Freundschaften bilden sich in der Schweiz meistens in der Schule, Bild: Keystone
"Zunahme von Heimunterricht ist nicht gut für die Gesellschaft", SRF, 10.8. von Beni Frenkel
SRF News: Herr Guggenbühl, warum unterrichten so
viele Eltern ihre Kinder zu Hause?
Allan Guggenbühl: Die Schule ist eine riesige
Herausforderung für das Kind und seine Eltern. Da ist es lärmig, da gibt es
Mobbing. Und dann kommen immer wieder neue Lehrpersonen. Viele Eltern wollen
das ihren Kindern ersparen.
Was ist eigentlich das Argument für die
Volksschule?
Freundschaften! Die bilden sich in der Schweiz
meistens in der Schule. Das ist den Kindern, die von Mutter und Vater
unterrichtet werden, vorenthalten. Was auch immer wieder untergeht: Die
Erfahrungen mit Gleichaltrigen und Auseinandersetzungen mit den Lehrpersonen
sind fast wichtiger als der Lernstoff – das Gespräch zu zweit beim Rektor nach
einem Vorfall oder der Streit in der Pause.
Man kann die Kinder ja auch in die Pfadi oder zum
Fussball schicken.
Aber das kommt nicht an den Schulalltag heran. Die
Pfadi oder das Fussballtraining wird nur einmal die Woche abgehalten, für ein
paar Stunden. Aber die Schule erfüllt ja mehr als nur Freundschaftsbildungen.
An Konflikten mit den Lehrern oder mit dem Unterrichtsstoff reift das kindliche
Gemüt. In der Wissenschaft spricht man in diesem Zusammenhang von Resilienz.
Das Sprichwort ist dabei schon fast plakativ, in diesem Zusammenhang hat es
aber seine Berechtigung: «An Schwierigkeiten wächst man.»
Es gibt aber auch Eltern, die ihre Kinder einfach
länger bei sich haben möchten. Ist das verwerflich?
Nein, sicher nicht. Aber wenn Kinder so lange den
Eltern «ausgesetzt» sind, schafft das auch Probleme. Eine zu enge Bindung ist
nicht gesund, wenn es aus äusseren Gründen nicht anders geht. Auch
aussenstehende Bezugspersonen sind enorm wichtig in der Entwicklung eines
Kindes. In sehr vielen Fällen sind es Lehrer oder die Lehrerin, die auf
verborgene Talente aufmerksam machen.
Aber es gibt ja auch schlechte Lehrpersonen.
Die gibt es, klar. Ich war kürzlich am Geburtstag
eines 70-Jährigen. Er hat sich beklagt über einen Lehrer in der Primarschule!
Er, also das Geburtstagskind, hatte die Angewohnheit, dem Lehrer nicht in die
Augen zu schauen. Und das hat der Lehrer jedes Mal heftig kritisiert!
Ein schlimmer Lehrer?
Das ist nicht gesagt. Dank dem Lehrer wurde dem
Mann bewusst, wie sein Verhalten wahrgenommen wird. Solche Erfahrungen, die
nicht immer angenehm sind, sind auch wichtig und werden in der Schule gemacht.
Man erlebt den Menschen in seiner Komplexität und Widersprüchen.
Ist wenigstens die Phase der Pubertät für solche
Eltern «erträglicher»?
Wohl kaum. Ich kann mir gut vorstellen, dass
Homeschooling bis zur Vorpubertät einigermassen funktioniert. Nachher drohen
Gegenreaktionen: Junge Heranwachsende entwickeln eine Faszination für die
Subkultur ihrer Altersgruppe. Sie realisieren, dass gemeinsamer Schulbesuch zu
Cliquen und Freundschaften führt und fühlen sich ausgeschlossen. Sie möchten
unbedingt dazugehören und beteiligen sich darum an jedem Blödsinn. Das ist der
grosse Unterschied zu den Outbacks in Australien, wo Homeschooling eine Notwendigkeit
ist. Die Jugendlichen fühlen sich nicht ausgeschlossen, da es in ihrer
unmittelbaren Umgebung keine Peergruppen gibt.
Fakt ist aber, dass immer mehr Eltern ihre Kinder
beschulen. Was bedeutet das für die Gesellschaft?
Wenn Homeschooling zunimmt, ist das nicht gut für
die Gesellschaft. Durch die Schule haben Kinder mit verschiedenen sozialen
Kreisen und Schichten zu tun. Homeschooling würde bedeutet, dass man sich
lediglich der eigenen Schicht anpasst, die soziale Durchmischung wäre gefährdet
und die Schichtunbildung in der Gesellschaft wird gefördert.
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