10. August 2015

22 Fragen zum Schulanfang

Blick stellt 22 Fragen zum Schulanfang und bekommt mehr oder weniger gute Antworten darauf.

1. Welche Klassengrösse bietet das beste Lernumfeld?
Die Grösse der Klasse ist gar nicht so entscheidend, weil viele Schüler nicht besser werden, wenn die Klassen kleiner sind. Insbesondere die lernschwächeren, aber auch die stärksten Schüler gewinnen nichts durch eine Verkleinerung der Klassen. Im Gegensatz dazu hilft aber die Bereitstellung zusätzlicher Hilfslehrer genau den schwächsten Schülern am meisten. Den nachhaltigsten positiven Effekt hat der Unterricht bei erfahrenen Lehrern, und zwar unabhängig von der Klassengrösse. Eine generelle Reduktion der Klassengrösse ist also nicht nur eine ineffektive und teure, sondern gleichzeitig auch eine gefährliche Massnahme – weil es gar nicht genügend erfahrene und gute Lehrer gäbe, wenn die Klassen verkleinert würden.
– Uschi Backes-Gellner und Simone Balestra, Bildungsökonomen an der Universität Zürich
22 Fragen zum Schulanfang, Blick, 10.8.



2. Soll man Knaben und Mädchen zeitweise separat unterrichten?
Menschen sollten niemals aufgrund ihrer biologischen Eigenschaften zusammengerückt werden, sondern aufgrund ihrer Interessen und Ziele. Besser, als geschlechtsspezifische Klassen zu bilden, wäre es, Themen und Fächer zur Auswahl zu stellen, um jedes Mädchen und jeden Jungen, ausgehend von seinen persönlichen Vorlieben, entscheiden zu lassen. Das ist noch lange keine Gleichmacherei. Die geschlechtlichen Unterschiede kann man doch bestens auf dem Pausenhof leben, wo man lustvoll miteinander flirtet, ganz egal ob hetero, schwul oder lesbisch.
– Güzin Kar, Autorin, Kolumnistin und Filmerin

3. Braucht jedes Schulkind einen Computer oder ein Tablet?
Keine schlechte Idee. Aus der Sicht der Forschung ist es zum Beispiel sinnvoll, einen Computer samt Software zum Schreiben zu nutzen. Der Wechsel zum digitalen Schreibwerkzeug führt zu vielen Verbesserungen – gerade bei schwach schreibenden Kindern. Ihre Texte sind inhaltlich besser, länger, besser strukturiert und orthografisch korrekter. Ausserdem erhöht der Computereinsatz die Schreibmotivation. Aber Achtung: Der Computer ersetzt nicht das Schreiben mit Hand und Stift, sondern er baut darauf auf. Flüssig und leserlich mit der Hand zu schreiben, ist bei jungen Kindern wichtig für die Textqualität und die Motorik. Und das ist es auch später: Forschende haben herausgefunden, dass bei Studierenden die Examensnoten bei Prüfungen mit Zeitlimit davon abhängen, wie zügig und lesbar sie das Alphabet schreiben können.
– Maik Philipp, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum Lesen der Fachhochschule Nordwestschweiz

4. Was würden Sie als Erstes ändern, wenn Sie das Schweizer Schulsystem reformieren müssten?
Als ehemaliger Lehrer bin ich klar gegen Reformitis in der Bildung. Aus meiner Sicht braucht es vorerst einmal eine Phase der Ruhe in den Schulen. Mit dem Lehrplan 21 in der deutschsprachigen Schweiz und dem Plan d’études romande in der Westschweiz sind die wichtigsten Schritte zu einer Harmonisierung in den Schulen getan. Nun geht es darum, diese Lehrpläne richtig umzusetzen. Das braucht Zeit und auch Geld. Jetzt bereits wieder von einer Schulreform zu sprechen, wäre total falsch. Deshalb beantworte ich Ihre Frage klar mit: Nichts.
– Matthias Aebischer, SP-Nationalrat und Präsident der nationalrätlichen Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur

