8. Juli 2015

Kritische Eltern

Disziplinlosigkeit, unnütze Regeln und schlechte Information: Das kritisieren Väter und Mütter an den Volksschulen. Das geht aus der Evaluation der Fachstelle für Schulbeurteilung des Kantons Zürich hervor. 
Die Eltern sind kritischer geworden, Tages Anzeiger, 2.7. von Daniel Schneebeli


In den Kindergärten, Primar- und Sekundarschulen kehrt nach den grossen Reformen der Nullerjahre langsam Ruhe ein. Das hat die Fachstelle für Schulbeurteilung festgestellt. In einem gestern veröffentlichten Bericht attestiert sie den im letzten Jahr untersuchten 100 Schulen eine fast durchwegs bessere Qualität als vor fünf Jahren. Die Beurteilung beruht auf einer Befragung von Schulkindern, Lehrern und Eltern.
Markant sind die Fortschritte bei der Individualisierung. Dort haben beim letzten Mal nur 20 Prozent mit «gut» oder «sehr gut» geantwortet. Diesmal sind es 60 Prozent. Doch auch beim Schulklima und bei der Schulführung hat die Umfrage bessere Werte ergeben.
Trotz der Fortschritte gibt es ein grosses Aber im Bericht der kantonalen Kontrollstelle: Die Eltern sind in mehreren Bereichen skeptischer geworden. So bewertet rund ein Drittel der Eltern die heutigen Verhaltensregeln und Sanktionen schlechter als noch vor fünf Jahren. Ein grosser Teil ist auch mit der Disziplin im Unterricht unzufrieden. Auf die Frage, ob der Unterricht störungsfrei abläuft, haben fast 40 Prozent der Eltern negativer geantwortet als beim letzten Mal – speziell in der Primarschule.
Neue Elterngeneration
Jürg Frey, Leiter der Fachstelle, führt das Resultat auf die rasante gesellschaftliche Entwicklung zurück. «Viele Schulen konnten bei der Gestaltung der Verhaltensregeln nicht mit diesem Wandel mithalten.» Als Beispiel nennt er Handy-Verbote. Vor wenigen Jahren waren sie noch breit akzeptiert. Heute, wo schon viele Primarschüler eigene Handys haben, hat sich dies geändert. Bei den Sanktionen haben Frey und sein Team festgestellt, dass der Strafenkatalog häufig noch aus vergangenen Zeiten stammt: «Das Abschreiben der Hausordnung wird von vielen Eltern als nutzlos abgelehnt.» Warum speziell die Primarschule von der negativeren Einschätzung betroffen ist, kann Frey nicht sicher sagen. Womöglich hängt es mit der neun Generation von Eltern zusammen. Auch in der Primarschule kritisieren viele Eltern das Konfliktmanagement. Bei 37 Prozent der beurteilten Schulen haben sie eine signifikant tiefere Note abgegeben.
Jürg Frey ist der Meinung, dass die Schulen auch in diesem Bereich Fortschritte machten. Viele würden heute mit anerkannten Konflikt- und Friedens-programmen arbeiten. Das negative Bild der Eltern hänge womöglich mit höheren Erwartungen zusammen. Frey ist aber der Ansicht, dass heute etliche Schulen bei der Konfliktbewältigung überreagieren und eine Null-Toleranz-Strategie verfolgen. «Wenn man Fangis auf dem Pausenplatz verbietet, weil sich die Kinder anfassen müssen, geht das meines Erachtens zu weit.»
Informationspolitik ändern
In einem dritten Bereich haben die Eltern ebenfalls negativere Antworten gegeben: bei der Information. Gemäss dem Bericht der Fachstelle hat sich an der Informationspraxis der Schulen «wenig verändert». Frey geht davon aus, dass die Erwartungen der Eltern auch in diesem Bereich gestiegen sind, «ohne dass die Schulen adäquat darauf reagiert hätten». Für Frey hängt eine gute Praxis nicht mit der Menge, sondern mit der Qualität der Informationen zusammen. «In der heutigen Nachrichtenflut wünscht sich niemand zusätzliche und womöglich zweitrangige Informationen aus der Schule.» Als zentral sieht Frey aber den persönlichen Kontakt zwischen Eltern und Lehrpersonen an: «Wenn der funktioniert, sind die meisten Väter und Mütter zufrieden.»
Die Fachstelle für Schulbeurteilung hat die Fragebogen jeder Schule separat ausgewertet. Die Schulen sind frei, ihre Bewertungen zu veröffentlichen. Die Fachstelle stand vor drei Jahren kurz vor der Schliessung. Die Kritiker aus der SVP empfanden ihre Arbeit als bürokratisch und als Eingriff in die Gemeindeautonomie. Schliesslich wurde sie verkleinert. Neu werden die Schulen nun im Fünf- statt im Vierjahresrhythmus beurteilt.


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