Es liegen Beispiele vor, die ein Versagen der
Kompetenzorientierung und der damit zusammenhängenden Neuausrichtung der
Schulen, vor allem in Deutschland, aber auch in Österreich und Frankreich teils
drastisch belegen. Das sind keine unmassgebliche Einzelfälle: Die
Leistungsnivellierung nach unten wird, entgegen den offiziellen Beteuerungen,
zur offensichtlichen Tatsache.
Nicht nur Theorie und Praxis klaffen immer weiter
auseinander. Auffallend ist überdies die Zwanghaftigkeit politisch begründeter
Bildungs- und Schulreformen, unter sichtbarer Dauerpräsenz von «Diktaten» und
Angstmacherei, bei gleichzeitiger Beschwichtigung. Der Verlust an
Demokratie und auch der Verzicht auf bildungspolitische Eigenständigkeit werden
als schwerwiegende Kollateralschäden schweigend in Kauf genommen.
Für die Ausrichtung unseres Bildungssystems sorgen
längst – von der breiten Öffentlichkeit unbemerkt – die Bürokraten in Brüssel
und Paris (OECD). Das ist Tatsache, keine Verschwörungstheorie. Wie schlimm
muss es um das Selbstverständnis unseres Staates bestellt sein, wenn die
Bildungspolitik ein überaus erfolgreiches Bildungssystem ohne Not aus der Hand
gibt und sich widerspruchslos fremden Bildungsdiktaten, selbst im
Volksschulbereich, unterstellt? Der aktuelle Import aus der OECD-Küche, das
Kompetenzkonzept des Lehrplans 21, soll unsere Kinder und ihre Lehrer «auf Kurs
bringen».
Hans-Peter Klein an einer Anhörung zum Bildungsplan, 9. Mai 2014, Dauer: 22 Minuten
Harte Landung in Absurdistan, Blog Südostschweiz, 1.7. von Fritz Tschudi
Worst Case: USA
Die USA kommen trotz unübersehbarer
Bildungsdefizite der Bevölkerung seit vielen Jahrzehnten sehr gut zurecht, weil
einfach zu steuernde Massen mit den altbekannten «Brot und Spielen»
zufriedenzustellen sind. Das funktioniert aber nur, wenn die Masse damit auch
befriedigt werden kann. Wirtschaftlich muss das nicht nachteilig sein: Die USA
sind trotz der gering gebildeten Durchschnittsbevölkerung der wissenschaftlich
und wirtschaftlich dynamischste Staat des Planeten, weil sie sich auf eine
extreme Elitenförderung beschränken und die Masse mit Unbildung neutralisieren.
Quasi alles auf die (rund) fünf Prozent Begabtesten zu konzentrieren und den
Rest mit Fastfood, Videospielen, Fernsehserien, Hollywoodfilmen zu betäuben,
erwies und erweist sich als funktionierende, vielleicht nahezu optimale Lösung.
Dies scheint auch der Weg zu sein, den die Eliten für Europa anstreben. Wir
sind faktisch wohl schon dabei, weil die Leistungserwartungen an unseren
Schulen durchgehend massiv gesenkt werden.
Deutschland: Kompetenzorientierung als
Weichenstellung in den Bildungscrash?
Ein Statement (Video, 21 min.) von Prof. Dr. Hans-Peter Klein; Didaktik der
Biowissenschaften an der Goethe-Universität in Frankfurt/Main bietet
Erhellendes zu den Folgen der Kompetenzorientierung in Deutschland:
·
Schülern der 9.Klasse (CH:
Stufe 3. Sek/Real) wurde eine Abituraufgabe im Leistungsfach Biologie gestellt.
·
·
Als Ergebnis erhielten die
«Abschlussklässler» Noten von 1 bis 4 (1 ist die beste, 6 die schlechteste),
obwohl die Schülerinnen und Schüler diesem Thema in ihrem Unterricht nie
begegnet waren.
·
·
Wie ist das möglich? – Nun:
Die Schüler mussten nur Lesen können. Fachkenntnisse sind nicht nötig. Alle
Antworten sind im Material der Aufgabe vorhanden. Die Schüler respektive
Abiturienten mussten nur eine Art Ostereiersuche betreiben.
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Als Gipfel an Fürsorglichkeit
wurde den Abiturienten das Abschreiben des Arbeitsmaterials offiziell
angeraten.
·
Fazit: Die Einführung der Kompetenzorientierung in
Deutschland vor zehn Jahren hat nichts gebracht. Die Universitäten klagen über
Durchfallquoten von 70 bis 90 Prozent und richten teure Brückenkurse ein, um
die Abiturienten studierfähig zu machen (Prof. Klein).
Schweiz: Warum Monster-Kombifächer im Lehrplan 21?