5. Eltern geben viel Geld für den Nachhilfeunterricht ihrer Kinder aus. In welchen Fällen ist dies nutzlos?
Nachhilfe für den Nachwuchs gehört in etwa jeder dritten Familie zum Alltag. Jährlich geben Eltern zwischen 100 und 300 Millionen Franken dafür aus. Meist geht es nicht darum, Schwächen in einem Fach auszumerzen, sondern um den Wunsch nach guten Noten. Denn der Sprössling soll den Sprung ins Gymi schaffen oder nicht hinausfliegen. Diese Art von Lerndoping ist höchst problematisch, weil Kinder oft unter psychischem Druck versuchen, solche Ziele der Eltern zu befriedigen, und sich nicht getrauen zu rebellieren. Die Rebellion kommt oft später, etwa in Form psychischer Probleme oder eines Studienabbruchs.
– Margrit Stamm, Erziehungswissenschaftlerin

6. Jammern Lehrpersonen zu viel?
Zuerst: Jammern ist gut für die Psychohygiene. Haben Sie sich schon mal im Tram oder Bus umgehört? Da wird gejammert, was das Zeug hält! Jammern ist eine Form des Austausches, der Anteilnahme verlangt. So ist es nur logisch, dass auch Lehrpersonen jammern – die einen mehr, die andern weniger. Da jeder mal selbst zur Schule gegangen ist, meinen viele, Experte in der Sache zu sein und beurteilen zu können, wie viel Jammern den Lehrpersonen zusteht. Aber Lehrer haben einen anforderungsreichen Job, der in den letzten Jahren sicher nicht einfacher geworden ist. Wenn sie also ab und zu mal jammern – na und? Doch: Irgendeinmal muss es aufhören – sonst verpufft der Inhalt des Jammerns.
– Barbara Leu, Psychotherapeutin und Coach bei ask! – Beratungsdienste für Ausbildung und Beruf Aargau

7. Viele Kantone unterrichten schwache Schüler im Sinne der integrativen Schule in einer Regelklasse und nicht in einer Sonderschule. Gilt der Grundsatz «Integration um jeden Preis» immer?
Nein, nicht Integration um jeden Preis, aber wenn immer möglich. Ausschlaggebend ist die Gesamtsicht auf das Kind – die Klasse, die Schule und sein familiäres Umfeld. Praktische Gründe können gegen einen integrativen Rahmen sprechen. Wenn ein Kind verschiedene Therapien braucht, finde ich es kräfteschonender, wenn diese an einem Ort stattfinden. Kommt eine ganze Schulklasse zu kurz, weil ein einzelnes Kind sehr viel Aufmerksamkeit braucht, würde ich zum Besuch einer Sonderschule raten. Der gemeinsame Unterricht sollte die Regel, die Sonderschulung die – begründete – Ausnahme sein.
– Beatrice Kronenberg, Direktorin des Schweizer Zentrums für Heil- und Sonderpädagogik

8.Wieso braucht es Religionsunterricht in der Schule?
Es ist unerlässlich, dass man unseren Schulkindern ein Wertesystem vermittelt. Die christliche Religion vertritt das Konzept der bedingungslosen und transzendenten Nächstenliebe. Das ist Nahrung für den Geist und die Seele. Eine solche Grundlage verhindert, dass unsere Kinder das Opfer von Sekten, Drogen und Depression werden oder in den Dschihad ziehen. Es geht dabei weder um engstirnige Dogmatik noch um oberflächliches Berieseln, sondern darum, unseren Kindern die Grundwerte unseres Rechtssystems und unserer Zivilisation zu vermitteln.
– Oskar Freysinger, SVP-Nationalrat, Walliser Staatsrat und ehemaliger Gymnasiallehrer

9. Je nach Kanton gibt es in den ersten Schuljahren keine Noten, sondern einen Lernbericht. Anthroposophisch geprägte Schulen verzichten während der Primarschulzeit ganz auf Noten. Welcher Weg ist sinnvoll?
In der Schule geht es um Leistung, und Noten sind ein Weg, diese zu messen und vergleichbar zu machen. Es ist immer problematisch, wenn man aufgrund einer Machtposition kategorische Urteile über Mitmenschen fällt, Ungerechtigkeiten sind nicht zu verhindern. Anderseits fühlen sich viele Kinder wegen der Notengebung ernst genommen und haben das Gefühl, wirklich in der Schule zu sein. Noten täuschen Objektivität vor. Das ist der Vorteil gegenüber sprachlichen Regelungen, bei denen Kinder das Gefühl haben, der Willkür der Lehrperson ausgesetzt zu sein. Wenn eine Schule Noten erteilt, dann ist es ehrlicher, wenn sie es von der ersten Klasse an tut.
– Allan Guggenbühl, Kinder- und Jugendpsychologe

