Sommer ist
Bücherzeit. Fräulein gehört bei mir ebenso dazu wie Philipp Thers Buch über die
neoliberale Ordnung des europäischen Kontinents. Letzteres hab ich für ein
österreichisches Magazin mit «Titten aus Zement», mit einem Essay über Frauen
im Neoliberalismus, ergänzt. Dabei fiel mir wieder Adornos «Minima Moralia» in
die Hand–ein poetisch philosophisches Must für alle Menschen, die sich in der
Politik umtreiben. Auf Seite 223 beispielsweise steht meine Randnotiz: «Kritik
Adornos an Bologna». Nun muss man wissen, dass «Bologna» für Adorno damals
einfach eine Stadt in Norditalien war.
Minima Moralia heute, Basler Zeitung, 21.7. von Regula Stämpfli
So ist es gewissermassen keck, auf Seite
223 bei Adorno eine Kritik «avant la lettre» der Bildungsrevolution im 21.
Jahrhundert vorwegzunehmen. Nichtsdestotrotz funktioniert dies prächtig: «So
unterwirft Denken sich der gesellschaftlichen Leistungskontrolle nicht dort
bloss, wo sie ihm beruflich aufgezwungen wird, sondern gleicht seine ganze
Komplexion ihr an.» Schon seit Längerem werde ich durch einen klugen
Zeitgenossen bestürmt, doch endlich Stellung gegenüber der Reformhektik im
öffentlichen Schulwesen zu beziehen. Dies tue ich nun gerne mit Adorno. Der
Lehrplan 21, ein bürokratisches, neoliberales Ungetüm, das den einfachen Wunsch
von Eltern, die Lehrzeiten und pläne so anzugleichen, dass sie auch mal mit schulpflichtigen
Kindern umziehen dürfen, brutal mit monströser Antipädagogik erschlägt. Alain
Pichard und Beat Kissling, die mutigen Organisatoren des Widerstands, bringen
Lehrplan 21 auf den Punkt: Es handelt sich um das Regime der «Marginalisierung
von Lehrpersonen zugunsten technokratischer Managementregimes». Also kurz: Hört
endlich auf und hört hin. «Auch wo es nichts zu knacken gibt, wird Denken zum
Training auf irgend abzulegende Übungen», meint Adorno weiter. Mit anderen Worten:
Das Denken verliert seine Autonomie und seine Freiheit. Es entsteht mehr und
mehr ein intellektueller Habitus des neopositivistischen Formalismus, sodass
jeder Gedanke entweder zum Quiz oder zur simulierten Informiertheit
degeneriert. «Irgendwo müssen die richtigen Antworten schon verzeichnet stehen»,
beschreibt Adorno dieses «wishful thinking». Denken heisst so nichts anderes
mehr, als in jedem Augenblick darüber zu wachen, ob man auch stromlinienförmig
denken kann. So geht das Denken wie von sich selbst zugrunde, ohne dass dies
die Denkenden überhaupt noch zu denken wagen. Kinder, die bekanntlich oft die
besseren, klareren Fragen noch zu denken wagen, sollen also nun mit Lehrplan 21
zugeschnitten werden. Lehrplan 21 zielt dahin, die Urteilskraft durch die
Schwächung jedes Ichs aufzulösen. Denn gefestigte Ichs sind frei. Und damit
eine Gefahr für die Herrschenden. Wer Leere und Mechanik in einen für alle
gültigen Lehrplan presst, konstruiert einen Bildungsmarsch hinter den neuen
Götzen unkritischer Technik. Aber es passt in den Trend verstaatlichter
Information, zu dem das Volk überdies noch Ja gesagt hat. Dazu gehört auch die
Zerstörung klassischer, unnützer Sprachen, als ob Verständlich oder
Nützlichkeit wichtig fürs freie Denken wären! Unter dem Deckmantel von
Gleichheit wird dann Gleichförmigkeit gelehrt, scheusslich. Also. Es ist
Sommerzeit, die uns auffordert, sich der manchmal fast unerträglichen Hitze
hinzugeben. Und sei es auch nur, um immer wieder Nein zu sagen im Garten
eigener heisser, wilder Gedanken.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen