen sind fast wichtiger als der Lernstoff – das Gespräch zu zweit beim Rektor nach einem Vorfall oder der Streit in der Pause.
Man kann die Kinder ja auch in die Pfadi oder zum Fussball schicken.
Aber das kommt nicht an den Schulalltag heran. Die Pfadi oder das Fussballtraining wird nur einmal die Woche abgehalten, für ein paar Stunden. Aber die Schule erfüllt ja mehr als nur Freundschaftsbildungen. An Konflikten mit den Lehrern oder mit dem Unterrichtsstoff reift das kindliche Gemüt. In der Wissenschaft spricht man in diesem Zusammenhang von Resilienz. Das Sprichwort ist dabei schon fast plakativ, in diesem Zusammenhang hat es aber seine Berechtigung: «An Schwierigkeiten wächst man.»
Es gibt aber auch Eltern, die ihre Kinder einfach länger bei sich haben möchten. Ist das verwerflich?
Nein, sicher nicht. Aber wenn Kinder so lange den Eltern «ausgesetzt» sind, schafft das auch Probleme. Eine zu enge Bindung ist nicht gesund, wenn es aus äusseren Gründen nicht anders geht. Auch aussenstehende Bezugspersonen sind enorm wichtig in der Entwicklung eines Kindes. In sehr vielen Fällen sind es Lehrer oder die Lehrerin, die auf verborgene Talente aufmerksam machen.
Aber es gibt ja auch schlechte Lehrpersonen.
Die gibt es, klar. Ich war kürzlich am Geburtstag eines 70-Jährigen. Er hat sich beklagt über einen Lehrer in der Primarschule! Er, also das Geburtstagskind, hatte die Angewohnheit, dem Lehrer nicht in die Augen zu schauen. Und das hat der Lehrer jedes Mal heftig kritisiert!
Ein schlimmer Lehrer?
Das ist nicht gesagt. Dank dem Lehrer wurde dem Mann bewusst, wie sein Verhalten wahrgenommen wird. Solche Erfahrungen, die nicht immer angenehm sind, sind auch wichtig und werden in der Schule gemacht. Man erlebt den Menschen in seiner Komplexität und Widersprüchen.
Ist wenigstens die Phase der Pubertät für solche Eltern «erträglicher»?
Wohl kaum. Ich kann mir gut vorstellen, dass Homeschooling bis zur Vorpubertät einigermassen funktioniert. Nachher drohen Gegenreaktionen: Junge Heranwachsende entwickeln eine Faszination für die Subkultur ihrer Altersgruppe. Sie realisieren, dass gemeinsamer Schulbesuch zu Cliquen und Freundschaften führt und fühlen sich ausgeschlossen. Sie möchten unbedingt dazugehören und beteiligen sich darum an jedem Blödsinn. Das ist der grosse Unterschied zu den Outbacks in Australien, wo Homeschooling eine Notwendigkeit ist. Die Jugendlichen fühlen sich nicht ausgeschlossen, da es in ihrer unmittelbaren Umgebung keine Peergruppen gibt.
Fakt ist aber, dass immer mehr Eltern ihre Kinder beschulen. Was bedeutet das für die Gesellschaft?
Wenn Homeschooling zunimmt, ist das nicht gut für die Gesellschaft. Durch die Schule haben Kinder mit verschiedenen sozialen Kreisen und Schichten zu tun. Homeschooling würde bedeutet, dass man sich lediglich der eigenen Schicht anpasst, die soziale Durchmischung wäre gefährdet und die Schichtunbildung in der Gesellschaft wird gefördert.


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