10. Warum lernen die Kinder nicht in allen Kantonen das Gleiche?
Was in der Schule gelernt wird, steht in den kantonalen Lehrplänen. Diese sind bis anhin unterschiedlich. Doch das wird sich ändern: Mit dem Lehrplan 21, der in allen deutschsprachigen Kantonen eingeführt werden soll und von diesen gemeinsam entwickelt worden ist, werden die Ziele der Volksschule in der Deutschschweiz harmonisiert. Neu lernen alle Kinder in allen Kantonen das Gleiche. Unterschiedlich bleiben nur regionale Besonderheiten. So wird zum Beispiel in den an die Westschweiz angrenzenden Kantonen als erste Fremdsprache Französisch und in den übrigen Kantonen Englisch unterrichtet. Ein gemeinsamer Lehrplan erleichtert den Wohnortswechsel von Familien mit schulpflichtigen Kindern.
– Stefan Kölliker, Vorsteher des Bildungsdepartements des Kantons St. Gallen und Vorstandsmitglied der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren

11. Die Schule beginnt oft zwischen 7.30 und 8 Uhr. Das entspricht nicht der biologischen Uhr von Kindern und Jugendlichen. Was ist zu tun?
Wir haben in Dänemark in den letzten zehn Jahren viele Experimente gemacht mit der Startzeit des Unterrichts. Manche Gymnasien haben ihr Schulprogramm dem Biorhythmus der Jugendlichen angepasst und starten am Morgen eine Stunde später, also um neun Uhr. Das hat sich als sehr sinnvoll erwiesen, die Produktivität der Jugendlichen hat sich erhöht. Mit Kindergärtlern und Primarschülern gab es noch keine Experimente, weil da die Situation komplizierter ist: Sie sind am Morgen noch abhängiger vom Zeitplan der Eltern, die vielleicht früh arbeiten gehen wollen und die Kinder zum Beispiel in die Schule fahren.
– Jesper Juul, dänischer Familientherapeut und Bestsellerautor

12. Wozu braucht es noch Schulzimmer, wenn der Unterricht via Skype stattfinden könnte?
Die Schule muss Kindern ausser Wissen mündliche Ausdrucksfähigkeit, soziale Umgangsformen und Schweizer Tugenden wie Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit beibringen. Dafür muss man sich in die Augen schauen können; ein Blickaustausch ist für das Lernen wichtiger als hundert Klicks auf dem PC. Soziales Lernen findet in der Klasse statt. Wenn alle Kinder nur von zu Hause aus via Skpye lernen, verliert unsere Gesellschaft den inneren Zusammenhalt. Die Volksschule ist das Herz der Schweiz. Wenn es nicht mehr schlägt, sind wir als Menschen und als Nation gestorben.
– Beat W. Zemp, Präsident des Dachverbands Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH)

13. Französisch wird nicht in allen Kantonen als erste Fremdsprache gelehrt. Mancherorts wird gar eine Abschaffung dieser Landessprache in der Primarschule diskutiert. Welche Gefahren birgt das?
Für den Zusammenhalt der Nation ist es wichtig, dass in der Deutschschweiz das Französisch einen grossen Stellenwert hat. Natürlich gilt dies auch für den umgekehrten Fall mit Deutsch in der Romandie. In der viersprachigen Schweiz muss man die Sprache der Nachbarn können, c’est indispensable! In der Schule dürfen die Kinder nämlich durchaus gefordert werden. Deshalb ist der jetzige Kompromiss mit zwei Fremdsprachen auf Primarstufe richtig und wichtig.
– Christoph Eymann, Präsident der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren

14. Wie und wann lernen Kinder mit Migrationshintergrund am ehesten Deutsch?
Je früher und je häufiger ein Kind mit Migrationshintergrund mit Deutsch in Kontakt kommt, zum Beispiel in der Krippe, desto besser gelingt es ihm, Deutsch als Zweitsprache zu lernen. Eine von mir und meinem Team durchgeführte Studie zeigt, dass Kinder mit geringen Deutschkenntnissen bereits profitieren, wenn sie schon vor dem Kindergarten zwei Halbtage pro Woche eine solche Einrichtung besuchen. Je später Kinder und Jugendliche Deutsch lernen, desto anspruchsvoller und aufwändiger gestaltet sich der Spracherwerb. Jedoch gilt weiterhin: Je intensiver jemand die Sprache spricht und je bedeutungsvoller die Orte des Lernens sind, also mit Freunden, in der Schule oder im Beruf, desto schneller, umfassender und kompetenter erwirbt er die Fremdsprache.
– Alexander Grob, Professor für Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologie an der Universität Basel

