Die Eltern sind kritischer geworden, Tages Anzeiger, 2.7. von Daniel Schneebeli
In
den Kindergärten, Primar- und Sekundarschulen kehrt nach den grossen Reformen
der Nullerjahre langsam Ruhe ein. Das hat die Fachstelle für Schulbeurteilung
festgestellt. In einem gestern veröffentlichten Bericht attestiert sie den im
letzten Jahr untersuchten 100 Schulen eine fast durchwegs bessere Qualität
als vor fünf Jahren. Die Beurteilung beruht auf einer Befragung von
Schulkindern, Lehrern und Eltern.
Markant sind die
Fortschritte bei der Individualisierung. Dort haben beim letzten Mal nur 20
Prozent mit «gut» oder «sehr gut» geantwortet. Diesmal sind es 60 Prozent. Doch
auch beim Schulklima und bei der Schulführung hat die Umfrage bessere Werte
ergeben.
Trotz der Fortschritte
gibt es ein grosses Aber im Bericht der kantonalen Kontrollstelle: Die Eltern
sind in mehreren Bereichen skeptischer geworden. So bewertet rund ein Drittel
der Eltern die heutigen Verhaltensregeln und Sanktionen schlechter als noch vor
fünf Jahren. Ein grosser Teil ist auch mit der Disziplin im Unterricht
unzufrieden. Auf die Frage, ob der Unterricht störungsfrei abläuft, haben fast
40 Prozent der Eltern negativer geantwortet als beim letzten Mal – speziell in
der Primarschule.
Neue Elterngeneration
Jürg Frey, Leiter der
Fachstelle, führt das Resultat auf die rasante gesellschaftliche Entwicklung
zurück. «Viele Schulen konnten bei der Gestaltung der Verhaltensregeln nicht
mit diesem Wandel mithalten.» Als Beispiel nennt er Handy-Verbote. Vor wenigen
Jahren waren sie noch breit akzeptiert. Heute, wo schon viele Primarschüler
eigene Handys haben, hat sich dies geändert. Bei den Sanktionen haben Frey und
sein Team festgestellt, dass der Strafenkatalog häufig noch aus vergangenen
Zeiten stammt: «Das Abschreiben der Hausordnung wird von vielen Eltern als
nutzlos abgelehnt.» Warum speziell die Primarschule von der negativeren
Einschätzung betroffen ist, kann Frey nicht sicher sagen. Womöglich hängt es
mit der neun Generation von Eltern zusammen. Auch in der Primarschule
kritisieren viele Eltern das Konfliktmanagement. Bei 37 Prozent der beurteilten
Schulen haben sie eine signifikant tiefere Note abgegeben.
Jürg Frey ist der
Meinung, dass die Schulen auch in diesem Bereich Fortschritte machten. Viele
würden heute mit anerkannten Konflikt- und Friedens-programmen arbeiten. Das
negative Bild der Eltern hänge womöglich mit höheren Erwartungen zusammen. Frey
ist aber der Ansicht, dass heute etliche Schulen bei der Konfliktbewältigung
überreagieren und eine Null-Toleranz-Strategie verfolgen. «Wenn man Fangis auf
dem Pausenplatz verbietet, weil sich die Kinder anfassen müssen, geht das
meines Erachtens zu weit.»
Informationspolitik
ändern
In einem dritten Bereich
haben die Eltern ebenfalls negativere Antworten gegeben: bei der Information.
Gemäss dem Bericht der Fachstelle hat sich an der Informationspraxis der
Schulen «wenig verändert». Frey geht davon aus, dass die Erwartungen der Eltern
auch in diesem Bereich gestiegen sind, «ohne dass die Schulen adäquat darauf reagiert
hätten». Für Frey hängt eine gute Praxis nicht mit der Menge, sondern mit der
Qualität der Informationen zusammen. «In der heutigen Nachrichtenflut wünscht
sich niemand zusätzliche und womöglich zweitrangige Informationen aus der
Schule.» Als zentral sieht Frey aber den persönlichen Kontakt zwischen Eltern
und Lehrpersonen an: «Wenn der funktioniert, sind die meisten Väter und Mütter
zufrieden.»
Die Fachstelle für
Schulbeurteilung hat die Fragebogen jeder Schule separat ausgewertet. Die
Schulen sind frei, ihre Bewertungen zu veröffentlichen. Die Fachstelle stand
vor drei Jahren kurz vor der Schliessung. Die Kritiker aus der SVP empfanden
ihre Arbeit als bürokratisch und als Eingriff in die Gemeindeautonomie.
Schliesslich wurde sie verkleinert. Neu werden die Schulen nun im Fünf- statt
im Vierjahresrhythmus beurteilt.
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