Ahnen Sie, geschätzte Leserin, geschätzter Leser,
warum im Lehrplan 21 die naturwissenschaftlichen Fächer Physik, Chemie und
Biologie im Untergrund einer Monster-Kombifachgruppe «Natur, Mensch,
Gesellschaft» verschwinden mussten?
Weder in der Berufsausbildung, noch an
Fachhochschulen und Hochschulen finden sich künstliche Konglomerate dieser Art.
Ich kenne mit bestem Willen kein Fach, keinen Bildungsbereich, der nicht mit
«Natur, Mensch und Gesellschaft» überschrieben werden könnte.
Was ist das anderes als aufgeblähte Theoretikerkost
im Kostüm einer naiv daherkommenden, aber knallharten Kriegserklärung an den
Anspruch der Lernenden auf Fachlichkeit im Unterricht. «Natur, Mensch,
Gesellschaft» – ein Sammelgefäss der Vielfalt (beziehungsweise der
Beliebigkeit), ein Tummelplatz für Ideologen?
Mit Verlaub, wie sieht die hochgejubelte
Handlungskompetenz in der Realität aus, wenn Fachwissen (und -Können)
substanziell abgebaut, ideologisch hinterlegte Thematiken stattdessen in den
Vordergrund gerückt werden? Ist es abwegig anzunehmen, den
Lehrplanverantwortlichen stünden andere Ziele näher als jene einer abnehmertauglichen
fachlichen Grundausbildung unter dem Leitprinzip der gesellschaftlichen
Mündigkeit, der Freiheit des Geistes und der demokratischen Gesinnung? Heisst
das wahre «Bildungsziel» doch eher: «Widerspruchlose gesellschaftliche und
berufliche Steuerbarkeit der künftigen Generationen? »
Unter diesen Umständen muss die Industrie wohl noch
lange auf MINT(*)-freudige SchulabgängerInnen hoffen.
Unser duales Bildungssystem –handfester
Hoffnungsträger!
Diese Bildungsperle, um die uns die halbe Welt
beneidet, gründet auf einer eigenständigen und bewährten Berufsbildungspolitik
auf Basis der praxisbezogenen menschlichen Vernunft. Hier findet sich auf
festem Fundament der Orientierungsrahmen für die Ausgestaltung und Entwicklung
unserer Volksschulen. Der Dialog mit den Abnehmern ist die logische Basis für
eine sinnvolle sachdienliche Schulentwicklung, einschliesslich sinnvoller
Lehrpläne.
Ich bin mir sicher: Ein geistiger Schuldenschnitt
mit der Neuausrichtung auf die Berufswelt, würde die jetzige, völlig unnötig
geschaffene Verwirrung und das Chaos an unseren Volksschulen beseitigen.
Verzichten wir schnellstens auf die Endlosschleifen in verordneter
Selbstreflexion, fixiert auf die Zwangsverbreitung künstlich hochgejubelter,
aber fraglicher Unterrichtskonzepte. Der Schuldenschnitt beinhaltet auch die
Rückkehr zu klar strukturierten, systemtisch aufgebauten, und auch für Eltern
einsichtigen Lehrmitteln. Konzentrieren wir uns auf die Sache (Lerninhalte),
nicht auf Ideologien.
Die Orientierung der Volksschulen an den Ansprüchen
der Berufswelt schafft ein verlässliches Gespür für Relevanz, bietet
Bodenhaftung und sorgt für eine bessere Glaubwürdigkeit der Reformen. Ein
bildungskundiger Besucher des grössten vorarlbergischen Kraftwerkbetriebs
schreibt:
«Die Illwerke/VKW haben auch hochwertige Bildung zu
bieten. Männliche und weibliche Elektrotechnik-Lehrlinge haben … den Besuchern
freundlich und mit Sachkenntnis ihre Arbeitsplätze gezeigt und erklärt. Diese
Fachleute, die auch komplexe Automatikanlagen programmieren können, sind die
wahre Elite von morgen. Sie wirken motiviert und selbstbewusst, weil sie
wissen, dass sie die Akkus unseres materiellen Wohlstandes sein werden.»
Auch Eberhard von Kuenheim,
langjähriger Chef von BMW, stellte sich und der Wirtschaft die Titelfrage dieses
Beitrags und meinte:
«Es wird Zeit, dass sich gerade die Wirtschaft
überlegt, was sie ernsthaft will: geistige Eunuchen oder demokratiefähige
Bürger, die etwas wissen und können.»
Genau diese Fragen hätten zuvor geklärt werden
müssen, als es um das Konzept des neuen Lehrplans 21 ging: Wollen wir den
mündigen Menschen, den selbständig denkenden, den fragenden, den
eigenständigen, den argumentierenden, den demokratiefähigen, oder wollen wir
den widerspruchlos schwammigen, den klaglos funktionierenden und stets
ängstlich angepassten geistigen «Eunuchen»?
(*)(MINT = Mathematik, Informatik,
Naturwissenschaft, Technik)
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