15. Dürfen sich Eltern bei den Lehrern über schlechte Noten beschweren?
Ich kenne kein Gesetz, das dies verbieten würde. Die Frage ist, was Eltern damit erreichen wollen. Noten zeigen die Leistungen des Kindes auf einer durch die Lehrperson erstellten Skala. Es gibt viele Ursachen für schlechte Leistungen. Sie können auch in der Familie oder im Umfeld liegen. Als Erstes ist das Gespräch mit dem Kind wichtig. Hat es eine Erklärung für die schlechten Noten? Falls ja, wie kann es seine Leistung verbessern? Der Dialog mit allen Beteiligten ist wirkungsvoller als eine Beschwerde.
– Maya Mulle, Geschäftsführerin Elternbildung CH

16. Liegt die Zukunft der Schule in der Vergangenheit, also im Frontalunterricht?
Die Forschung legt nahe, dass autoritäre Lernumgebungen und traditionellere Lehrmethoden wie der Frontalunterricht die kognitive Leistung von Kindern steigern – insbesondere diejenige von Mädchen und Knaben aus sozial benachteiligten Familien. Progressive Methoden haben in diesen Zusammenhängen nicht funktioniert. Das heisst allerdings nicht, dass alle neuen Methoden zwingend schlecht sind. Wir brauchen Innovation in der Bildung. Aber die neuen Lösungen muss man sehr sorgfältig prüfen, bevor man sie im grossen Stil anwendet. Das wurde längst nicht immer gemacht. Wichtig ist, die Balance zwischen den unterschiedlichen Unterrichtsformen zu finden. Denn Forscher sehen in den neuen, interaktiven Lehrmethoden zum Beispiel einen Gewinn bei der Ausbildung der Sozialkompetenz oder der Argumentationsfähigkeit.
– Gabriel Heller-Sahlgren, schwedischer Bildungsexperte, der eine Studie über die sinkenden Schulerfolge von Pisa-Star Finnland verfasste

17. Die Volksschule fördert insbesondere starke und schwache Kinder. Was passiert mit dem Mittelfeld?
Randgruppen benötigen mehr Aufmerksamkeit, aber das bedeutet nicht unbedingt mehr Förderung. Weil das Mittelfeld oft selbständiger ist und weniger Probleme zeigt, liegt der Fokus der Lehrpersonen meist nicht auf ihnen. Eltern sind rasch alarmiert, wenn ihr Kind nicht die Leistungen zeigt, die sie von ihm erwarten. Sie denken, ihr Kind werde nicht da abgeholt, wo es steht, und erwarten die Lösung von der Schule. Doch kann eine Schule, deren tägliche Bewertungen auf einer abwertenden Fehlerkultur beruhen, den unterschiedlichen Begabungen aller Kinder gerecht werden? Wenn einzig das Ziel dominiert, die nächste Klasse zu erreichen, verlieren sie die Freude am Lernen und bekommen Angst. Doch für mehr Gerechtigkeit braucht die Schule nicht mehr Druck, sondern eine Kultur des Gelingens. Das heisst, es wird gefeiert, was ein Kind schon kann, und man misst es an seinem individuellen Fortschritt und nicht an der Norm.
– Nadine Zimet, Leiterin des Zentrums für Begabungsförderung, Zürich

18. Frauen dominieren den Lehrberuf. Ist es schlecht für mein Kind, wenn es nur von Frauen unterrichtet wird?
Tatsächlich ist es heute möglich, eine komplette Schullaufbahn zu absolvieren, ohne jemals von einem Mann unterrichtet worden zu sein. Klar, dass so etwas – wie andere gesellschaftliche Phänomene auch – bei Kindern Geschlechterstereotype befördert, zum Beispiel: Sich um andere zu kümmern, ist weiblich. Oder: Freizeit und Action sind Männer-sache. Gerade im Kindergarten- und frühen Primarschulalter findet bei Kindern die Rollenidentifikation statt. Da der schulische Männermangel aber nicht einfach zu ändern ist, wird Ihr Kind darauf angewiesen sein, ausserhalb der Schule eine Reihe von positiven männlichen Bezugspersonen zu haben: Vater, Grossvater, Trainer, Musiklehrer, Nachbarn, Freunde.
– Frank Köhnlein, Kinder- und Jugendpsychiater sowie Schriftsteller

19. Ist es die Aufgabe der Schule, Versäumnisse der Eltern zu kompensieren – etwa bei der Sexualaufklärung oder im Kochunterricht?
Die Gesellschaft ist heute der Ansicht, dass Sexualität und Haushalt Themen sind, die auch in der Schule ihren Platz haben und die Lehrpersonen stufengerecht mit den Kindern behandeln sollen. Ich kenne dazu keine Klagen von Kindern oder Jugendlichen, im Gegenteil. Ich denke, der Wurm steckt woanders drin: Heute sollen Lehrpersonen schwierige Kinder fördern. Allzu oft finden sie heraus, dass nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern Versäumnisse haben. Es ist jedoch nicht Aufgabe der Schule, Familienprobleme zu lösen. Lehrpersonen müssen sich auf das Lernen des Kindes in der Schule und auf das Lernen des Kindes zu Hause konzentrieren. Sie sollen Eltern anleiten, wie sie das Lernen des Kindes zu Hause und in der Schule am besten unterstützen können. Mehr nicht.
– Martin Straumann, Leiter der Professur für Schultheorie an der Pädagogischen Hochschule FHNW

20. «Medien und Informatik» ist im Lehrplan 21 als Modul, nicht als Fach vorgesehen. Reicht das angesichts der Tatsache, dass soziale Medien im Leben junger Menschen immer bestimmender sind?
Die Verbindlichkeit ist ein Fortschritt, doch Papier ist geduldig – ein Lehrplan alleine macht noch niemanden kompetent. Jetzt sind die Kantone in der Umsetzung gefragt: Es braucht Lehrmittel und genügend Zeit, sowohl für die Weiterbildung der Lehrpersonen als auch im Stundenplan. Digitale Geräte sind immer früher ein fester Bestandteil im Alltag von Kindern und Jugendlichen. Mit pauschalen Handy-Verboten schützt die Schule nicht vor den damit verbundenenGefahren. Gefragt sind stattdessen Konzepte, um die Medienkompetenz zu fördern und die persönlichen Geräte, welche die Schülerinnen und Schüler sowieso in den Unterricht mitnehmen, sinnvoll zu nutzen.
– Beat Döbeli, Professor am Institut für Medien und Schule an der Pädagogischen Hochschule Schwyz

21. Wieso braucht es Tagesschulen?
Viele Frauen müssen arbeiten, auch wenn sie ein kleines Kind haben. Die Scheidungsrate ist hierzulande hoch, eine Frau darf sich nicht darauf verlassen, auf Dauer vom Einkommen ihres Mannes leben zu können. Je besser ausgebildet sie ist, umso weniger kann sie es sich leisten, während der Kinderjahre daheimzubleiben. Sonst findet sie später keine entsprechende Stelle mehr. So gesehen finde ich es wichtig, dass eine Frau während der Kinderjahre zumindest mit einem Bein im Beruf bleibt. Tagesschulen sind da eine gute Sache, ich begrüsse ihren Ausbau. Zumindest Blockzeiten sollte jede Schule einrichten.
– Marianne Botta Diener, Lebensmittelingenieurin ETH und Mutter von acht Kindern

22. Wie sieht die Schule der Zukunft aus?
Ich mache mir keine Illusionen: Die Schule ändert sich nur langsam. Also: Wie die Schule in zehn Jahren aussehen sollte? Sie soll eine klare Tagesstruktur mit Mittagessen und täglichen betreuten Lernstunden haben. Neue Medien gehören nahtlos integriert – Tablets können viele Schulbücher ersetzen und durch Verlinkungen individuell je nach Neigung und Fähigkeiten weitere Zusammenhänge erschliessen. Für die Hausaufgaben sollte es das virtuelle Lernzimmer geben, in dem die Lehrerin online erreichbar ist. Dies schafft mehr Chancengleichheit, denn jedes Kind hat so die gleiche Hilfestellung bei den Hausaufgaben. Trotzdem darf «digital» nicht dominieren: Beim Lernen geht es um das Begreifen – im Wortsinn! Daher stehen Musik, Sport und Projekten, welche Kopf, Herz und Hand fordern, mehr Platz zu. Der wichtigste Reformbedarf: Fremdsprachen und Mathematik müssen Spass machen! Wenn heute eine Mehrheit der Schüler in diesen Fächern Forfait gibt, ist das ein Problem der Schule und nicht das Problem der Schüler.
– Georges T. Roos, Zukunftsforscher


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